Heidelberger Hochschulrede

Das unbedingte Ringen um Wahrheit

Carolin Emcke während ihrer Rede in der Aula der Alten Universität Heidelberg Foto: Hochschule für Jüdische Studien Heidelberg

Nach mehr als vier Jahren fand sie nun wieder statt, die Heidelberger Hochschulrede in der Aula der Alten Universität Heidelberg. Ins Leben gerufen wurde diese Veranstaltungsreihe 2005 von Salomon Korn, seinerzeit Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland und Vorsitzender des Kuratoriums der Hochschule für Jüdische Studien Heidelberg.

Viele namhafte Rednerinnen und Redner konnte sie bereits locken: angefangen mit dem Literaturkritiker und Autor Marcel Reich-Ranicki über Angela Merkel und die Schauspielerin Iris Berben bis hin zu Schauspieler und Moderator Harald Schmidt sowie der Sozialwissenschaftlerin und Autorin Necla Kelek. 

reise Carolin Emckes Präsentation war eine Veranstaltung der besonderen Art. Zum Thema »Zeugenschaft und Krieg – Über die Ethik des Erzählens« nahm die Autorin und Publizistin die Zuhörenden mit auf eine Reise: Anhand von Fotos konnten sie die Rednerin auf der Suche nach der Wahrheit begleiten.

Einige der gezeigten Bilder von Kriegsschauplätzen, versehrten Menschen und zerstörten Städten, die Emcke allesamt besucht hatte, wühlten ob ihrer dargestellten Grausamkeit auf – wobei Emcke stets rechtzeitig warnte, die Augen zu schließen, sofern man diese Darstellungen nicht sehen wolle. Im Kontext mit den sensiblen Worten der Vortragenden jedoch halfen sie dem Publikum dabei, die Schwierigkeiten der Zeugenschaft zu (be)greifen.  

Innerhalb von mehr als einer Stunde begleitete das Publikum Carolin Emcke auf ihrer Tour durch die Kriegs- und Trümmergebiete der Welt.

»Zeugin« statt distanzierte, objektive Beobachterin: Der Unterschied sei durchaus wichtig, so Emcke, da sich niemand für unfehlbar halten sollte. Stattdessen müsse sie als Zeugin, die eigene Subjektivität, die eigenen Irrtümer, die eigenen Grenzen reflektierend, stets um die Wahrheit ringen. Anders als die Menschen, von deren Leid sie berichtet, anders als die Überlebenden von Gewalt in Kriegsgebieten, kann sie wieder abreisen und ist sich dieses Privilegs bewusst.  

leidensgeschichten Das Trümmerfeld in Port-au-Prince (Haiti) nach dem Erdbeben 2010 kommentierte sie mit den Worten: »Zuerst lässt sich dieser Anblick nicht verstehen, dieses Ausmaß. Das Bewusstsein hinkt der Erfahrung hinterher.« Zum Nicht-Verstehen-Können aus Überforderung käme oft ein Nicht-Glauben-Wollen, Aspekte, die häufig in Kriegsberichten und Reportagen unerwähnt blieben. Gerade wenn versehrte Menschen ihre Leidensgeschichten erzählten, so Emcke, bestehe die Gefahr, dass in uns ein moralischer Widerstand erregt werde: Es könne einfach nicht sein, dass Menschen einander so etwas antun. 

Innerhalb von mehr als einer Stunde begleitete das Publikum Carolin Emcke auf ihrer Tour durch die Kriegs- und Trümmergebiete der Welt, gleichzeitig jedoch auch auf ihrer inneren Reise, die eigenen ideologischen und kulturellen Sichtblenden sowie normativen Erwartungen reflektierend – stets auf der Suche nach einer Beschreibung der Wahrheit. 

Die Trägerin des Carl-von-Ossietzky-Preises sprach frei, präzise und unaufgeregt. Nach der Präsentation lud sie zu Fragen aus dem Publikum ein. Und während Werner Arnold, der Rektor der Hochschule für Jüdische Studien Heidelberg, sie bereits in seiner Begrüßungsrede für ihren Mut bewunderte, zeigte Carolin Emcke während ihres Vortrags vor allem eines: ihre eigene Wahrhaftigkeit. 

Lesen Sie mehr in der kommenden Printausgabe der Jüdischen Allgemeinen.

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