Auswanderung

Wo Milch und Honig fließen

von Uriel Heilman

Verläßt der Besucher das Gelände der Organisation Jewish Help von Addis Abeba, betritt er ein Armenviertel mit windschiefen, von Menschen überfüllten Wellblechhütten und abfallübersäten Seitenstraßen. Hier leben einige tausend Falasch Mura – von jüdischen, zum Christentum konvertierten Vorfahren abstammende Äthiopier, die jetzt zum Judentum zurückkehren, um nach Israel emigrieren zu können.
Sie kommen aus ihren abgelegenen Dörfern nach Addis Abeba und Gondar. Sie haben ihre Farmen und ihre Arbeit aufgegeben, um in der Nähe der Jewish Help und unter den Augen der israelischen Beamten zu leben, in deren Händen ihr Schicksal liegt. Jeden Monat werden etwa 300 von ihnen nach Israel ausgeflogen. Dort angekommen, ist ihnen die israelische Staatsbürgerschaft sicher. In Aufnahmelagern lernen sie Hebräisch und erfahren etwas über das Judentum. Wenn sie das Lager verlassen, erhalten sie als Kredit rund 90 Prozent der Summe, die sie für ein Eigenheim aufbringen müssen.
Ein großzügiges Paket – so großzügig, daß etliche Israelis und amerikanische Juden befürchten, die äthiopische Alija werde nie ein Ende finden. Im Februar 2003 hatte das israelische Kabinett beschlossen, die 26.000 Falasch Mura, die noch in Äthiopien leben, nach Israel zu holen. Vor einem Jahr erklärte sich Israel einverstanden, die Alija der 20.000 noch Verbliebenen zu beschleunigen. Man legte detailliert fest, wie die Rate von 600 Auswan-
derern pro Monat zu verdoppeln sei, um bis Ende 2007 alle Berechtigten nach Israel ausgeflogen zu haben.
Bislang aber ist der Plan nicht in die Tat umgesetzt worden. In den Augen vieler Beobachter hat das damit zu tun, daß sein wichtigster Verfechter in der israelischen Politik, Ariel Scharon, von der politischen Bühne abgetreten ist.
Kürzlich reiste eine Delegation von 70 Mitgliedern der Union of Jewish Congregations (UJC) für 36 Stunden nach Äthiopien, mit dem Ziel, die Alija-Pläne zu beschleunigen. Die Mission entstand fünf Monate nachdem die UJC eine 160-Millionen-Dollar-Spendenkampagne für Projekte außerhalb Amerikas ins Leben gerufen hatte. Von der Gesamtsumme sind 100 Millionen Dollar für die Alija der Äthiopier und ihre Eingliederung in Israel vorgesehen; die restlichen 60 Millionen Dollar sollen hauptsächlich für die Altersfür-
sorge in der ehemaligen Sowjetunion verwendet werden.
Selbst wenn die 100 Millionen Dollar für die äthiopische Alija in kurzer Zeit beschafft sein sollten, liegt der Löwenanteil der Last weiterhin auf den Schultern Israels. Laut Schätzungen der Regierung in Jerusalem kostet jeder äthiopische Einwanderer im Laufe seines Lebens den Staat durchschnittlich rund 100.000 Dollar. »Es ist sehr schwer, sie zu integrieren, und es gibt so viele arme Israelis, die ebenfalls Hilfe brauchen«, sagte Nachman Shai, Generaldirektor von UJC Israel. »Wir werden es schaffen, aber es braucht Zeit.«
Die Äthiopier, die heute auswandern wollen, nennen sich Beta Israel, eine Kastenbezeichnung, die auf das Schmiedehandwerk verweist, das die äthiopischen Juden – herabsetzend Fellachen genannt –jahrhundertelang ausübten, da ihnen Landbesitz verwehrt war.
