Allmacht

Widernatürlich

von Moishe Baumel

Herrscher können stur sein. Als Pharao das Volk Israel nicht ziehen ließ, schickte der Ewige Plagen über Ägypten. Über die siebte Plage lesen wir im 2. Buch Moses 9,24: »Da fuhren Hagel und Feuer ineinandergreifend hernieder ...« Raschi bemerkt dazu, dass »dies ein Wunder im Wunder war, denn um dem Willen des Schöpfers zu gehorchen, hatten das Feuer und der aus vereistem Wasser bestehende Hagel Frieden geschlossen.« Dies bedeutet, dass weder das Wasser das Feuer löschte, noch das Feuer die Hagelkörner schmelzen oder gar verdampfen ließ, denn die beiden Elemente Feuer und Wasser schlossen Frieden miteinander. Doch was genau war die Lehre, die die Ägypter aus diesem übernatürlichen Phänomen, dem »Wunder im Wunder« ziehen sollten?
Im Auftrag des Ewigen verlangte Mosche die Freilassung der jüdischen Sklaven. Darauf reagierte Pharao mit harschen Worten: »Wer ist der Ewige, dass ich auf seine Stimme hören und Israel ziehen lassen sollte? Ich kenne den Ewigen nicht und werde auch Israel nicht ziehen lassen.« (2. Buch Moses 5,2)
Pharao sah in den verschiedenen, einander widersprechenden Naturerscheinungen genauso viele verschiedene, einander entgegengesetzte und sich bekämpfende Gewalten, so wie zum Beispiel Licht und Finsternis, Festland und Meer und schließlich in unserem Fall Feuer und Wasser. All diesen Naturerscheinungen glaubte die heidnische Antike als Gottheiten dienen zu müssen, um überhaupt im Leben zu bestehen. Solange Pharao nicht von einer über allen Naturgewalten stehenden, folglich göttlichen Allmacht überzeugt war, wollte er sich auch nicht vor dieser ihm »unbekannten Größe« beugen.
Oft versucht der Mensch, einmalige und vorerst unerklärliche Erscheinungen in seinem Leben unbekannten Naturgewalten zuzuschreiben. Er wird vielleicht zuerst eine Gesetzmäßigkeit in dieser außergewöhnlichen Erscheinung suchen. Wiederholt sie sich in einem mehr oder weniger regelmäßigem Rhythmus, so wird er von einem neuentdeckten Naturgesetz sprechen, dieses den anderen uns längst vertrauten zuordnen und beruhigt wieder zur Tagesordnung übergehen. Doch wenn das genaue Gegenteil dieses »neuen Naturphänomens« eintritt, fängt der Mensch an, sich genauer Gedanken zu machen und wird allmählich von einer höheren Intervention göttlicher Waltung überzeugt.
Ein Beispiel dafür finden wir in der Schrift im Buch der Richter. Gideon hadert mit Gott (Richter 6, 12-13). Er verlangt göttliche Zeichen, die ihm den himmlischen Schutz im Kampf gegen die bedrängenden Midjaniter, der ihm vom Engel vorausgesagt wurde, zusichern sollen (6,17). Zuletzt besteht er auf einem besonderen Beweis, um des von Gott verheißenen Sieges gewiss zu sein: Die in die Tenne gelegte Schurwolle soll am nächsten Morgen vom Tau durchnässt sein, der umgebende Boden aber trocken bleiben (6,37). Und Gott gewährt ihm diese Bitte. Doch Gideon ist noch nicht überzeugt. Er begehrt das Eintreten des umgekehrten Phänomens. So soll morgens dieselbe Wolle trocken bleiben, der Boden dagegen von Tau bedeckt sein. Erst als auch das eintritt, zieht Gideon in den Kampf.
Wir wollen versuchen, Gideons Gedanken nachzuvollziehen: Könnte beim ersten Mal nicht ein natürlicher Vorgang vorgelegen haben? Die Wolle sammelt vielleicht in diesen Breiten vermehrt Feuchtigkeit, die sie dem umliegenden Raum entzieht – möglicherweise also eine »Gesetzmäßigkeit«. Erst wenn genau am selben Ort, zur selben Zeit und unter denselben Bedingungen das Gegenteil eintritt, bleibt einem keine andere Wahl, als von einem das physikalische Gesetz brechenden »Wunder Gottes« zu sprechen.
Kehren wir zu Feuer und Hagel der siebten Plage zurück. Die zehn Plagen hatten ein viel höheres Ziel, als nur die Israel zugefügten Erniedrigungen und Leiden zu ahnden. Pharao hatte gesagt: »Ich kenne den Ewigen nicht«. Innerhalb seiner Götterwelt vergötterte er sich selbst und maßte sich an, ganze Völker zu versklaven, nur um den Wahn seines unmenschlichen Machthungers zu befriedigen. Er sollte in diesen zehn Heimsuchungen Schritt für Schritt erkennen und demütig eingestehen, dass ein einziger Gott im Himmel und auf Erden allein waltet. Erst bei der siebten Plage nimmt Pharao die für ihn vernichtende Erkenntnis hin, dass Gott nicht nur im Himmel, sondern auch auf Erden die einzige Macht ist. Doch was hatte schließlich den Stolz des bis dahin verstockten Pharaos bezwungen? Es war einzig und allein das »Wunder im Wunder« bei der Plage des Hagels. Während er jedes andere erstaunliche Naturphänomen auf noch so bemühte Weise in den Rahmen bekannter Naturgesetze zwängen konnte, war dies bei der Plage des Hagels nicht mehr möglich.
Feuer und Wasser sind noch heute die banalsten Schulbeispiele für unüberwindbare Gegensätze im täglichen Leben. Erst ihre friedliche Vermählung konnte Pharao zur uneingeschränkten Anerkennung Gottes führen. Erst jetzt war das oberste Ziel dieses grandiosen Schauspiels in zehn Akten erreicht, das eine ganze Nation, die führende Weltmacht jener Epoche, in ihren Grundfesten erschütterte.

Der Autor studiert am Rabbinerseminar der Jeschiwa Beit Zion in Berlin.

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