Köln

Dem Chametz auf der Spur

Noch steht der Apfelkuchen auf der Küchentheke der Synagogen-Gemeinde Köln. Doch nicht mehr lang. Schon jetzt wuseln die Helfer, um die Küche der Kantine Weiss auf Pessach vorzubereiten. Messer und Gabeln klappern, der Wasserstrahl peitscht gegen das Geschirr. Auf den Bodenfliesen vermischt sich ein Rinnsal mit dem Reinigungsmittel. Es ist Hochbetrieb in dem koscheren Restaurant. Pessach steht kurz bevor. Und dann geht es auch schon an den Apfelkuchen. Zusammen mit dem restlichen Chametz, dem gesäuerten Teig, wird er aus der Küche geschafft.

»Jeder noch so kleine Krümel in den Ecken und Winkeln wird entfernt«, erklärt Elisabeth Weiss, Chefin der koscheren Kantine der Gemeinde. Kaum zu glauben – denn in einer Großküche sammeln sich überall kleinste Reste von Mehl und Teig an. »Damit es richtig sauber wird, muss alles raus. Erst dann ist die Küche koscher für Pessach«, freut sich die 62-Jährige auf den Zeitpunkt nach dem Kraftakt.

Allein kann sie das nicht bewältigen. Da reichen auch 35 Jahre Erfahrung kaum aus. Sieben Freunde der Leiterin haben sich daher Zeit genommen, um mit anzupacken. Schließlich müssen alle Vorräte aus den Kühlräumen entfernt werden. Dann die Gitterstäbe gewischt und die Fliesen mit einem Wasserstrahler abgespritzt werden. Auch in der Dunstabzugshaube hat sich viel Fett angesammelt. Dem wird mit Edelstahlreiniger zu Leibe gerückt.

Die Spülmaschine ist im Dauereinsatz. Das herkömmliche Geschirr muss dem Pessachporzellan weichen. Also wird alles, was die restlichen 357 Tage in Benutzung ist, gespült, getrocknet und in einen Abstellraum verbannt. Dieser wird für die Feiertage verschlossen.

Unterstützung »Meine Freunde helfen mir jedes Jahr. Dafür bin ich sehr dankbar«, sagt Weiss. Von morgens um sechs bis nachts um zehn schuften sie unentwegt und stellen dabei im wahrsten Sinn des Wortes die Küche auf den Kopf. Auch die Gemeindemitglieder bekommen das mit: Sie müssen einen Tag lang auf warme Speisen verzichten.

»Nur wenn alles geputzt ist, können wir unsere Religion in ihrer reinen Form ehren«, erläutert der Gemeinderabbiner Jaron Engelmayer. Dabei kommt ihm eine besondere Rolle zu. Er muss absolut sicher sein, dass alle Räume der Gemeinde frei von Chametz sind. Jede Küche, jeder Abstellraum muss frei von Gesäuertem sein. »In diesem Fall sind die religiösen Gesetze besonders streng. Es ist verboten, koscheres Essen mit Chametz in Berührung zu bringen. Sogar schon der Besitz von Chametz ist während des Pessachfests nicht erlaubt«, erläutert der Rabbiner. »Deshalb müssen wir schon zwei Wochen vor dem ersten Seder mit der Planung beginnen, damit alles gut verläuft. Das raten wir auch unseren Mitgliedern«, sagt Engelmayer.

Ist diese Aufgabe erledigt, konzentriert er sich voll auf die Gestaltung der Sederabende. Dabei mischt er die traditionelle Zeremonie mit modernen Elementen. Im vergangenen Jahr beteiligten sich viele Gemeindemitglieder über den Abend verteilt an den Rätseln zum Judentum, die er ihnen aufgab. »Vor allem für den Studentenseder ist die intellektuelle Herausforderung wichtig«, weiß der Rabbiner.

»Beim Familienabend ist der emotionale Moment entscheidender. Besonders wichtig ist mir, individuell auf meine Gemeindemitglieder einzugehen«, sagt der Rabbiner. Eine Mammutaufgabe, wenn man bedenkt, dass pro Abend um die 100 Menschen gemeinsam essen, beten, diskutieren und lachen. »Die Hauptsache ist, dass sie sich während der Zeremonie nicht einfach berieseln lassen. Sie sollen Pessach leben und fühlen.« Das kann schon mal bis ein oder zwei Uhr in die Nacht gehen. »Letztlich beansprucht aber das gemeinsame Essen die meiste Zeit«, fügt er schnell hinzu.

