Pessach

Die Türen stehen immer offen

Der Gesang schallt über den ganzen Hof. Die Fenster des Büros in der Synagoge Joachimsthaler Straße sind weit geöffnet. Es ist ein warmer, frühlingshafter Tag. Am Tisch sitzen Kantor Arie Zaloshinsky und ein 13-jähriger Junge. Sie singen gemeinsam. Der Schüler ist angehender Barmizwa. Zwischendurch steht der Kantor auf, schaut aus dem Fenster und singt im Stehen weiter. Im Vorraum der Synagoge wartet die Großmutter des Jungen auf das Ende des Unterrichts.

Ein paar Meter entfernt sitzt ein älterer Herr, der sich in den Talmud vertieft hat. Die Regale im Vorraum der Synagoge sind randvoll mit Büchern bestückt. Wer mag, kann jederzeit zu einem Talmudband oder zur Tora greifen – die Türen der Synagoge sind immer offen, von morgens bis abends.

menü Golzmann ist auf dem Weg zum Kidduschraum. Er hat ein Arbeitstreffen mit Rabbiner Yitshak Ehrenberg anberaumt, um gemeinsam mit ihm und seiner Assistentin die Sederabende zu besprechen. Das Menü, der Ablauf – alles muss stimmen. Denn insgesamt haben sich 280 Teilnehmer angemeldet. Auch für einen erfahrenen Maschgiach wie Golzmann ist Pessach eine logistische Herausforderung.

Seine Assistentin Claudia, die ihm seit acht Jahren in der Küche hilft, holt Block und Stift aus der Tasche. Während der Pessachplaner und seine Assistentin auf den Rabbiner warten, notiert sie schon einmal die Zutatenliste – und das, was keinesfalls verwendet werden darf.

Aschkenasische Juden dürfen in diesen Tagen keinen Reis und Mais sowie Hülsenfrüchte wie Erbsen und Bohnen oder Senf verzehren. Ein Problem werde auch das Öl zum Braten sein. Sie werden wahrscheinlich auf Sonnenblumen- oder Rapsöl ausweichen. Mayonnaise wollen sie selbst herstellen.

Für den ersten Abend ist rotes Fleisch geplant, für den zweiten Hühnchen und Gefilte Fisch. »Ich notiere mir schon einmal Radieschen, Meerrettich, Petersilie, Römersalat, Eier«, sagt Claudia. Hinzu kommen Äpfel, Datteln und Nüsse für das Charosset. Und Hühnerflügel. Denn in der Synagoge ist es Tradition, die Teller mit einem Hühnerflügel zu bestücken: als Symbol für das Lammopfer. Die traditionelle Hühnersuppe wollen Golzmann und sein Team mit Mazzeknödeln anreichern. Und natürlich mit vielen Gewürzen, damit sie richtig gut schmeckt.

afikoman Inzwischen ist auch Rabbiner Ehrenberg eingetroffen. Einen »richtigen Seder« zu feiern – ganz im Sinne der Tradition mit viel Atmosphäre, Gesang und Diskussionen – ist dem 67-Jährigen wichtig. An erster Stelle stehe schließlich die »geistige Nahrung«, meint er.

Beter und Studenten werden zum Seder nicht zur Kasse gebeten, nur Gäste. Finanziert werden die Abende über Spenden. Allerdings muss man sich vorher rechtzeitig angemeldet haben.

Den Afikoman für die Kinder versteckt der Rabbiner persönlich, auch die Geschenke an sie verteilt er selbst. Vor ein Uhr nachts sei die Sederfeier in den vergangenen Jahren nie zu Ende gewesen. Dennoch werde er wie jeden Morgen pünktlich zum Schacharit da sein, sagt Ehrenberg.

Der Afikoman ist für Leon Golzmann noch weit weg. Seine Gedanken bleiben derweil beim Pessachputz hängen. »Wir müssen in diesem Jahr die Küche bereits vor Schabbat für Pessach kaschern«, sagt Golzmann. Denn sonst käme es zeitlich nicht hin. Das Feuer zum Kochen müsse die ganze Zeit angeschaltet bleiben.

chametz Assistentin Claudia hört aufmerksam zu und schreibt eifrig mit. »Alle Geräte müssen heraus aus der Küche, wir müssen in jeden Winkel schauen«, schreibt sie. Der Backofen und die Herde sollen glänzen wie neu.

»Wir müssen auch auf dem Boden nachsehen, ob nicht noch Brotkrümel herumliegen«, sagt Golzmann. Bei der Putzaktion hofft er auf Verstärkung durch die Beter. Die Synagoge hingegen wird von einer Firma grundgereinigt.

Mehr als 100 Beter der orthodoxen Synagoge haben ihr Chametz bereits an Rabbiner Ehrenberg verkauft. Auch das Crown Plaza Hotel, das Café Bleiberg und der koschere Lebensmittelladen Lampari haben ihre Chametzhaltigen Produkte an Ehrenberg veräußert. Er selbst verkauft das Chametz weiter an die Bäckerei Kädtler in Prenzlauer Berg.

lerngruppe »Bei uns herrscht eine besonders gute Energie«, ist Rabbiner Ehrenberg überzeugt. Die familiäre Atmosphäre ist ihm wichtig. Als er vor 20 Jahren in Berlin anfing, erzählt er, habe man hier noch nicht gemeinsam gesungen. Doch das habe sich mit der Zeit geändert. Am Ende eines Gottesdienstes stimmen die Beter sogar die Hatikwa an. Auch die Batmizwa in der Joachimsthaler Straße habe er eingeführt. Fast jede Woche gebe es derzeit eine solche.

Das Lernen – ob als Bar- und Batmizwa oder Erwachsener – liegt Ehrenberg besonders am Herzen. Deshalb bietet er täglich nach dem Morgengebet sowie mehrmals pro Woche Unterricht an. Die Beter kommen auf das Angebot gern zurück – mittlerweile haben einige von ihnen auf seine Initiative hin selbst Lerngruppen gegründet.

Die Planung für die Sederabende ist fast abgeschlossen, als Ehrenberg eine Nachricht auf dem Handy erreicht: »Wollen wir noch eine Ärzte-Lerngruppe eröffnen? Nach Pessach?« Der Rabbiner lächelt. Je mehr aktive Beter, umso besser.

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