Berlin

»Ein harter Schritt«

Es wird eng: Der Senat stellt Rückzahlungsforderungen in Millionenhöhe. Foto: fotolia

Als die Gemeindevorsitzende Lala Süsskind und der Finanzdezernent Jochen Palenker am vergangenen Mittwochvormittag das Rentenproblem und die prekäre Haushaltslage erläuten, gibt es für die versammelten Journalisten nicht, wie früher üblich, Kaffee und ein paar Häppchen, sondern nur noch Wasser. Aus Plastikbechern. Die Gemeinde ist in finanziellen Schwierigkeiten und hat sich einen Sparkurs verordnet.

Dazu wollen sie Daten und Fakten »in aller Ruhe« der Öffentlichkeit präsentiert werden, bevor der »harte Schnitt« bei der betrieblichen Altersversorgung abends den Repräsentanten zur Abstimmung vorgelegt werden sollte. Dann würde es wohl, wie Palenker formuliert, wieder zum erwarteten »Kuddelmuddel« kommen.

Sitzung Er sollte nicht Recht behalten. Oder nur teilweise. Denn die Präsentation des Vorstands geht bei der Sitzung des Gemeindeparlaments nicht, wie schon mehrfach zuvor, in lauten Protesten oder endlosen Diskussionen unter. Die Repräsentanten hören aufmerksam zu, zahlreiche Zuhörer verfolgen die Sitzung gespannt und mit verhältnismäßig wenigen Zwischenrufen.

Dies, obwohl die Gemeindemitarbeiter schon seit Monaten gegen die angekündigten Einsparungen und Streichungen Sturm laufen – und die Angelegenheit jetzt in die entscheidende Phase kommt.
Vor der Sitzung forderte der Vertrauensrat die Repräsentanten in einer Art offenem Brief auf, »tief in sich hineinzuschauen und den richtigen Schritt zu tun«. Der wäre aus Sicht der Mitarbeiter, dass die Gemeinde bei den bislang gezahlten zusätzlichen Betriebsrenten bleibt.

Doch dagegen spreche die Rechts- und Kassenlage – und ein vom Vorstand in Auftrag gegebenes Gutachten. »Daraus geht eindeutig hervor«, erläutert Palenker, »dass es bald keine Gemeinde mehr geben werden, wenn wir so weitermachen wie bisher.« Und das, unterstreicht Süsskind, müsse verhindert werden. Man sei im Januar 2008 mit dem neuen Vorstand angetreten, um die Gemeinde »zukunftsfähig« zu machen.

Daher habe man Ausgaben heruntergefahren und versucht, die Einnahmen zu mehren. Das erhöhte Schulgeld sei nur ein Beispiel. Doch die Rentenzahlungen machen jetzt schon – mit 750.000 Euro jährlich – mehr als die Hälfte der Steuereinnahmen aus. »Wenn wir jetzt nicht eingreifen, sind wir in zwei oder drei Jahren zahlungsunfähig.« Das sei bislang noch keiner Religionsgemeinschaft hierzulande so ergangen. »Wir wollen unsere Gemeinde weiterhin selbstbestimmt führen, und nicht den Punkt erreichen, dass wir uns vom Friedhof bis zur Krippe nichts mehr leisten können.«

Prognose Palenker setzt seine schwarzumrandete Lesebrille auf und versucht anhand von Grafiken mit schwarzen, grünen, roten und gelben Kurven die prekäre Situation und die düsteren Prognosen zu erläutern. »Wenn wir das nicht auf grün ändern, sehen wir rot«, sagt er und zeigt auf die ansteigenden Ausgaben. Er spricht von Entgeldumwandlung, Barwertvergleich und Abzinsung.

Vieles ist wahrscheinlich nur für Finanz- und Rentenexperten verständlich. Aber eines ist klar: Die Gemeinde hat jahrelang ihren ehemaligen Angestellten zu hohe Zusatzbezüge gezahlt, und den jetzigen Mitarbeitern eine zu großzügige Altersversorgung in Aussicht gestellt. Und das offensichtlich nicht einmal absichtlich. »Das hat irgendwann einmal irgendwer falsch ausgerechnet«, gesteht Süsskind. Über Jahre sei der Fehler auch beim Senat, wo die Unterlagen einmal jährlich geprüft werden, nicht aufgefallen. »Da haben beide Seiten gepennt«, stellt Palenker fest.

Senat Erst 2005 soll eine Hiobsbotschaft aus dem Hause des Kultursenators gekommen sein. Der warnte, dass die Gemeinde ihren ehemaligen Mitarbeitern eine weit höhere Zusatzrente zahle, als es im öffentlichen Dienst des Landes Berlin üblich ist. Vergleichsgröße ist die Zusatzversorgung des Bundes und der Länder, VBL.

