Finanzen

»Bitte um beherzte Spenden«

Sparzwang: Die Kürzungen seien »lebensbedrohlich«, heißt es in der Synagogengemeinde Hüttenweg, Sukkat Schalom. Foto: Mike Minehan

»Die Jüdische Gemeinde zu Berlin muss wirklich sparen. Ich kürze deshalb in allen Synagogen die finanziellen Mittel.« Kultusdezernent Boris Braun ließ bei der Beterversammlung in der Synagoge Pestalozzistraße nicht mit sich spaßen. Mehrere Hundert Interessierte waren gekommen, viele brachten ihre Unzufriedenheit mit dem Sparkurs deutlich zum Ausdruck.

In der Synagoge Pestalozzistraße macht man sich Sorgen um den Zustand des Gebäudes. Seit Jahren soll das Haus renoviert werden. Außerdem wünschen sich die Beter, dass der Vertrag mit Rabbiner Tuvia Ben-Chorin verlängert wird. Darüber hinaus soll der Chor erhalten bleiben. Und mehrere Wochen lang würden die Gottesdienste ohne einen Rabbiner stattfinden, da Ben-Chorin nur eine Teilzeitstelle habe und selten durch einen anderen Rabbiner vertreten werde.

Für den Chor gibt es inzwischen vom Gemeindevorstand Entwarnung. »Der Chor als konstitutives Element der Synagoge Pestalozzistraße wird selbstverständlich weiterhin bestehen, er kann voraussichtlich mit den gleichen Zuwendungen rechnen wie in früheren Jahren«, versicherte der Pressesprecher der Jüdischen Gemeinde, Ilan Kiesling. Ebenso schätze der Vorstand die Arbeit von Ben-Chorin »außerordentlich«. Einiges spreche dafür, einen regulären Arbeitsvertrag mit ihm zu schließen. Dies obliege aber allein der Repräsentantenversammlung und stehe erst im kommenden Frühjahr an, so Kiesling.

Streichungen Protest gegen die Einsparungen regt sich auch in der Synagogengemeinde Hüttenweg, Sukkat Schalom. »Seit mehreren Monaten hat die Verwaltung die Miete in Höhe von 1000 Euro nicht mehr gezahlt – und auch nicht mit uns darüber gesprochen«, kommentierte Vorstandsmitglied Benno Simoni die Tatsache, dass die Sukkat Schalom nicht über die ersatzlose Streichung informiert worden war.

Auch die finanzielle Unterstützung von 1000 Euro monatlich sei der Synagogengemeinde ohne Ankündigung gestrichen worden. »Der Vermieter hat uns wegen des Mietrückstandes schon angesprochen«, sagt Simoni. Den Mietvertrag für die Räume hatte die Jüdische Gemeinde zu Berlin mit dem Trägerverein »All Saints«, der das Gebäude am Hüttenweg als Ganzes verwaltet, 1999 abgeschlossen. Dieser habe nun wegen der Mietschulden einen Rechtsanwalt eingeschaltet.

bittbrief Die Kürzungen seien »für diese kleine Gemeinde lebensbedrohlich«, schrieb Rabbiner Andreas Nachama kürzlich in einem Brandbrief. »Ich bitte Sie um eine beherzte finanzielle Unterstützung, denn die Jüdische Gemeinde zu Berlin verlässt offenbar den Weg der Einheitsgemeinde und schließt uns als einzige Reformsynagoge Berlins von allen Zuwendungen aus«, befürchtete Nachama.

»Sollte die Jüdische Gemeinde zu Berlin diesen Mietvertrag aufheben oder er wegen Nichtzahlung der Miete gekündigt werden, dann kommen auch diese Kosten auf Sukkat Schalom zu«, weiß Simoni. Und das könne der Verein kaum bewältigen. Kiesling wusste auch hier die ersten Wogen zu glätten.

»Die Miete für die Synagoge Hüttenweg wurde und wird nach wie vor von der Gemeinde überwiesen«, sagte er. Bedauerlicherweise sei aus nicht mehr nachvollziehbaren Gründen die monatliche Unterstützung unabsichtlich unterbrochen worden. Die Unterstützung werde weiterhin erfolgen und nicht gezahlte Gelder nachträglich überwiesen, teilte Kiesling mit. Bis Redaktionsschluss sei laut Simoni der Betrag jedoch noch nicht auf dem Konto eingegangen.

