Gemeinden

Aktiv und engagiert

Das Jugendzentrum Amichai von der Ortsgemeinde Frankfurt bei seiner Performance zur Jewrovision 2019 in den Messehallen Foto: Gregor Zielke

Die Angebote der Zentralwohlfahrtsstelle (ZWST) und des Zentralrats der Juden kommen sehr gut an. Das stellt der Direktor der ZWST, Aron Schuster, mit Blick auf die gerade veröffentlichten Mitgliederzahlen fest. Diese haben zwar gegenüber dem Vorjahr wieder leicht abgenommen. Doch auf den zweiten Blick zeige sich, dass gerade Programme für die unter 30-Jährigen gut angenommen werden. »Hier sehen wir, dass es den jüdischen Gemeinden und uns als sozialem Dachverband gelingt, erfolgreich sehr viele Menschen in dieser Altersgruppe zu erreichen. Das ist ja letztlich auch das Ziel, das wir uns gesetzt haben.«

geburten Die Statistik weist zum 31. Dezember 2019 rund 1100 Gemeindemitglieder weniger aus als ein Jahr zuvor. 1434 Sterbefällen stehen 245 Geburten gegenüber. Im vergangenen Jahr wurden 1586 Zugänge durch Zuzug aus anderen Staaten und Bundesländern, Übertritte oder Geburten gegenüber 2726 Abgängen verzeichnet.

Es gebe in der jüdischen Gemeinschaft trotz sinkender Mitgliederzahlen mehr Aktivitäten, unterstreicht auch der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster. Nie war die jüdische Infrastruktur nach dem Holocaust so gut wie heute, die Aktivitäten so umfassend, die jüdischen Angebote so vielfältig wie in den vergangenen Jahren.

ZUWANDERUNG Die sinkenden Zahlen spiegeln eine ganz normale Entwicklung wider, sagt der Zentralratspräsident. »Durch die Zuwanderung von Juden aus der ehemaligen Sowjetunion seit 1990 waren die Mitgliederzahlen überproportio­nal gestiegen.« Das habe sich inzwischen normalisiert. Die Einwanderung aus den Staaten der ehemaligen Sowjetunion sei weitestgehend abgeschlossen, sagt Schuster. Sie hatte Anfang der 90er-Jahre für eine Wiederbelebung des Judentums in Deutschland gesorgt. »Jetzt zeigen sich bei uns ähnliche Entwicklungen wie bei den Kirchen.«

Doch auch im Vergleich zu ihnen kann die jüdische Gemeinschaft bessere Werte vorweisen. Während die katholische Kirche im vergangenen Jahr 0,93 Prozent an Mitgliedern durch Austritte verlor, und die evangelische Kirche 1,02 Prozent, waren es bei den jüdischen Gemeinden nur 0,39 Prozent, die den Gemeinden durch Austritte verloren gingen.

Den sinkenden Mitgliederzahlen wolle man nicht einfach tatenlos zusehen, sagt Josef Schuster.

»Aufgrund des demografischen Wandels sind viele Gemeinden überaltert«, beschreibt Josef Schuster den Grund für die sinkenden Mitgliederzahlen. Der Abnahme stehe aber die Intensivierung jüdischen Lebens gegenüber. »Wir können ein sehr aktives jüdisches Leben verzeichnen, mit neuen jüdischen Schulen und der Einweihung und dem Neubau von Synagogen, wie zum Beispiel in Dessau«, sagt Schuster. Den sinkenden Mitgliederzahlen wolle man dennoch nicht einfach tatenlos zusehen.

GEMEINDEBAROMETER Im vergangenen Jahr hatte der Zentralrat die bislang größte Umfrage gestartet, das sogenannte Gemeindebarometer. Anhand der zusammengetragenen Daten wollte man herausfinden, wo die Angebote der Gemeinden verbessert werden können, warum Menschen Gemeinden verlassen haben oder nie Mitglied geworden sind. »Wir hoffen, dass wir ab dem Sommer auf Basis der Ergebnisse gezielte Maßnahmen entwickeln können, um die Mitgliederentwicklung wieder umzukehren«, sagt Schuster.

Das Zentralratsprogramm beginnt bei den jüngsten Gemeindemitgliedern von null bis drei Jahren und setzt fort bei den jungen jüdischen Familien mit dem Mischpacha-Programm, der Hilfe in jüdischer Erziehung und dem gerade aufgelegten PJ-Library-Projekt, das kostenlos Bücher mit Geschichten aus dem jüdischen Alltag verschickt.

