Osnabrück

Alle unter einem Dach

An der Drei-Religionen-Schule in Osnabrück lernen Kinder ihre eigene Religion kennen, um sich dann mit den anderen über ihre auszutauschen. Foto: dpa

Sebastian und Ali kennen sich aus mit Synagogen, Moscheen und Kirchenliedern. Die beiden Neunjährigen besuchen die Drei-Religionen-Schule in Osnabrück. Kippa und Kopftuch gehören für die Kinder dort zum Alltag. Sie wissen, dass »koscher« und »halal« Speisevorschriften bezeichnen. Sie kennen Feste wie Chanukka, Zuckerfest oder auch Christi Himmelfahrt. Hat es wegen der Religion schon mal Streit auf dem Pausenhof gegeben? Der Katholik Sebastian zuckt die Schultern: »Nö, ich glaub’ nicht.«

Für Sebastians Mitschüler Ali ist es ganz selbstverständlich, auch christliche Freunde zu haben. Und mit dem einzigen Juden in seiner Klasse versteht er sich »normal«, wie er sagt. Dann wechselt der junge Muslim das Thema: »Im Sommer komm ich aufs Gymnasium«, erzählt er stolz. »Und im Ramadan faste ich – die ganze Zeit, obwohl ich noch gar nicht muss.«

besuche »Die Religion hat für Kinder, Eltern und Lehrer an der in Deutschland einmaligen Grundschule einen besonderen Stellenwert«, erklärt die 43-jährige Schulleiterin Birgit Jöring. Es gibt getrennten Religionsunterricht für christliche, muslimische und jüdische Schüler. Ansonsten sind die Klassen gemischt. Alle Feste werden gemeinsam gefeiert. Es gibt Projektwochen zu religiösen Themen, Besuche in den Gebetshäusern, Diskussionen über Trennendes und Gemeinsames.

»Jeder lernt seine eigene Religion kennen, um sich dann mit den anderen über ihre auszutauschen«, sagt Jöring. Nach ihrer Erfahrung schützt genau das vor Radikalisierung, Antisemitismus und Islamfeindlichkeit. »Wer seine eigene Religion wertschätzt, kann auch die andere achten.« Die Resonanz der weiterführenden Schulen gibt ihr recht. Von dort komme die Rückmeldung, die Schüler seien besonders tolerant und sozial engagiert. Auch Rabbiner Avraham Radbil, dessen Söhne ebenfalls die Schule besuchen, ist überzeugt von der Idee: »Die Kinder erfahren viel übereinander und lernen somit von klein auf, Unterschiede zu respektieren.«

Die Mädchen und Jungen an ihrer Schule schätzen es, wenn manche Mitschüler religiös lebten, erklärt Jöring. »Kippa und Kopftuch sind hier ausdrücklich erwünscht.« Sie würde es als Bereicherung empfinden, wenn auch eine katholische Nonne zum Kollegium dazustoßen würde. Es sei aber auch klar, dass im Schwimm- und Sportunterricht Mädchen und Jungen gemeinsam unterrichtet würden und dass alle teilzunehmen hätten. »Und wer Weihnachtslieder nicht mitsingen will, muss das nicht. Aber wir erwarten, dass er respektvoll zuhört. Und das klappt auch.«

Hänseleien Von den rund 170 Kindern sind knapp zwei Drittel Christen und etwa ein Drittel Muslime. Neun jüdische Kinder sind derzeit an der Schule. Das ideale Verhältnis von je einem Drittel lasse sich derzeit nicht verwirklichen, weil die jüdische Gemeinde zu klein sei, sagt die Leiterin.

Natürlich gebe es auch Auseinandersetzungen und Hänseleien. »Es fallen auch verletzende Schimpfworte«, räumt Jöring ein. »Aber wir thematisieren das direkt.« Die Schule in Trägerschaft der Schulstiftung des katholischen Bistums Osnabrück kann sich dafür zusätzliches Personal leisten. Etwa 20 Kinder pro Klasse werden meist von zwei Lehrkräften oder einer Lehrkraft und einer pädagogischen Mitarbeiterin unterrichtet. Es gibt eine eigene Sonderpädagogin mit voller Stelle, ab dem neuen Schuljahr noch zusätzlich einen Sozialarbeiter.

Doch entscheidend für den Erfolg sei in erster Linie das Konzept, das auch die Eltern einbeziehe und das die muslimischen Verbände und die Jüdische Gemeinde mit erarbeitet hätten, betont die Schulleiterin. »Aber natürlich entscheiden sich die Eltern bewusst für diese Schule und sind somit per se offen für ein Miteinander.«

Mittagessen Alis Mutter Fidaa Zeitun sind der islamische Religionsunterricht in deutscher Sprache und das halal zubereitete Mittagessen wichtig. Dafür nimmt sie in Kauf, dass ihr Sohn aus einem anderen Stadtteil täglich mit dem Bus zur Schule fahren muss.

Alexandra Laermann findet es gut, dass an dieser Schule entgegen dem Trend in der Gesellschaft die Religion hochgehalten wird und dass Juden, Christen und Muslime gleich behandelt und geachtet werden. Ihr Sohn Sebastian beneidet nur manchmal seine jüdischen und muslimischen Mitschüler – wegen der zusätzlichen Feiertage: »Die haben öfter schulfrei als wir.«

Berlin

»Ein bewegender Moment«

Am Donnerstag fand in Berlin die feierliche Ordination von zwei Rabbinerinnen sowie sechs Kantorinnen und Kantoren statt. Doch auch der monatelange Streit um die liberale Rabbinatsausbildung in Deutschland lag in der Luft

von Ralf Balke  09.09.2024 Aktualisiert

Neue Potsdamer Synagoge

Am Freitag wird der erste Gottesdienst gefeiert

Nach der feierlichen Eröffnung im Juli soll nun das religiöse Leben in der Synagoge in Potsdam langsam in Gang kommen. Am Wochenende sind erste Gottesdienste geplant

 06.09.2024

IKG

»Ein großer Zusammenhalt«

Yeshaya Brysgal zieht nach einem Jahr als Jugendleiter eine positive Bilanz und plant für die Zukunft

von Leo Grudenberg  04.09.2024

Keren Hayesod

»Das wärmt mir das Herz«

Der Gesandte Rafi Heumann über seinen Abschied von Berlin, deutsche Spielplätze und treue Spender

von Christine Schmitt  04.09.2024

Porträt der Woche

Sinn ernten

Caro Laila Nissen half nach dem 7. Oktober Bauern in Kibbuzim nahe Gaza

von Lorenz Hartwig  01.09.2024

Frankfurt

Dinner mit den »Zweiflers«

Die Jüdischen Filmtage überzeugen durch ein breites Spektrum an Angeboten

von Johanna Weiß  30.08.2024

Nationalität

Keine Stimme

Ein großer Teil der jüdischen Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion hat selbst nach Jahrzehnten noch keinen deutschen Pass – und darf deshalb nicht an Wahlen teilnehmen. Wie kann das sein?

von Joshua Schultheis  29.08.2024

Potsdam

»Sie können sich auf uns verlassen«

Bundeskanzler Olaf Scholz besichtigte das neue Synagogenzentrum im Herzen der Stadt

von Christine Schmitt  28.08.2024

Ausstellung

Stolze Lebensbilder

Das Jüdische Museum München zeigt Porträts jüdischer Bürger

von Ellen Presser  27.08.2024