Ukraine

Wie russische Rechtsextreme im Krieg für Kiew kämpfen. Einige sind jüdischer Herkunft

Vertreter der Russischen Freiheitslegion und des Russischen Freiwilligenkorps (RDK) Ende Mai nach einer Besprechung im Norden der Ukraine Foto: picture alliance / Photoshot

Ukraine

Wie russische Rechtsextreme im Krieg für Kiew kämpfen. Einige sind jüdischer Herkunft

Fünfte Kolonne? Eine Bestandsaufnahme

von Alexander Friedman  25.06.2023 07:24 Uhr

Seit Wochen wird das russische Gebiet Belgorod von der Ukraine intensiv beschossen. Heftige Kampfhandlungen finden statt, Vorstöße »ukrainischer Saboteure« werden gemeldet, die Presse berichtet über verletzte und getötete Zivilisten. Diese Aktionen, gepaart mit Drohnenangriffen, sind ein wesentliches Element der ukrainischen Großoffensive. Kiew will dadurch russische Kräfte im Grenzraum binden, Moskaus Schwachstellen ausloten und die Stimmung in Russland beeinflussen.

Im Westen beobachtet man die Entwicklungen mit gemischten Gefühlen: Einerseits wird der russische Aggressor nach dem biblischen Prinzip »Wer Wind sät, wird Sturm ernten« vorgeführt – andererseits befürchtet man eine Eskalation. Moskau jedoch agiert medial passiv und spielt die Brisanz der Situation herunter.

LEGION Neben Drohnenangriffen und dem andauernden Artilleriebeschuss des Gebiets Belgorod macht dem Kreml ein weiteres Phänomen zu schaffen: Rebellen der Legion »Freiheit Russlands« (SR) und des »Russischen Freiwilligenkorps« (RDK) – aufseiten der Ukraine kämpfende selbst ernannte »freie Bürger Russlands«, welche die Verantwortung für Aktionen im Grenzgebiet übernehmen, ihre Anhänger russlandweit anwerben und Putins Regime stürzen wollen.

Die »russischen Freiwilligen« drohen dem Kreml mit einem Vormarsch nach Moskau.

Selbstbewusst und entschlossen schildern »russische Freiwillige« ihre militärischen Erfolge und drohen den russischen Machthabern mit einem Vormarsch nach Moskau. Ihre Berichte lassen sich in der Regel nicht verifizieren. Über die tatsächliche Stärke der russischen Verbände kursieren widersprüchliche Angaben. Manche Militäranalysten halten sie gar für einen Bluff, für eine PR-Aktion der ukrai­nischen Kriegspropaganda.

Die Ukraine indes distanziert sich von »russischen Freiheitskämpfern« und bedient sich der russischen Strategie aus den Jahren 2014/15: Damals bestritt der Kreml die Kontrolle über Separatisten im ukrainischen Südosten, obschon dies offensichtlich war. Diesmal weist die Ukraine auf einen Bürgerkrieg in Russland hin, mit dem Kiew nichts zu tun habe.

Eine souveräne Reaktion der russischen Führung bleibt indes aus: Mal wird die bloße Existenz der »russischen Verbände« schlichtweg geleugnet, mal werden russische Kämpfer – vor allem von Propagandisten jüdischer Herkunft – als »Neonazis« verunglimpft und zu geistigen Nachfolgern der berüchtigten Wlassow-Armee stilisiert. Letztere bestand in erster Linie aus sowjetischen Kriegsgefangenen und hat im Zweiten Weltkrieg auf der Seite Nazi-Deutschlands gekämpft.

»FASCHISTEN« Immer wieder »Nazis« und »Faschisten« – für die russische Propaganda längst das wichtigste Feindbild. Aber hat Moskau diesmal vielleicht doch in gewisser Hinsicht recht? Zur SR-Legion und zum RDK gehören in der Tat etliche prominente Figuren der russischen Neonazi-Szene – darunter offene Hitler-Verehrer. Während die Legion ihre ideologische Agenda nicht weiter präzisiert, macht das RDK kein Hehl aus seinem Nationalismus und Rassismus: Die Russische Föderation soll in einen nach dem »Blut- und Leistungsprinzip« aufgebauten »Nationalstaat« umgewandelt werden.

Als RDK-Anführer fungiert der einstige Kölner Unternehmer und Fußballhooligan Denis Kapustin (Nikitin) – auch bekannt als »White Rex«. Besonders skurril mutet im Fall Nikitin an, dass dieser in der deutschen Neonazi-Szene offenbar gut vernetzte gebürtige Moskauer mit jüdischen Wurzeln in den frühen 2000er-Jahren ausgerechnet als sogenannter jüdischer Kontingentflüchtling nach Deutschland kam.

In Russland schreckt inzwischen nicht einmal der selbst erklärte »Freund des jüdischen Volkes«, Präsident Wladimir Putin, vor antisemitischer Rhetorik zurück und lässt sich über die jüdische Herkunft des ukrainischen Staatspräsidenten Wolodymyr Selenskyj aus. Auch RDK-Anführer Nikitin wird von manchen Autoren zu einem »jüdischen Nazi« stilisiert. Dabei werden seine jüdischen Wurzeln und seine biografische Verbindung zu Deutschland – dem »Mutterland des Nationalsozialismus« – besonders hervorgehoben.

Für Putins liberale Gegner, die im Exil leben, stellen die Entwicklungen ein Dilemma dar.