JEWROVISION Ältere Kinder und Jugendliche kommen durch die Jewrovision und deren Vorbereitung zusammen. Auch wenn das Event in diesem Jahr wegen der Corona-Krise ausfallen musste, so hatten sich Hunderte von Jugendlichen doch intensiv in den Jugendzentren darauf vorbereitet. Das bedeutet Zusammenhalt und Gemeinschaft pur.
»Klar ist«, sagt der Zentralratspräsident, »wir werden uns alle gemeinsam anstrengen müssen, um das jüdische Leben nicht nur zu erhalten, sondern zu stärken.« Wie das im Einzelnen möglich ist, verraten die Zahlen der Mitgliederstatistik.

Anhand der Zahlen lässt sich sehen, wie viele Menschen aus welcher Altersgruppe es in welchen Gemeinden gibt.

Für ZWST-Direktor Aron Schuster liefern deswegen die jährlichen Zahlen sehr wichtige Hinweise. »Wir können uns anhand dieser Zahlen orientieren und erfahren, wie viele Menschen aus welcher Altersgruppe es in welchen Gemeinden gibt«, sagt Schuster, »und entsprechend unsere Programme darauf ausrichten.«

Im Jugendbereich legen die Statistiken zum Beispiel hinsichtlich der großen Sommerferienfreizeiten oder beim Jugendkongress mögliche Diskrepanzen offen: Gibt es Gemeinden, die verhältnismäßig viele Kinder und Jugendliche haben, von denen aber nur wenige an den ZWST-Aktivitäten teilnehmen, dann lasse sich regional nachsteuern, sagt Aron Schuster.

»Daher gibt die Mitgliederstatistik uns eine wichtige Orientierung, um zu sehen, wo wir regional Schwerpunkte setzen«, sagt der ZWST-Direktor. »Wir haben aber auch beobachtet, dass an der Zahl der Geburten ein Trend abzulesen ist, wenn man das über die vergangenen zehn Jahre sieht.« Das decke sich zwar mit der gesamtgesellschaftlichen Entwicklung, sei aber dennoch positiv zu bewerten.

STRUKTUREN »Wir sehen in vielen Bereichen, dass ganz professionelle Strukturen entstanden sind«, beschreibt Aron Schuster einen weiteren positiven Trend. »Dass die jüdischen Schulen wachsen, ist auf jeden Fall schon eine ganz bemerkenswerte Entwicklung«, die sich auch im Kitabereich bemerkbar mache. In Nürnberg soll demnächst eine neue jüdische Kita entstehen. »Wir haben gerade auch in den größeren Gemeinden Wartelisten für die jüdischen Kitas.« Das sei genügend Grund für Optimismus, meint Aron Schuster.

An der Nachfrage an jüdischen Kitas, Schulen und Jugendzentren lässt sich erkennen, dass junge Familien die Nähe zu den Gemeinden suchen.

Das Fazit aus der Betrachtung der Mitgliederzahlen laute: Die Gruppe der jüngeren Mitglieder ist zwar kleiner als die der älteren, »und deswegen müssen wir natürlich alles daransetzen, dass wir es schaffen, die jungen Menschen an die Gemeinden zu binden«, so Schuster. Er glaube aber, dass dies in den vergangenen Jahren durchaus auch gelungen sei. »Diesen Kurs gilt es nun fortzusetzen, eben auch durch Jugendzentren, Schulen und Kitas. Daran sehen wir ja, dass junge Familien wieder die Nähe zu den Gemeinden suchen.«

Die Mitgliederzahlen zu ermitteln, war in diesem Jahr, das ganz im Zeichen der Corona-Krise stand, nicht ganz einfach. »Die Gemeinden erhalten Formulare zur Eintragung ihrer Daten und müssen diese normalerweise bis Ende Februar zurücksenden«, beschreibt der ZWST-Direktor das Prozedere. »Wir haben den Gemeinden – auch, weil sie in der Corona-Zeit ganz andere Prioritäten hatten – deutlich mehr Zeit gegeben.«

In absoluten Zahlen betrachtet, hat die Israelitische Kultusgemeinde München und Oberbayern mit 9274 Mitgliedern der Jüdischen Gemeinde zu Berlin (9037) offenbar den Rang als mitgliederstärkste Gemeinde abgelaufen. Die drittgrößte Einzelgemeinde ist die Jüdische Gemeinde Düsseldorf (6657), darauf folgen die Jüdische Gemeinde Frankfurt (6316) und die Synagogen-Gemeinde Köln (4071) auf Platz fünf.

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