Nebenkosten

Unbezahlbar

von Lisa Borgemeister

Wenn es ums Geld geht, schwingt bei der sonst so fröhlich klingenden Stimme von Judith Neuwald-Tasbach sofort ein ernster Unterton mit. Vor anderthalb Jahren hat sie als Beauftragte der Jüdischen Gemeinde Gelsenkirchen eine neue Synagoge eröffnet. Seitdem, so sagt die heutige Gemein-devorsitzende, gleiche die finanzielle Situation einem »ständigen Balanceakt«. Bislang blieb zwar keine Rechnung unbezahlt, keine Kreditrate ungetilgt und Neuwald-Tasbach glaubt fest daran, dass die Gemeinde den hohen Kostenfaktor »mit Gottes Hilfe« auch weiterhin stemmen kann. »Aber bedrückend ist das manchmal schon«.
Gelsenkirchen steht mit diesem Problem bei Weitem nicht alleine da. Durch den enormen Zuzug von Juden aus Osteuropa sind die Gemeinden stark gewachsen, die vorhandenen Räume längst zu klein geworden. Immer mehr Städte planen eigene oder größere Synagogen, sie hoffen, die jüdische Religion und Kultur damit beleben zu können. Speyer, Herford, Mainz und Schwerin sind nur einige der aktuellen Beispiele. Die Finanzierung des Baus wird meist von Stadt und Land mitgetragen. Doch die Folgekosten bleiben an den Gemeinden hängen. Nicht alle machen sich vorher bewusst, was das bedeutet.
Denn zu den normalen Nebenkosten für Gas, Wasser und Strom kommen Wartungsverträge und Aufwendungen für die vorgeschriebene Sicherheit. Schließlich: Mehr Gemeindearbeit und ein umfangreicheres Angebot kosten auch mehr Geld. Die Liste der regelmäßigen Geldeingänge ist dagegen eher kurz. Neben der Synagogensteuer und den Mitgliedereinnahmen gibt es Zuschüsse für die religiöse Arbeit. Wer so viel Glück hat wie die Gelsenkirchener, bekommt noch die Mieteinnahmen einer gemeindeeigenen Wohnung. Das war’s dann aber auch.
»Das größte Problem an Synagogenbauten sind die Unterhaltskosten« – diese Beobachtung hat auch Vorstandsmitglied Jacob Gutmark von der Jüdischen Gemeinde Wiesbaden gemacht. Viele Gemeinden seien der Meinung, sie bekämen die nötige Unterstützung zur rechten Zeit schon »irgendwoher«, berichtet er. Doch durch den hohen Anteil von Sozialhilfeempfängern und alten Menschen fallen die Mitgliedsbeiträge zunehmend gering aus. Wenn das Geld dann knapp werde, müsse die Gemeinde am Angebot sparen und könne ihr neues Haus im schlimmsten Fall nicht beleben. »Es ist wichtig, dass sie sich schon vor dem Bauprojekt ihrer Verantwortung und der Belastung bewusst werden«, appelliert Gutmark deswegen.
Die Wiesbadener Gemeinde, die mehrheitlich aus Zuwanderern der ehemaligen Sowjetunion besteht, hat das Problem der laufenden Kosten galant gelöst: Ein Vertrag mit der Stadt sichert der Gemeinde regelmäßige Finanzspritzen zu. Dafür liegt die Pflege des deutsch-jüdischen Kulturerbes in der Hand der Gemeinde. »Der Verwaltung erspart das eine Menge Arbeit, weil sie nicht so viele Einzelanträge bekommt«, weiß Gutmark. Außerdem habe Wiesbaden großes Interesse an einem regen jüdischen Leben in der Stadt. »Uns hingegen erleichtert es die Planung. Wir müssen zwar alle Ausgaben nachweisen und offen- legen. Aber das ist ja auch richtig so.«
In Hessen hat Gutmark für das Modell schon kräftig die Werbetrommel gerührt. Neben Wiesbaden und Darmstadt sind seinen Angaben zufolge nun auch in Marburg und Kassel Stadtverträge vorgesehen. Gerade für Gemeinden mit Neubau- plänen sei so ein Stadtvertrag eine erstrebenswerte Alternative.
Um die Kosten auch alleine im Griff zu behalten, hat sich die Kultusgemeinde Göttingen von vornherein für eine kleinere Variante entschieden: Vor wenigen Wochen weihte sie einen Betraum in der Etage eines Wohnhauses ein. »Für eine Gemeinde mit weniger als 300 Mitgliedern sind die Kosten für eine eigene große Synagoge kaum zu stemmen«, erklärt Sara-Ruth Schumann, stellvertretende Vorsitzende des Landesverbands der Jüdischen Gemeinden von Niedersachsen, diesen Schritt. Sie warnt alle Gemeinden vor zu großem Optimismus: »Wir werden nicht mehr so viel Zuwachs bekommen wie in den vergangenen Jahren. Auch dann nicht, wenn wir mit großen Synagogen locken können.«
Die Gemeinde in Gelsenkirchen zählt 430 Mitglieder. Gewachsen ist sie seit der Eröffnung der Synagoge im Februar 2007 tatsächlich nicht. Aber die Gottesdienste und Feiern sind nach Angaben der Vorsitzenden Neuwald-Tasbach deutlich besser besucht als vorher. Mittlerweile hat die Gemeinde sogar einen Rabbiner eingestellt. »Da hat sich ein riesiger Wandel vollzogen«, freut sich die Vorsitzende, »das Gemeindeleben hat sich deutlich intensiviert.« An manchen Tagen sei das neue Haus schon fast wieder zu klein für die vielen Gäste. Vorhersehen konnte diesen Wandel aber niemand. »Man weiß nie, ob die Gemeindemitglieder das neue Gebäude zu ihrem Zuhause machen. Bei uns hat das zum Glück funktioniert.«
Dass es mit einem Neubau noch längst nicht getan ist, weiß auch der Vorsitzende der Jüdischen Kultusgemeinde der Rheinpfalz, Michael Tsenteris. »Eine Synagoge alleine bringt uns noch gar nichts. Es liegt an uns, das Haus mit Leben zu füllen«, sagt er mit Blick auf das geplante Gotteshaus in Speyer. Er hofft, dass mehr Mitglieder in Speyer aktiv werden, wenn die äußeren Rahmenbedingungen erst einmal geschaffen sind. Und, dass es eine Reihe von Neu-Eintritten in die Gemeinde gibt. »Der jetzige Raum ist ein absoluten Provisorium, mehr schlecht als recht«, sagt er. »Mit der neuen Synagoge haben wir die Chance, das jüdische Leben in und um Speyer zu beleben.«