In den frühen 80er Jahren hatte die israelische Regierung beschlossen, diejenigen Äthiopier aufzunehmen, die den jüdischen Glauben und ihre jüdische Identität beibehalten hatten. Die Falasch Mura aber, die sich bereits Generationen zuvor vom Judentum gelöst hatten, sollten nicht einwandern dürfen. In den 90er Jahren aber änderte sich Israels Politik ihnen gegenüber. Dies lag daran, daß sich amerikanische Juden für sie stark machten und in Israel lebende Verwandte von Falasch Mura lautstark protestierten.
In der ländlichen Provinz Gojam leben Falasch Mura in Siedlungen aus Stroh- und Schlammhütten. Obwohl sie in einer christlichen Kirche beten und in ihren Häusern Bilder der Jungfrau Maria hängen, nennen diese Menschen sich Beta Israel. Einige von ihnen haben Verwandte, die heute bereits in Israel leben.
In den vergangenen Jahren haben etliche Falasch Mura ihre Dörfer verlassen, um in den Städten zu leben, wo Israels Vertreter in Äthiopien arbeiten. Sie sagen, sie haben ihre christlichen Bräuche abgelegt. Manche tragen Kippot, wenn sie das Gelände der Jewish Help betreten. Viele nehmen Unterricht, um etwas über das Judentum zu lernen, und alle hoffen, daß die formelle Annahme des Judentums ihnen dabei helfen wird, nach Israel zu gelangen.
Es ist schwierig, die jüdische Herkunft dieser Äthiopier nachzuweisen. Die meisten von ihnen waren praktizierende Christen, bis ihnen gesagt wurde, sie müßten jüdisch leben, um sich für die Alija zu qualifizieren. Sie beantragen nicht, nach dem Rückkehrgesetz nach Israel auszuwandern, das jedem automatisch die israelische Staatsbürgerschaft verleiht, der einen jüdischen Großelternteil hat. Die israelischen Behörden überprüfen, ob die Falasch Mura nach humanitären Gesetzen nach Israel emigrieren dürfen. Wenn sie Angehörige in Israel haben, können sie im Rahmen der Familienzusammenführung einwandern. Das bedeutet aber, daß einige den Anspruch auf Einwanderung haben, die selbst keine Juden sind, sondern christliche Angehörige von Juden. Es wird angenommen, daß dies auf 30 Prozent der äthiopischen Olim zutrifft.
Das Prüfverfahren ist kompliziert und nimmt viel Zeit in Anspruch. Wie läßt sich nachweisen, wer mit wem verwandt ist, wenn es keine Geburtsurkunden oder überhaupt schriftliche Dokumente gibt? Das Prozedere macht es auch erforderlich, daß die israelischen Behörden gleichzeitig in Israel und in Äthiopien tätig sind, um Betrüger von den Ehrlichen zu unterscheiden. Denn viele Antragsteller wissen genau, daß jüdische Verwandschaft Voraussetzung für das Flugticket ist, mit dem sie Afrika verlassen können. Mehr als 75.000 Äthiopier sind seit den frühen 90er Jahren nach Israel ausgewandert.
Kritiker meinen, die israelische Regierung würde aus Gleichgültigkeit oder sogar Rassismus die Anerkennung der Einwanderer verzögern. Es gibt Äthiopier, die seit acht Jahren in Addis Abeba und Gondar warten. Der Verlust ihres Lebensunterhalts durch den Umzug in die Stadt hat sie in die Armut getrieben, sie sind abhängig von Hilfen, wie zum Beispiel dem Nahrungsmittelprogramm des American Jewish Joint Distribution Committee.
Eines scheint sicher: Je länger es dauert, die äthiopische Auswanderung abzuschließen, desto mehr äthiopische Olim wird es geben. Das erhöht den bereits bestehenden Druck, das Alija-Verfahren zu beschleunigen. Und zum ersten Mal seit langem scheint es, daß viele der nötigen Rädchen ineinandergreifen, um die Alija der Falasch Mura zu beschleunigen, damit das letzte Kapitel der äthiopischen Einwanderung nach Israel geschrieben werden kann.

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