Rabbiner Yitshak Ehrenberg von der Synagoge Joachimstaler Straße ist ebenfalls unzufrieden. An den Sachmitteln sei gekürzt worden, ebenso werde ein zweiter Kantor für die Gottesdienste zu den Hohen Feiertagen nicht mehr bezahlt. Wenn der Kantor Urlaub habe oder krank sei, werde keine Vertretung mehr finanziert.

Erhöhung »Wir müssen streichen« – das musste sich auch Gabbai Garry Wolff von der Synagoge Herbartstraße anhören. Weggekürzt wurden Chor und Organist. Das fünfköpfige Ensemble aus Profisängern koste pro Gottesdienst 500 Euro. Insgesamt würde die Gemeinde durch die Kürzung 3000 Euro pro Monat sparen. Dafür sei der Etat für den Kiddusch von 115 auf 150 Euro erhöht worden. Den Gottesdienst leite ein Beter, der sefardischer Jude sei. Ein Rabbiner komme nur an den Hohen Feiertagen. Einen Festangestellten gebe es seit Jahren nicht mehr. Doch auch an materiellen Dingen fehle es. Laut Wolff benötige die Synagoge dringend eine neue Lüftung und einen neuen Teppich.

Die Sefardische Synagoge Passauerstraße muss um ihren Kiddusch fürchten. Hier soll der monatliche Betrag von 157 Euro gestrichen werden«, sagt Maurice Elmaleh, Zu Rosch Haschana sei der zweite Kantor eingespart worden. Es gebe weder eine Urlaubs- noch eine Krankenvertretung. »Von den Einsparungen habe ich noch nichts gemerkt«, sagt Grigorij Kristall, Synagogenvorsteher am Fraenkelufer. Er wisse auch nicht, was es bei dem geringen Etat noch zu kürzen gebe. Die meisten Gottesdienste würden ohnehin schon von den Betern gestaltet.

Heizung Bei der Synagoge Rykestraße seien die Einsparungen überschaubar, meint Hermann Simon vom Synagogenvorstand. »Bisher wurden nur die Sachkosten reduziert«. Allerdings sei die Heizung bislang nicht angestellt worden. Gerhard Baader, Gabbai der Synagoge Oranienburger Straße, ist entsetzt. »Statt acht gab es zu Sukkot nur noch zwei Lulawim.« Zu Jom Kippur wurde das Geld für einen zweiten Kantor gestrichen. »Ich bin verunsichert, denn ich weiß nicht, was morgen kommt.« Es sei Aufgabe einer Religionsgemeinschaft, die Liturgie sicherzustellen. »Wir erklären uns solidarisch mit allen anderen Synagogen.«

»Die Synagogen sind eine wichtige Säule des Judentums – da kann man doch nicht kürzen«, erregt sich Garry Wolff. Das scheint der Gemeindevorstand anders zu beurteilen: »Der Kultusbereich ist das Herzstück der Gemeinde, von dem alle Mitglieder gleichermaßen berührt sind.«

Vorbild Wolle man auch in anderen Bereichen sparen, dann sei es sehr viel einfacher, diese Kürzungen zu akzeptieren, wenn auch die Kultusabteilung mit gutem Beispiel vorangehe, sagt Kiesling. Der Wirtschaftsplan der Gemeinde weist für 2012 einen Gesamtetat von 27,5 Millionen Euro aus. Allein der Etat für die acht Synagogen belaufe sich auf rund 1,4 Millionen Euro.

Auch die privaten Synagogen haben Geldsorgen. »Die Synagoge Münstersche Straße erhält von der Gemeinde keinen einzigen Euro«, sagt Rabbiner Yehuda Teichtal von Chabad Lubawitsch. So würden etwa Spender gesucht, um den Kantor für die Gottesdienste bezahlen zu können. »Wir müssen uns der Realität des Alltags stellen«, so Rabbiner Chaim Rozwaski von der Synagoge Lev Tov. Die Beterschaft sei eine unabhängige, selbsttragende Gemeinschaft und sei abhängig von den Sponsoren. »Wir betreuen viele Menschen, deswegen bitten wir euch, uns finanziell zu unterstützen.«

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