Musical

Der neue Tewje

Von den Traditionen jüdischen Lebens sangen der Chor und die Darsteller des Musicals Anatevka, das vergangene Woche im Kesselhaus in München-Freimann aufgeführt wurde. Das Stück war von Mitgliedern der jüdischen Gemeinschaft Münchens gemeinsam mit vielen Unterstützern initiiert und umgesetzt worden.

Die bekannten und beliebten Evergreens wie das Lied »Wenn ich einmal reich wär« des Milchmanns Tewje begeisterten das Publikum. Gleichzeitig war auch der Wandel das Thema, Veränderungen, die das Leben heute ebenso beeinflussen wie vor mehr als 100 Jahren.

1894 erschien der Roman Tewje, der Milchmann von Scholem Alejchem, eigentlich Scholem Rabinowitsch, der von 1859 bis 1916 lebte. Er hat mit Tewje »einen Menschen dargestellt, dessen Gottvertrauen Armut, Erniedrigung und Leid ungebrochen überdauert und dessen Lebenskraft sich aus dem jahrtausendealten Wissen seiner Religion immer wieder erneuert«.

So hat Otto F. Best, Professor für Germanistik und vergleichende Literaturwissenschaft an der Universität Maryland (USA), zuvor Lehrbeauftragter für jiddische Sprache und Literatur an der Universität München, den Romanhelden in Kindlers Literatur Lexikon beschrieben. Genau diese Eigenschaft ist es, die Tewje so zeitlos aktuell macht. Unter dem Titel Fiddler on the Roof machten Joseph Stein, Jerry Bock und Sheldon Harnick aus dem Stoff ein Musical, das 1964 uraufgeführt wurde.

Miteinander Die Tatsache, dass dieses Musical mehr ist als Unterhaltung, brachte die Ideen mehrerer Initiatoren zu dem nun begeistert aufgenommenen Projekt zusammen. Da war Paula Zimerman-Targownik, die sich an die Aufführung des Stücks in Brasilien erinnert. Dort war es mehr als eine Präsentation, es trug auch zu dem Miteinander der großen jüdischen Gemeinde in São Paulo bei, deren Mitglieder aus ganz unterschiedlichen Ländern zusammengekommen waren. Die Idee eines Miteinanders hatte auch Eva Fabian beschäftigt, die sich im Rahmen ihrer Arbeit an der Europäischen Janusz Korczak Akademie (EJKA) unter anderem mit Fragen der Integration beschäftigt.

Die Idee zu einer gemeinsamen Aktivität zwischen Menschen aller Altersgruppen und religiösen Zugehörigkeit war da. Im Forum der EJKA wurde sie vorgestellt und diskutiert. Netzwerke entstanden, Menschen kamen zueinander, Künstler, Laiendarsteller, Sponsoren, Helfer.

Eva Fabian übernahm die Projektleitung, Paula Zimerman-Targownik die Produktion. Neben vielen anderen stand Beatrice Brodski nicht nur auf der Bühne, sondern war auch als »Mädchen für alles« oder, wie es offiziell hieß, »für besondere Aufgaben« eine wichtige Stütze im Team. Gespräche mit den Initiatoren lassen ebenso wie die gelungenen Aufführungen nur schwach ahnen, wie viel Einsatz für diesen Erfolg notwendig war.

Ein besonderer Glücksfall dabei war es, dass mit Celino Bleiweiß ein Regisseur gefunden wurde, der nicht nur seine Theater- und Filmerfahrung einbringen konnte, sondern auch persönliche Nähe zu dem Stück. Laien und professionelle Schauspieler wirkten mit. Die Schirmherrschaft über das Projekt übernahmen Oberbürgermeister Christian Ude und Präsidentin Charlotte Knobloch.

Ude gratuliert im Begleitheft zu Anatevka »der jüdischen Gemeinschaft Münchens zu der wunderbaren Idee und ihrem ehrenamtlichen Engagement, Tewje und seine Familie hier in München wieder lebendig werden zu lassen und dem Münchner Publikum am Beispiel der Juden aus Anatevka das bereichernde Element jüdischer Tradition und Kultur, aber auch die Geschichte antisemitischer Verfolgung nahezubringen«.

wegweiser Charlotte Knobloch hob in ihrer Begrüßungsrede bei der Premiere hervor, dass mit diesem Projekt »unsere zentralen Anliegen als jüdische Gemeinschaft in einem künstlerischen Großvorhaben realisiert« werden. »Respekt, Toleranz, gelebtes friedliches und liebevolles Miteinander – diese Prämissen stehen als Motto über dem heutigen Abend und sind zugleich Auftrag und Wegweiser für unsere gemeinsame Zukunft.«

Wesentlicher Bestandteil der Konzeption sei es, »die vielen neuen Mitglieder, die unsere Gemeinschaft in den letzten 20 Jahren bereichert haben, ebenso zum Mitmachen zu begeistern wie die sogenannten Alteingesessenen.

Ebenso wichtig war es, die nichtjüdischen Bürgerinnen und Bürger dieser Stadt in das Projekt einzubeziehen. Und schließlich ist Anatevka ein generationsübergreifendes Projekt. Kinder, Eltern, Enkel und Großeltern sollten gemeinsam auf der Bühne stehen.« Die Grüße des Oberbürgermeisters Ude und der Stadt überbrachte Stadtrat und IKG-Vizepräsident Marian Offman. Dabei unterstrich er den Stellenwert ehrenamtlichen Engagements als »Salz in der Suppe unserer Demokratie«.

Die Verbindung mit dem Hier und Heute hatten die Initiatoren bereits mit dem Titel Anatevka – Wir sind angekommen unterstrichen. Das Miteinander war im Publikum spürbar, auch diejenigen, die keinen Beitrag geleistet hatten, betrachteten die Aufführung als »ihre«. Und sie nahmen die Aktualität des Stückes bewusst und nachdenklich wahr, wie Gespräche in der Pause und nach dem Ende deutlich machten.

Liebe Die Problematik neuer Wege in einem überlieferten Alltag fasste eine Besucherin punktgenau zusammen: »Mit den drei Töchtern und ihren Ehemännern sind alle Probleme angesprochen: Liebesheirat anstelle vermitteltem Partner, Ausbrechen aus dem traditionellen Schema und gar ein Verlassen der Gemeinschaft in eine andere Religion – vor all diesen Problemen stehen wir doch heute nach wie vor.«

Ein besonderer Glücksfall auf der Besetzungsliste war Robert Spitz in der Rolle des Tewje. Seine Darstellungskunst ist aus seinen Engagements an verschiedenen Münchner Theatern ebenso bekannt wie aus zahlreichen TV-Filmen. Nachhaltig beeindruckte er durch Mimik und Vortrag vor allem in den Zwiegesprächen des Familienvaters mit seinem Schöpfer.

Eindrucksvoll war auch der Tanz der verstorbenen Seelen, die Tewje und seiner Frau Golde des Nachts im Traum erschienen – eine List Tewjes, um seiner ältesten Tochter Zeitel doch noch zur Heirat mit dem armen Schneider Mottel zu verhelfen.

www.anatevka-fuer-alle.de

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