Eide und Gelübde

Verbindlich

von Chajm Guski

Wir haben uns daran gewöhnt, dass ein öffentliches Versprechen nicht immer eingehalten wird. Oft werden besondere Umstände herangezogen, warum man es brechen musste. »Die Änderungen in der Gemeinde konnten nicht durchgeführt werden, weil ...«, »wir konnten die Steuern zu diesem Zeitpunkt nicht senken, weil ...«, oder »Sie wissen doch, wie das gemeint war.«
Vor allem Menschen in Spitzenpositionen sind in besonderem Maße gefordert, ihren Worten Glaubwürdigkeit zu verleihen. Gleich zu Beginn des Wochenabschnitts spricht deshalb Mosche insbesondere zu den »Häuptern der israelitischen Stämme«: »Folgendes hat der Ewige befohlen: Wenn ein Mann dem Ewigen ein Gelübde tut oder einen Eid schwört« (4. Buch Moses 30, 2-3).
Ein Gelübde, hebräisch Neder, und ein Eid, Schwua, sind in der jüdischen Tradition eine Sache, mit der nicht leichtfertig umgegangen werden darf – so wie überhaupt jedes gesprochene Wort mit Ernst zu behandeln ist. Die Tora erzählt, dass Gott dem Menschen Leben eingehaucht hat, und der Mensch dadurch zu einer Nefesch chaja, einer lebendigen Seele, geworden sei. An dieser Stelle übersetzt Onkelos dies mit »Ruach Memal’la«, »sprechender Geist«. Die Sprache zeichnet den Menschen besonders aus. Erinnern wir uns an die Worte Bileams, der Israel mit einem Spruch verfluchen sollte, es aber segnete. Das gesprochene Wort machte den Unterschied.
Auch in unserem Wochenabschnitt fällt dem gesprochenen Wort eine besondere Bedeutung zu: Einmal geäußert, ist ein Neder verbindlich. Eine solche Selbstverpflichtung kann den gleichen Status wie ein Toragebot haben. Um Gültigkeit zu erlangen, soll ein Gelübde jedoch auch laut ausgesprochen werden. Es muss Übereinstimmung zwischen Gemeintem und Gesagtem bestehen. Der Unterschied zwischen Neder und Schwua besteht darin, dass Neder den Status eines Gegenstands verändern kann. Wer sich verpflichtet, für 14 Tage keine Banane mehr zu essen, der macht die Banane für sich zu einer Speise, die er nicht mehr verzehren darf. Schwua ist eine Verpflichtung, eine spezielle Sache sehr wohl zu tun. So könnte man sich verpflichten, täglich eine Banane zu essen. Der Status der Banane bliebe davon unberührt. Auch hier gilt also: Worte machen den Unterschied. Durch Worte könnte man also die Banane zu einem »unkoscheren« Obst machen.
Das gesprochene Wort hat also ein großes Gewicht. Warum Mosche in den ersten Sätzen des Abschnitts ausgerechnet zu den Häuptern spricht, wurde bereits angerissen: Insbesondere Personen, die in leitenden oder führenden Positionen sind, lassen sich besonders schnell zu falschen Versprechungen hinreißen. Denken wir an die eingangs zitierten Versprechen. Das ist keine neue Erkenntnis, sondern sie stammt vom Chatam Sofer (Moses Schreiber, 1762-1839).
Heute begegnen uns Eide in der Regel nur noch in Gerichten und rechtlichen Erklärungen. Versprechen begegnen uns dagegen allerorts: in der Politik, in Beziehungen oder besonders in der Werbung. Die Bedeutung von Versprechen wurde bis zur Bedeutungslosigkeit aufgeweicht – durch viele nicht gehaltene Versprechen.
Die Tora benennt dies, in Bezug auf die Gelübde, konkret: »Wenn ein Mann dem Ewigen ein Gelübde tut oder einen Eid schwört, um sich selbst eine Verpflichtung aufzuerlegen, so soll er sein Wort nicht brechen« (30,3). Im hebräischen Text heißt es: »Lo jachel dewaro« – er soll sein »Wort nicht entheiligen«. Anders ausgedrückt: Das gesprochene Wort ist heilig, und jedes Handeln entgegen dem zuvor Gesprochenen entheiligt das Gesagte. Tun wir das häufiger, verlieren unsere Versprechen an Wert und zuletzt alles, was wir von uns geben. Im Buch Kohelet heißt es dazu: »Eile nicht mit dem Mund, und dein Herz eile nicht ein Wort hervorgehen zu lassen vor Gott! Denn Gott ist im Himmel und du auf der Erde, deshalb seien deine Worte wenig. Denn in vielen Mühen kommt der Traum und törichte Rede bei vielen Worten. Wenn du ein Gelübde ablegst vor Gott, zögere nicht, es zu erfüllen! Denn er hat keinen Gefallen an den Toren. Was du geboten hast, erfülle! Besser, dass du nicht gelobst, als das du gelobst und nicht erfüllst« (Kohelet 5, 1-4).
Aber die Passage bezüglich der Gelübde und Eide endet hier nicht. Wenige Sätze später wird berichtet, dass ein Mann die Gelübde seiner Frau oder seiner Tochter zurücknehmen kann, wenn er es unverzüglich tut: »und der Man vernimmt ein solches (Gelübde) eines Tages und schweigt ihr gegenüber dazu, so sind ihre Gelübde gültig, und ihre Entsagungen müssen bleiben. Hat es ihr aber der Mann an dem Tag, an dem er vernommen hat, verwehrt […] so hat er die Gelübde aufgehoben« (30,9).
Wenn wir die Frage außen vor lassen, warum Männer die Möglichkeit haben, die Gelübde ihrer Frauen aufzuheben, treffen wir auf eine weitere Regel, die uns lehrt, wie wir mit dem Gesagten anderer Menschen umzugehen haben. Der Mann nimmt gewissermaßen Teil am Gelübde, sobald er die gesprochenen Worte hört. Handelt er jetzt, so könnte er das Gelübde ungültig machen. Handelt er nicht, signalisiert er Zustimmung. Der Talmud sagt, dass Schweigen mit Zustimmung gleichzusetzen sei. Das passive Schweigen wird zu aktiver Zustimmung. Das macht uns die Tora bewusst, wenn sie über den Mann spricht, der die Gelübde seiner Frau aufheben kann.
Man kann sich also nicht mit der Ausrede »Ich habe doch selber gar nichts gemacht« verstecken. Die Tora verlangt eine Reaktion auf das, was um uns herum passiert. Wer zusieht oder zuhört, ohne Einwände geltend zu machen, der stimmt letztendlich zu und ist in gleicher Weise beteiligt an dem, was möglicherweise nicht zum Wohl der Gemeinschaft geschieht. Dies zeigt uns die Verbindung zwischen den Regelungen für die Gelübde und ihre mögliche Aufhebung.

Der Autor ist Mitglied der Jüdischen Gemeinde Gelsenkirchen und Begründer des egalitären Minjans Etz Ami im Ruhrgebiet.

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