Köln

Eigene Masche

Eine Masche links, eine rechts, die Nadeln klacken leise: Ein paar Frauen kommen einmal die Woche ins Begegnungzentrum Porz der Kölner Synagogen-Gemeinde und stricken gemeinsam. Obwohl Kaffee und Kekse auf dem Tisch bereitstehen, unterbricht kaum eine deswegen ihre Arbeit.

»Ariadnefaden« heißt ihr Club, der seit gut drei Jahren existiert – mit wechselnder Besetzung. Und aus welchem Labyrinth soll der Faden sie herausführen? »Aus dem Labyrinth des Alltags«, sagt Initiatorin Poukhovitskaia: »Morgens aufstehen, zu Hause herumsitzen bis zum Abend: Das sind Wege, die nirgendwohin führen, wenn man nicht arbeitet und nicht lernt.«

Heute werden Geschenke verteilt: Jeder Teilnehmerin ihres Clubs hat Edit Poukhovitskaia ein Zubehör-Set mitgebracht, das ihr das Stricken erleichtern soll. Gab es im Angebot, sagt sie. Außerdem habe sie sehr gute Wolle entdeckt. »Auf dicken Nadeln kann man ganz schnell eine Mütze und einen Schal stricken«. Poukhovitskaia hat ein paar Knäuel zur Ansicht ausgelegt. »Und wenn Sockenwolle drauf steht, nicht abschrecken lassen: Es lassen sich die unglaublichsten Sachen daraus machen.«

Hobby 2010 ging die Buchhalterin in Rente: Nach ein paar Monaten daheim mit Buch und Katze fiel ihr die Decke auf den Kopf. Sie suchte Mitstreiterinnen für ihr Hobby. Gestrickt hat sie immer, auch schon gegen Bezahlung: Als sie in den 90ern nach Deutschland kam, konnte sie die Sprache nicht und lebte von der Sozialhilfe. Da ging sie in ein Spezialgeschäft und bot sich als Strickerin an. Dort hat sie Muster gefertigt, bis sie doch noch Arbeit in ihrem erlernten Beruf fand.

Männer kommen nicht zu der nachmittäglichen Runde, meist sind es Frauen fortgeschrittenen Alters. Die Nadeln haben sie zumindest schon mal in der Hand gehabt: Wollte frau in der früheren Sowjetunion etwas Schönes anziehen, musste sie es in der Regel selbst machen. Nach der Ankunft in Deutschland fiel die Notwendigkeit weg: Selbstgestricktes ist nicht einmal billiger als die Kleidung aus dem Laden.

Multitasking Aber es ist eine so schöne kreative Beschäftigung. »Es beruhigt«, sind sich die Teilnehmerinnen einig. »Es ist die einzige Möglichkeit, zwei Sachen auf einmal zu machen: stricken und fernsehen, stricken und U-Bahn fahren, stricken und Musik hören«, so die Heldinnen des Multitaskings. »Ich nehme mein Strickzeug auch in den Urlaub und ins Flugzeug mit«, erzählt Poukhovitskaia: Was, die Nadeln werden nicht als vermeintliche Waffe abgenommen? »Bisher nicht, zumal immer ein halb fertiger Pulli daran hängt.«

Neulich im Krankenhaus hatte sie sie auch dabei. Zum Glück strickte die Zimmernachbarin auch, so wurde den beiden der Aufenthalt kurzweilig: »Das ist wie Therapie für uns«, sagt die langjährige Nadelkünstlerin. »Man will etwas machen, auch wenn man es nicht unbedingt braucht.

Die Nachbarin strickte Sachen für Kinder und schickte sie in ein Heim.« Eine gute Idee, fand Poukhovitskaia: »Solange du helfen kannst, bist du ein Mensch. Sonst bist du nur der eigenen Katze von Nutzen.« »Genauso ist es«, bestätigt Svetlana Muzikante seufzend. So spinnt die Clubleiterin die Idee weiter: Man könnte etwa Sachen für den WIZO-Basar stricken oder Babymützchen für bedürftige Familien aus der ganzen Welt.

Übung Aber das ist noch Zukunftsmusik. Denn erst einmal wird geübt. Evgenija Simkina müht sich mit dem Ajourmuster eines Vorderteils: Die Löcher geraten ihr zu groß. Zum dritten Mal ribbelt sie die Reihen auf. Dabei hat sie bis ein Uhr in der Nacht daran gesessen und auch noch Edit Poukhovitskaia am Telefon um Rat gebeten.

Auch Julia Alakbarova kämpft mit ihrem Faden. Soundsoviel Maschen anschlagen für den Bund: Leider hat sie seit vielen Jahren nicht mehr gestrickt, die Finger haben die komplizierte Schlingbewegung verlernt. Wird schon wieder: »Der Körper erinnert sich«, tröstet die Lehrerin. Alakbarova kommt erst zum vierten Mal: »Man muss ja etwas lernen, wenn man viel Zeit hat.« Sie lernt eben Deutsch und Stricken.

Etwas lernen wollen sie alle noch. Svetlana Muzikante fragt nach einem Computerkurs im Begegnungszentrum. »Ich will mehr können, als nur per Skype telefonieren«, sagt sie. Auf die Kinder sei kein Verlass, dass sie einem das beibringen. »Au ja«, das kennen die Frauen. »Die Kinder sagen: Setz dich und schreibe auf, welche Tasten du drücken sollst«, erzählt Marina Michna, während sie einen Knäuel gespendeter handgesponnener lettischer Wolle aufwickelt. »Aber ich will kapieren, wie das Ganze funktioniert. Denn die Tasten ändern sich, wenn das Programm sich ändert.« Mit unendlicher Geduld entwirrt sie den Faden, der sich immer wieder verknoten will.

Kommunikation Ab und zu kommt auch eine Frau, die kein Russisch spricht, dann reden halt alle Deutsch. Man merkt übrigens auch beim Stricken kulturelle Unterschiede: Deutsche wickeln den Faden um den Zeigefinger, Russinnen lassen ihn zwischen zwei Fingern gleiten. »Es gibt auch eine Frau, die Stricken eigentlich gar nicht mag. Ihr ist die Kommunikation wichtig«, erzählt Poukhovitskaia. Wer wie viel kann: die schönsten Ensembles, einfache Schals oder gar nichts – egal.

Und wer soll das alles tragen? »Meine Urenkelin will den Mantel gar nicht mehr ausziehen«, berichtet eine Oma stolz. Julia Alakbarova macht sich in dieser Hinsicht keinerlei Hoffnungen: »Meine Enkelinnen sind zwölf und 15 Jahre alt, sie haben ihren eigenen Geschmack und werden sich hüten, meine Erzeugnisse zu tragen.« Die Mädchen dürfen alles selbst entscheiden: Was sie anziehen, welche Tapeten und welchen Teppichboden sie im Kinderzimmer haben wollen, beklagt sie sich in der Runde: »Ich kann das nicht verstehen.« Svetlana Lytchak doch: Die Zeiten haben sich geändert, die Kinder haben ihre besondere Mode. »Sie haben schon recht«, sagt sie und strickt weiter.

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