Frühere Vorstände hätten die Finanzierbarkeit der Rentenzahlungen zu wenig im Auge gehabt. Und da seit 2005 nichts Entscheidendes getan wurde, müsse man nun »die Notbremse ziehen«, macht Süsskind klar. Nicht zuletzt deshalb, weil sich die Gemeinde mittlerweile mit Rückzahlungsforderungen des Senats in Millionenhöhe konfrontiert sieht. Davon sind bislang erst 500.000 Euro beglichen.

Zuwanderer Die geplanten Maßnahmen seien alternativlos. Doch werden sie eine Gruppe besonders treffen: die im Rahmen der Zuwanderung russischsprachiger Juden eingestellten Mitarbeiter, die damals dringend einen Job brauchten, heute aber keine mit den Kollegen vergleichbare »Erwerbsbiografie« haben. Das bedeutet, dass sie nur eine geringe Grundrente erhalten werden und daher besonders auf die Zusatzrente der Gemeinde angewiesen sind.

Die derzeit bereits ihr Ruhegeld beziehenden 155 Rentner sind von der Neuregelung nicht betroffen. Sie werden weiter ihre Leistungen beziehen. Betroffen sind auch nicht die Angestellten, die nach 2008 in der Gemeinde angefangen haben. Denen wurden schon keine entsprechenden Zusagen mehr gemacht. Es geht vielmehr um die derzeit 328 Mitarbeiter, die schon länger mit dabei sind und denen die Zusatzrenten vertraglich zugesichert wurden.

Mitarbeiter Ihnen müsse vermittelt werden, dass die Altersversorgung so konzipiert worden sei, dass sie jetzt nicht mehr tragbar ist, bedauert Süsskind. Die Maßnahmen sind drastisch, man versuche, sie aufzufangen. »Aber wir können nachvollziehen, wenn Mitarbeiter vor Gericht gehen.«

Der RV-Vorsitzende Michael Joachim dazu: »Ich verstehe die Mitarbeiter. Es gibt derzeit ein individuelles und ein kollektives Interesse. Wenn das individuelle sich durchsetzen sollte, dann steuert die Gemeinde auf eine Katastrophe zu.«

Jochen Palenker verspricht, dass man sich um die Regelung von Härtefällen bemühen werde. »Aber wir müssen eine Balance zwischen wirtschaftlicher Machbarkeit und sozialem Engagement finden.«

Ansonsten rät er zur zusätzlichen privaten Vorsorge. Dazu hat die Gemeinde kürzlich gemeinsam mit dem Abraham Geiger Kolleg ein Jüdisches Versorgungswerk eingerichtet.

Abstimmung Doch davon wollen die Mitarbeiter erst einmal wenig hören. Sie schauen gespannt auf die entscheidende Abstimmung am Mittwochabend. Der Vorstand bekommt nicht das entscheidende Votum. Elf Ja-Stimmen, fünf Enthaltungen, zwei dagegen. Die erforderliche Zweidrittelmehrheit ist nicht erreicht.

Dabei setzt sich ein Trend fort, der bereits in den vergangenen Sitzungen des Gemeindeparlaments dazu führte, dass dem Vorstand in entscheidenden Fragen die Unterstützung versagt blieb. Dazu gehörte unter anderem die Initiative für die Einrichtung eines Kindergartens in der Heinz-Galinski-Schule und der beabsichtigen Verkauf der Immobilie Oranienburger Straße 40. Nun die Neuordnung der betrieblichen Altersversorgung. »Die fünf Enthaltungen zeigen mir, dass sich etliche Repräsentanten vor einer Entscheidung drücken wollten«, meint Michael Joachim.

Jochen Palenker vermutet auch gemeindepolitische Motive. So, wie das Wahlbündnis Atid mit Süsskind und ihm vor drei Jahren angetreten sei, existiere es aufgrund verschiedener »Privatfehden« schon nicht mehr. »Wir haben in einem Jahr Wahlen.« Anscheinend befinde man sich jetzt schon im Wahlkampf.

»Wir können nur an die Vernunft der Repräsentanten appellieren. Es geht um die Zukunft unserer Gemeinde«, sagt Süsskind. Und Palenker gibt sich unverdrossen. »Wir werden weiter an der Sache arbeiten. Dieser Punkt wird so lange auf die Tagesordnung kommen, bis er angenommen ist.«

Die nächste Abstimmung über das Sparpaket des Vorstandes steht am Mittwoch, den 15. Dezember, an.

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