Antisemitische Parolen, die für die Neonazi-Szene nahezu selbstverständlich sind, sucht man bei den »russischen Freiwilligen« jedoch vergeblich. Sie bestreiten ihre Sympathien für Hitler und blenden das heikle »jüdische Thema« aus. Anders als Putin oder seinen Außenminister Sergej Lawrow scheint sie Selen­skyjs Herkunft nicht zu stören. Dieses Paradox ist offenbar kein Zufall. Es spiegelt vielmehr eine Doppelstrategie des ukrainischen Militärgeheimdienstes HUR wider, der Presseberichten zufolge hinter den »russischen Freiwilligen« stecken soll.

antisemitismus HUR-Chef General Kyrylo Budanow gilt als talentiert und sehr ambitioniert. Er profiliert sich als Kenner der internationalen Politik und vor allem Russlands. Da die Legion und das RDK international wahrgenommen und stets mit Kiew in Verbindung gebracht werden, sollte der Antisemitismus ihrem Ruf und vor allem dem Ruf der ukrainischen Streitkräfte nicht zusätzlich schaden. Das rechtsextreme Gedankengut russischer Kämpfer kommt zwar der Moskauer Propaganda zugute, die dadurch ihr Feindbild der »Nazi-Ukraine« untermauern kann.

Jedoch sieht der HUR mehr Vorteile als Nachteile für die Ukraine: In Kiew geht man davon aus, dass rassistische und nationalistische Ressentiments in Russland weit verbreitet sind. Sie zersetzen die russische Gesellschaft und könnten die Legion sowie das RDK für viele Menschen attraktiv machen.

Für Putins liberale Gegner aus Russland, die inzwischen im Exil im Westen leben, stellen die Entwicklungen im ukrainisch-russischen Grenzgebiet ein moralisch-ethisches Dilemma dar. Gerade Politiker und Intellektuelle jüdischer Herkunft hadern mit dem brisanten Thema. So findet der Schriftsteller Wiktor Schenderowitsch die Zusammenarbeit zwischen Kiew und russischen Neonazis unerträglich.

gesinnung Alexej Nawalnys Mitstreiter Leonid Wolkow relativiert die Bedeutung russischer Einheiten und hebt zugleich ihre Neonazi-Gesinnung hervor. Der einstige russische Oligarch und jetzige israelische Philanthrop Leonid Nevzlin reagiert hingegen gelassen auf die Legion und das RDK. Obschon er den Neonazi-Hintergrund einzelner Kämpfer nicht infrage stellt, lehnt er eine pauschale Diffamierung ab und findet den Einsatz der Russen im Kampf gegen Putin grundsätzlich nützlich.

Und genau das ist die Sicht der ukrainischen Staats- und Militärführung, die davon überzeugt ist, dass ein Existenzkampf nicht »in weißen Handschuhen« gewonnen werden kann. Russische Rechtsex­tremisten sind bereit, für die Ukraine zu kämpfen und zu sterben. Ihre Gesinnung spielt für Kiew keine Rolle. Sie sind ein nützlicher Teil der möglicherweise kriegsentscheidenden Offensive.

Amsterdam

Chanukka-Konzert im Concertgebouw kann doch stattfinden

Der israelische Kantor Shai Abramson kann doch am 14. Dezember im Amsterdamer Konzerthaus auftreten - allerdings nur bei zusätzlich anberaumten Konzerten für geladene Gäste

 13.11.2025

Meinung

BBC: Diese Plattform für anti-israelische Vorurteile und Extremismus ist nicht mehr zu retten

Der öffentlich-rechtliche Sender Großbritanniens hat sich anti-israelischen Vorurteilen und Extremismus geöffnet. Er braucht dringend Erneuerung

von Ben Elcan  13.11.2025

Raubkunst

Zukunft der Bührle-Sammlung ungewiss

Die Stiftung Sammlung E. G. Bührle hat ihren Stiftungszweck angepasst und streicht die Stadt Zürich daraus

von Nicole Dreyfus  10.11.2025

Geiseldeal

Itay Chen ist wieder in Israel

Die Leiche des 19-jährigen, israelisch-amerikanischen Soldaten wurde am Dienstagabend von Terroristen der Hamas übergeben

 05.11.2025

Jerusalem

Nach Eklat in Jerusalem: Westfälische Präses setzt auf Dialog

Projekte, Gedenkorte und viele Gespräche: Die Theologin Ruck-Schröder war mit einer Delegation des NRW-Landtags fünf Tage in Israel und im Westjordanland. Angesichts der Spannungen setzt sie auf dem Weg zur Verständigung auf Begegnungen und Dialog

von Ingo Lehnick  06.11.2025 Aktualisiert

Terror

Hamas übergibt erneut Leichen an Rotes Kreuz

Die Hamas hat dem Roten Kreuz erneut Leichen übergeben. Ob es sich bei den sterblichen Überresten in drei Särgen wirklich um Geiseln handelt, soll nun ein forensisches Institut klären

 02.11.2025

Augsburg

Josef Schuster und Markus Söder bei Jubiläumsfeier von jüdischem Museum

Eines der ältesten jüdischen Museen in Deutschland feiert in diesem Jahr 40-jähriges Bestehen. Das Jüdische Museum Augsburg Schwaben erinnert mit einer Ausstellung an frühere Projekte und künftige Vorhaben

 29.10.2025

Interview

»Wir sind für alle Soldaten da«

Shlomo Afanasev ist Brandenburgs erster orthodoxer Militärrabbiner. Am Dienstag wurde er offiziell ordiniert

von Helmut Kuhn  29.10.2025

Bayern

Charlotte Knobloch kritisiert Preisverleihung an Imam

Die Thomas-Dehler-Stiftung will den Imam Benjamin Idriz auszeichnen. Dagegen regt sich nicht nur Widerstand aus der FDP. Auch die 93-jährige Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde Münchens schaltet sich nun ein

von Michael Thaidigsmann  29.10.2025