Leipzig

Die ganze Stadt macht mit

Natürlich fehlte Channa Gildoni auch diesmal nicht: Schon zur ersten Jüdischen Woche »Schalom« im Jahre 1995 war sie nach Leipzig gekommen – der Stadt, in der sie 1923 als Anni Moronowitz zur Welt kam und der sie 1940 mit ihrer Mutter nach einer abenteuerlichen Flucht über Ungarn den Rücken kehren musste. Doch vergessen hat die gelernte Krankenschwester, die heute in Leipzigs israelischer Partnerstadt Herzliya lebt, weder ihre Geburtsstadt noch die Sprache ihrer Kindheit. Stets kommt sie zu den alle zwei Jahre stattfindenden Jüdischen Wochen hierher.

Manchmal begleiteten sie ihre Kinder, dann die Enkel. Und nun brachte Channa Gildoni, die im Oktober 90 Jahre alt wird, ihren Urenkel Jonathan Danai aus Tel Aviv mit. Pfiffig – mit elegantem grauem Schlips und dazu passender Kippa – und sichtlich stolz stand der Zwölfjährige neben ihr, als sie am Sonntag im Rahmen einer musikalischen Feier in der Leipziger Gottschedstraße einige Worte des Erinnerns wie des Nach-vorn-Schauens sprach. Immerhin leitet Channa Gildoni heute den einst von ihr mitgegründeten Verband ehemaliger Leipziger in Israel.

Verbundenheit »Deutschland ist ein anderes Land geworden. Leipzig liebt die ehemaligen Leipziger – und es ist wichtig, dass auch kommende Generationen wissen, wo wir gelebt haben«, sagte sie. Als sich Uroma und Urenkel dann umarmten, war es einer der ergreifendsten und symbolträchtigsten Augenblicke dieser vom Leipziger Synagogalchor musikalisch begleiteten Veranstaltung. Immerhin war auch Channa, als sie so alt war wie Jonathan heute, täglich an diesem Ort gewesen – dem Platz der Großen Synagoge der jüdischen Gemeinde. 1938 war diese von den Nazis niedergebrannt worden.

Ergriffen wirkten auch Leipzigs Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD) sowie der Botschafter des Staates Israel in Deutschland, Yakov Hadas-Handelsman. Gemeinsam nahmen sie zuvor auch an der Eröffnung dieser mittlerweile zehnten Jüdischen Woche in Leipzig im Ariowitsch-Haus teil. Und auch hier saß Channa Gildoni zusammen mit weiteren ehemaligen Leipziger Juden und deren Nachfahren aus Großbritannien, den USA und Israel.

Botschafter Sie konnten sich davon überzeugen, dass parallel zu den steigenden Besucherzahlen der Jüdischen Woche – mittlerweile sind es insgesamt mehr als 50.000 – auch die Israelitische Religionsgemeinde in Leipzig stetig wuchs. Heute zählt sie bereits rund 1300 Mitglieder. Und jeder von ihnen sei selbst »ein Botschafter jüdischen Lebens und der jüdischen Kultur«, so wie das Ariowitsch-Haus gewissermaßen »eine ständige Vertretung des Staates Israel« bilde, sagte Gemeindevorsitzen- der Küf Kaufmann unter viel Beifall der nicht nur jüdischen Gäste. Als Besonderheit dieser Jüdischen Woche hob er hervor: Sie werde nicht allein von einem Verein organisiert – »nein, die ganze Stadt bereitet diese Woche vor!«

So schießt auch die Stadt Leipzig, die neben der Religionsgemeinde und der Ephraim-Carlebach-Stiftung traditionell zu den Organisatoren gehört, wieder 30.000 Euro zu. Nicht weniger als 41 jüdische und nichtjüdische Vereine beteiligen sich diesmal an den Konzerten, Lesungen, Gesprächen, Theatervorstellungen, Stadtführungen, Filmen, Vorträgen und Ausstellungen. Das Besondere an dieser Jubiläumswoche sei es, dass sie diesmal den Untertitel »international« trage, freute sich Kaufmann. Denn diesmal präsentierten auch einige der Partnerstädte Leipzig sich, ihr jüdisches Leben und ihre jüdische Kultur: Brünn, Herzliya, Kiew, Krakau, Lyon und Thessaloniki.

Auch Botschafter Hadas-Handelsman betonte das »enge Verhältnis zwischen Leipzig und dem Staat Israel«. Seine leitenden Mitarbeiter hätten oft in der sächsischen Metropole zu tun und »fühlen sich hier stets sehr wohl«. Überdies beteilige sich auch seine Botschaft stets mit einem Stand auf der Leipziger Buchmesse, sagte er.

international Ein Neu-Leipziger mit israelischen Wurzeln hatte auch das musikalische Festprogramm zur Auftaktveranstaltung zusammengestellt: Nick Deutsch, der einen Teil seiner Kindheit in Australien verbrachte und heute Professor für Oboe an der Leipziger Hochschule für Musik und Theater ist. Er bot nunmehr ein junges, spielfreudiges Bläseroktett mit Musikern aus Israel, Ungarn und der Bundesrepublik auf.

Im Anschluss an diese Veranstaltung eröffnete im Ariowitsch-Haus die Wanderausstellung »Im Schatten der Feigenbäume und Weinreben – 500 Jahre sephardisches Judentum am Bosporus«. Sie war vom Verein Süddialog in Kooperation mit der Stuttgarter Lehrhaus Stiftung für interreligiösen Dialog entstanden.

Dutzende weitere Veranstaltungen finden noch bis zum 30. Juni in Leipzig statt. Und auch Channa Gildoni besuchte viele davon, etwa das traditionelle Montagsgebet in der Nikolaikirche. Seit sie wisse, was diese Friedensgebete bedeuten, sei es für sie »schon seit gut 20 Jahren selbstverständlich, mich zu beteiligen, wenn ich in Leipzig bin«, versicherte sie.

Bis zum 30. Juni bietet die Kulturwoche Konzerte, Führungen, Lesenachmittage für Kinder und Jugendliche, Näheres unter:
www.leipzig.de/de/buerger/kultur/09879.shtml

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