Bettina Röhl

»Von der Verantwortung verabschiedet«

Frau Röhl, als bei den Olympischen Spie-len in München 1972 palästinensische Terroristen 11 israelische Sportler als Geiseln nahmen und ermordeten, schrieb Ulrike Meinhof namens der RAF eine Erklärung, in der die Aktion der Terroristen regelrecht bejubelt wurde: Sie sei »antifaschistisch«, zeige »Mut«, »Kraft« und »Sensibilität für historische und politische Zusammenhänge«. Sie haben diesen Text im Januar in der Zeitschrift »Cicero« dokumentiert und in Ihrem Buch noch einmal ausführlicher behandelt. Meinhofs Erklärung gilt vielen als Dokument eines linken Antisemitismus. Sie halten diese Einschätzung eher für falsch. Warum?
röhl: Meinhof war ab 1970 eine jede Kritik verdienende Terroristin. Antijüdisch motiviert war sie nach allem, was ich erkennen kann, nicht. Wie sie übrigens auch keine Antifaschistin war, um einen anderen Irrtum hier auch anzusprechen. Sie war Kommunistin. Sie verfolgte die idealtypische reine Lehre, die Utopie, die Religion des wissenschaftlichen Sozialismus, des Atheismus und dies mit einer unumkehrbaren Konsequenz. Die simple Idee: Abschaffung des Privateigentums und Abschaffung aller Religionen würden sämtliche Herrschaftsverhältnisse zwischen Mann und Frau, Arm und Reich, zwischen den Klassen, zwischen den Staaten, zwischen den Kontinenten abschaffen. Nach der Weltrevolution, die so blutig sein dürfe, wie der Klassenfeind gefährlich sei, würde das Paradies auf Erden herrschen mit einem einzigen Weltstaat oder je nach Definition gar keinem Staat mehr. In diesem Weltstaat würden Hautfarbe, Herkunft keine Rolle mehr spielen und die Empfindungslage eines jeden einzelnen Menschen würde sich durch diese kommunistische Weltherrschaft qualitativ verändern: der neue Menschentypus. Es könnte also gar kein antijüdisches, antisemitisches, antiamerikanisches und so weiter Ressentiment mehr existieren. Die Kommunisten erklärten sich als selber von den Nazis Verfolgte für den Holocaust außerhalb jeder Verantwortung stehend. Meinhof war daher wohl eher keine Antisemitin; sie jubelte nicht über den Tod der ermordeten israelischen Sportler, weil sie Juden waren, sondern weil sie für sie Vertreter eines Erste-Welt-Landes und die palästinensischen Attentäter Vertreter eines Dritte-Welt-Landes waren.

Heißt das: Kommunismus schließt Antisemitismus per definitionem aus?
röhl: Unvorstellbarerweise: Nach dieser reinen Lehre eigentlich ja, jedenfalls aus der subjektiven Wahrnehmung eines Kommunisten. Ich fände es unseriös, den historischen Kontext zu negieren. Der Text von Meinhof stammt aus der Zeit des Kalten Krieges. Der gesamte Ostblock, einschließlich der DDR, unterstützte die Palästinenser und den palästinensischen Terror mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln. Der Ostblock war aber allein deswegen wohl nicht antisemitisch und in gewissem Sinne nicht einmal spezifisch antiisraelisch, sondern wollte die strategische Machtbalance zu seinen Gunsten verschieben. Der geistige Angelpunkt für Meinhof lag bei aller Distanz und Detailkritik in diesem Ostblock. Im Ostblock und auch in der westdeutschen (Extrem-)Linken wurde das Attentat der Palästinenser auf die israelische Mannschaft ja auch mit jener klammheimlichen Genugtuung im Kampf der Systeme gutgeheißen. Israel wurde als Imperialist, als 51. Staat der USA betrachtet. Ganze Heerscharen von sich selber als links bezeichnende Aktivisten haben in den siebziger und achtziger Jahren mit dem »Palästinensertuch« für die Weltrevolution gekämpft. Und haben mit eben diesem Tuch gewalttätige Ausschreitungen verübt gegen die Frankfurter Startbahn West oder gegen Atomkraftwerke und waren von der Idee beseelt, den Gewinn aus dem Verkauf der Tücher der palästinensischen Sache zukommen zu lassen. Man darf nicht vergessen, daß das Attentat in München mit deutscher Logistik aus Ost und West möglich gemacht wurde. Einer der Hauptdrahtzieher, Abu Daud, lebte nicht umsonst eine ganze Zeit am Prenzlauer Berg. Und eine Palästinenserzentrale gab es in Frankfurt am Main.

Wenn nicht als linken Antisemitismus, wie soll man das, was sie beschreiben, dann bezeichnen?
röhl: Ignatz Bubis schilderte mir in einem langen Interview-Gespräch 1999 seine konkreten Erfahrungen mit linkem Antisemitismus in Frankfurt. Für ihn stand fest, daß es einen nicht geringen linken Antisemitismus gibt. Ich persönlich finde es besser, statt von linkem oder rechtem Antisemitismus von Antisemitismus an und für sich zu sprechen. Antisemitismus ist keine Frage von links und rechts. Insofern halte ich es für kontraproduktiv, wenn doch eher neuerdings und für meine Begriffe zu sehr auf Spektakuläres hin Einzelne, wie zum Beispiel Ulrike Meinhof, herausgegriffen werden, und daß sich eine doch gar nicht so kleine Gruppe von Mitläufern durch ein Abdelegieren allzu sehr selber aus der Verantwortung stiehlt, die erschütternderweise ebenso gedacht hat. Anti-antisemitische Patentlösungen nützen allenfalls ihren Erfindern, schaden aber der Sache, die Welt frei von Antisemitismus zu machen. Man muß hier auch ganz klar darauf hinweisen, daß die westdeutschen Revolutionsphantasten sich zu einem guten Teil der berechtigten Interessen der Palästinenser, ge- richtet auf einen eigenen Staat, nur bedienten. Getreu Maos Lehren propagierten die Stadtguerilleros den Kampf in der Dritten Welt vor allem, um den Revolutionsfunken in die westlichen Staaten hereinholen zu können. Die deutsche Verantwortung für den Holocaust, davon hatten sich die Weltrevolutionäre unbeeindruckt und nur die anderen in der Verantwortung sehend mit Eiseskälte lange verabschiedet.

Wenn Ulrike Meinhof dem jüdischen Staat »Nazifaschismus« attestiert, Moshe Dayan als »Himmler Israels « bezeichnet und schreibt, Israel habe, »seine Sportler verheizt wie die Nazis die Juden« – was ist das? Links? Rechts? Deutsch?
röhl: Schrecklich, aber wahr: Das ist, auch wenn es heute keiner mehr gern wahrhaben will, der ins Extreme formulierte, aber damals verbreitete widerliche Psychologismus weiter linker Kreise, daß die Israelis sozusagen zwanghaft »wiederholten«, was ihnen von den Nazis einst selber angetan worden war. Nach dem Motto: Ein Sohn, der von seinem Vater geschlagen wurde, schlägt seinen Sohn. Diese gegen Israel gerichtete Haltung würde ich faschistisch nennen.

Das Gespräch führte Michael Wuliger.

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