Geburtstag

Holocaust-Überlebende Renate Aris wird 90

Aris war lange stellvertretende Vorstandsvorsitzende der Jüdischen Gemeinde Chemnitz und Präsidiumsmitglied des Landesverbandes Sachsen der Jüdischen Gemeinden. 1999 gründete sie den ersten jüdischen Frauenverein in den ostdeutschen Bundesländern

 25.08.2025

Nahost

Alabali Radovan besucht Palästinensergebiete: Hilfe im Fokus

Die Entwicklungsministerin will in Tel Aviv diese Woche Angehörige von Geiseln treffen und das Westjordanland besuchen

 25.08.2025

Würzburg

AfD-Mann Halemba wegen Volksverhetzung vor Gericht

Die Staatsanwaltschaft wirft dem bayerischen AfD-Landtagsabgeordneten Halemba auch Geldwäsche und Nötigung vor

von Angelika Resenhoeft, Michael Donhauser  21.08.2025

Ehrung

Ravensburger-Stiftung ehrt Bildungsstätte Anne Frank mit Preis

Es werde eine herausragende Bildungsinitiative gewürdigt, teilte die Stiftung mit

 20.08.2025

Athen

Israelische Firma übernimmt griechischen Rüstungsbauer

Griechenlands größter Hersteller von Militärfahrzeugen ist nun komplett in israelischer Hand. Die strategische Zusammenarbeit im Verteidigungssektor wird damit weiter vertieft

 20.08.2025

Jerusalem

Planungsausschuss berät über E1-Siedlung

Es geht um den Bau von rund 3400 Wohneinheiten in dem Gebiet zwischen Ost-Jerusalem und der Siedlung Ma’ale Adumim

 20.08.2025

Jerusalem

Israel entzieht Vertretern Australiens in Palästinensergebieten Visa

Australien ist eines der westlichen Länder, die im kommenden Monat einen palästinensischen Staat anerkennen wollen. Darauf und auf Einreiseverbote für israelische Politiker folgt ein Gegenschritt

 18.08.2025

Halle

Datenbank über Opfer medizinischer Forschung in NS-Zeit veröffentlicht

Tausende Menschen wurden im Nationalsozialismus zu medizinischen Untersuchungen gezwungen. Ihre Schicksale sollen nun sichtbar werden

 18.08.2025

Dresden

Tora-Rolle entsteht in aller Öffentlichkeit

Vor dem Dresdner Stadtmuseum kann demnächst jeder durch ein Schaufenster zusehen, wie eine Thora-Rolle entsteht

 14.08.2025