schweiz

Zeichen der Angst

Die Justizministerin ist ratlos, die Außenministerin in Erklärungsnotstand, die Initiatoren und Rechte im Ausland bejubeln den Erfolg. Die Gegner lecken ihre Wunden, und viele Fragen scheinen offen. Nach der Abstimmung über das Minarettverbot, die ein überraschendes und auch von Meinungsforschern nicht vorhergesehenes Ergebnis brachte, ist in der Schweizer Politik nichts mehr, wie es vorher war. Die rund 400.000 Muslime im Land fühlen sich – soweit sie sich überhaupt öffentlich äußern mögen – diskriminiert und ausgegrenzt.
Für ihre Frustrationen finden sie vor allem auf der linken Seite des politischen Spektrums offene Ohren. Dort macht zumeist Angst, dass nach der Abstimmung auf einmal auch Dinge in Frage gestellt werden, die bislang zum Selbstverständnis einer religiösen Gemeinschaft gehörten. Der unerwartete Triumph der Rechten scheint Begehrlichkeiten zu wecken, das Leben der Schweizer Muslime weiter zu reglementieren. So wird auf einmal auch darüber diskutiert, den Schwimmunterricht an Schulen kompromisslos durchzusetzen oder separate muslimische Friedhöfe zu verbieten. Auch ein mögliches Burka- Verbot für Frauen ist im Gespräch. Dies will nicht etwa die Schweizerische Volkspartei SVP lancieren, sondern die Mitte-Partei CVP (Christlich-Demokratische Partei). Die war eben noch gegen die Mina- rett-Initiative und auch sonst eigentlich nicht für Radikalismus bekannt.
Viele jüdische Schweizerinnen und Schweizer sind besorgt, dass es eines Tages auch für sie eng werden könnte im Alpenstaat. »Ich fürchte, dass die Kreise, die die Minarett-Initiative lanciert haben, zu weiteren Vorstößen ermutigt worden sind, die die Religionsfreiheit einschränken. Das kann sich dann auch gegen andere Religionsgemeinschaften richten«, sagt Herbert Winter, Präsident des Schweizerischen Israelitischen Gemeindebundes (SIG). Winter mahnt deshalb dringend eine grundsätzliche Wertediskussion an, die aufzeige, wie wichtig das Gut der Religionsfreiheit für eine Gesellschaft sei.
Bereits vor einigen Jahren hat sich die Schweiz als eines von wenigen europäischen Ländern mit dem Schächtverbot gegen die Religionsfreiheit entschieden. Um unliebsamen Grundsatzdiskussionen aus dem Weg zu gehen, wurde das Verbot einfach zur Tierschutzbestimmung erklärt und dann aus der Verfassung genommen. Das Minarett-Verbot soll nun in der Verfassung verankert werden – falls der Europäische Gerichtshof das Vorhaben nicht kippt. Auch das UNO-Hochkommissariat will prüfen, ob das Schweizer Votum gesetzeskonform ist.
Guy Rueff, Präsident der Israelitischen Gemeinde Basel (IGB), äußert sich ebenfalls skeptisch zu den Langzeitwirkungen des Minarett-Verbots für die jüdische Gemeinschaft: »Würde eine jüdische Gemeinde heute einen Synagogen-Neubau anstreben, wäre es fraglich, ob er durchkäme.« Im Gegensatz zu Deutschland mit seinen vielen Zuwanderern aus Osteuropa stehen Neubauten von Synagogen und Gemeindezentren in der Schweiz zurzeit nicht auf der Tagesordung. Immerhin gibt es für Rueff doch aber ein wenig Grund zur Beruhigung: Als einziger Kanton der Deutschschweiz hat Basel-Stadt (im Gegensatz zum konservativeren Kanton Basel-Land) das Begehren abgelehnt – allerdings knapper als erwartet.
Das interreligiöse Gespräch, in das auch die IGB eingebunden ist, scheine doch immerhin eine gewisse Wirkung zu zeitigen, sagt Rueff. Dass die Minarett-Initiative in den großen Städten, wo viel mehr Muslime leben als auf dem Land, trotzdem weniger Zustimmung fand, erinnert den IGB-Präsidenten an manche osteuropäische Länder während des Kalten Kriegs: »Dort gab es ja auch einen Antisemitismus ohne Juden.«
Vermutlich haben nicht wenige jüdische Stimmbürger trotz Wissens um die Sachlage ein »Ja« in die Wahlurne gelegt. Darauf weisen viele Gespräche innerhalb der jüdischen Gemeinden hin. Den Grund dafür schreibt SIG-Präsident Winter dem Nahostkonflikt und den auch bei Juden bestehenden Ängsten vor einer Islamisierung zu: »Da konnte man ein Zeichen setzen.« Ein Zeichen, das allerdings oft die Falschen abstrafen würde, so der SIG-Präsident. Denn ein Großteil der Muslime in der Schweiz kommt aus Bosnien oder der Türkei – trotz des aktuellen Konflikts zwischen Ankara und Jerusalem nicht gerade Frontstaaten gegen Israel.
Öffentlich jubelt bislang nur ein Jude über das Abstimmungsergebnis – und der ist kein Schweizer: Henryk M. Broder. Er kann dem Volksentscheid vom vergangenen Sonntag nur Positives abgewinnen: »Die Schweizer sind die erste europäische Nation, die sich in einer freien Abstimmung gegen die Islamisierung ihres Landes entschieden hat.« Peter Bollag

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