Denn allein schon das Essen ist mit vielen Emotionen verbunden. Auch wenn es aus religiöser Sicht nicht unbedingt Fisch sein muss. Auf der Karte für den ersten Seder steht dennoch immer wieder Gefilte Fisch. Der Geschmack des Gerichts mit Zwiebeln, Eiern und Mazzemehl bindet viele Bilder der Erinnerung.

gefilte Fisch »Ich esse gefilte Fisch nicht überall. Aber bei Frau Weiss schmeckt er mir immer sehr gut«, lobt Shirley Mertens, die Leiterin eines Kindergartens, die Kochkunst der Küchenchefin. »Man merkt, dass sie ihn mit viel Liebe zubereitet. Außerdem gibt es noch gute Salate und gesunde Beilagen. Das gefällt mir«, sagt die 38-Jährige.

Sie feiert den Vorabend des Festes immer zusammen mit ihrer Familie. Am ersten Tag Pessach wird sie zum Seder in der Roonstraße sein. »Dann können wir auch die anderen Gemeindemitglieder treffen. Das ist mal was anderes, als zu Hause im kleinen Kreis zu feiern.« Was das Chametz betrifft: Als Leiterin der Kindergartens rainbowtrekkers in Köln ist sie sehr angespannt. Daher hat sie für die Vorbereitungen für Pessach auch Hilfe im Haus. »Alleine würde ich das gar nicht schaffen«, gibt sie zu.

Für den zweiten Sederabend hat Elisabeth Weiss eine Beilage aus Kartoffeln und süßen Möhren vorgesehen und als Dessert hat sie sich ein Apfel-Quittenkompott ausgedacht. Schon der erste Bissen lässt Elisabeth Weiss an zahlreiche schöne Stunden mit ihrer Familie denken. »Heute leben meine drei Kinder in Israel und kommen nur ab und an zu Pessach nach Köln. Doch früher saßen wir den ganzen Abend am Tisch und haben die Gemeinschaft und das Menü genossen. Natürlich mussten wir immer arbeiten, also in die Küche gehen und aufpassen, dass nicht aus Versehen Chametz hineinkommt. Aber am Ende ist immer eine besondere Zeit.«

Und in dieser besonderen Zeit darf auf keinen Fall das besondere Geschirr fehlen. Fein säuberlich gestapelt, warten die Pessachteller und -tassen ein Jahr lang auf dem Dachboden auf ihren Einsatz. Nur an den acht Tagen der Erinnerung an den Auszug aus Ägypten werden sie benutzt.

»Bei mir zu Hause sieht es beim Putzen genauso chaotisch aus«, erzählt Weiss. Auch wenn sie das Fest schon immer in der Gemeinde begeht, pflegt sie die häusliche Tradition und reinigt ihre Wohnung bis auf die letzte Ecke. Getreu dem Motto: Das Chametz muss weg! Das denken wohl auch die rund 4000 weiteren Gemeindemitglieder in Köln.

BEsteck In der Kantine ist jetzt das Besteck an der Reihe. Das muss ebenfalls gekaschert werden, kommt es doch auch mit den zu Pessach verbotenen Speisen in Berührung. Dazu erhitzt Weiss literweise Wasser, in dem anschließend die Messer, Gabeln und Löffel versinken.

Nach stundenlanger Arbeit ist es in der Küche der Kantine so weit: Das Pessach-Geschirr steht bereit. Das Besteck ist gekaschert. Alle Küchenschränke, Regale, Wände und Arbeitsflächen sind auf Hochglanz gebracht. Der Rabbiner betritt die Küche, überprüft jeden Winkel ganz genau. Hat sich auch wirklich kein Kuchenkrümel versteckt? Nein. Alles einwandfrei.

»Dann kommt auch der Gasbrenner zum Einsatz«, sagt die Küchenchefin und zeigt auf einen verstaubten Karton. Der letzte Schritt. Das gesammelte Chametz wird angehäuft. Der Gasbrenner klickt. Die blaue Flamme sticht schnell hervor, und alles Gesäuerte verbrennt restlos. »Jetzt kann das frische Rindfleisch geliefert werden«, sagt sie. Denn erst, nachdem alles koscher für Pessach ist, darf die frische Ware in die Küche gebracht werden. Und die Vorfreude kann sich nun richtig entfalten.

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