Pinchas

Übereifrig

von Rabbiner
Benjamin David Soussan

Der nach Pinchas, dem Eiferer, benannte Wochenabschnitt greift das Phänomen des Glaubenseifers auf. Die Stellungnahme zu diesem Problem ist heute äußerst aktuell. Es ist deshalb von großer Wichtigkeit, festzustellen, welchen Platz der fanatische Eifer in Bibel und Talmud einnimmt und was unsere Dezisoren, die Beantworter halachischer Fragen, dazu zu sagen haben.
Warum wurde Jehoschua Mosches Nachfolger und nicht Pinchas? Der Kotzker Rabbi erklärt: Als Mosche vernahm, dass Pinchas von G’tt hoch geschätzt wurde, musste er befürchten, dass Pinchas sein Nachfolger werden könnte. Doch Mosche wusste, dass Pinchas nicht die Eigenschaften eines Volksführers besaß. Pinchas war allzu radikal und brauste schnell auf, er wäre mit diesem hartnäckigen Volk nicht zurechtgekommen. Daher betete Mosche: »Es bestelle der Ewige, G’tt der Geister in allem Fleische, einen Mann über die Gemeinde. Erkenne einen geduldigen und gelassenen Führer, der mit allen Kreisen des Volkes harmonieren kann. Erkenne einen Volksführer, der viel Sanftmut besitzt, genau wie Du, G’tt. Er soll Interesse, Liebe und Geduld gleichermaßen allen Klassen des Volkes entgegenbringen.«
Targum Jonathan identifiziert Pinchas mehrfach mit dem Propheten Elijahu, so in der Übersetzung des Verses: »Ich gebe ihm meinen Bund des Friedens« (4. Buch Moses 25, 12). Die aramäische Wiedergabe des Verses ist zugleich eine Interpretation: »Ich schließe mit ihm einen Friedensbund und mache ihn zu einem beständigen Boten, der ewig leben wird, um die Erlösung am Ende der Tage anzukündigen.«
Die Tatsache, dass dem Eifer, der im Totschlag seinen Ausdruck findet (4. Buch Moses 25, 7-8), der Segen des Friedens gegeben wird, ist äußerst erstaunlich. Einige Kommentatoren haben sich mit diesem Thema beschäftigt.
Rabbi N.Z.J. Berlin, bekannt als der Naziv, schreibt in seinem Werk Haamek Dawar über den psychologischen Hintergrund des Eifers: »Sogar derjenige, der in seinem Eifer nach den erhabensten Idealen strebt, wird letzten Endes von unvermeidlichen Handlungen wie Totschlag so weitgehend beeinflusst, dass er im Aufruhr seines Gemütes sein seelisches Gleichgewicht verliert. Nicht allein, dass der grenzenlose, ungezügelte Eifer die Gesellschaft gefährdet, sondern der Eiferer selbst ist der Gefahr ausgesetzt, von der Glut seines Fanatismus angesteckt zu werden und selber zu Schaden zu kommen.«
Der Naziv führt aus: »Als Belohnung dafür, dass Pinchas den Zorn des Ewigen und Seinen Grimm beschwichtigt hatte, segnete ihn der Herr mit dem Segen des Friedens, dass er in Zukunft nicht zu streng und überempfindlich sein möge, weil es in der Natur seiner Tat – des Totschlags mit eigener Hand – lag, im Herzen auch später einen Restbestand von Grausamkeit wirksam zu lassen. Weil aber Pinchas alles zu Ehren G’ttes getan hatte, bekam er den Segen des Friedens, dass er stets seine Gemütsruhe und seine seelische Ausgeglichenheit bewahren möge, und dass der Fanatismus ihm keinen Schaden zufügen solle.«
Jehoschua erhielt die Führung nicht deshalb, weil seine Eigenschaften an diejenigen von Mosche heranreichten. Der Midrasch (Bamidbar Rabba 12) erklärt anhand eines Gleichnisses, weshalb Jehoschua es verdiente, Mosches Nachfolger zu werden. Die Erklärung basiert auf dem Vers: »Der Hüter eines Feigenbaumes wird seine Früchte essen, und der Wächter seines Herrn wird geehrt werden« (Sprüche 27,18). Jehoschua verdiente es, weil er Mosches Talmid Muvhak war, sein Musterschüler. Jehoschua bediente Mosche in allen Lebenslagen. Nie verließ er das Zelt seines Lehrers. Unsere Weisen beschreiben, wie er die Matten und Bänke in Mosches Lehrhaus zurechtrückte, damit die Leute sitzen konnten.
Wenn wir schon nicht danach trachten können, ein Mosche Rabbenu zu werden, so lehren unsere Weisen, sollten wir wenigstens versuchen, treue Diener für die hervorragenden Menschen zu sein, genau so wie Jehoschua seinem Meister treu ergeben war.
Eine Weisheit über menschliche Einschätzung können wir dem Talmud entnehmen: »Der König Jannaj (Alexander) sprach zu seiner Frau (vor seinem Tode): ›Fürchte weder die Pharisäer noch die Nichtpharisäer, sondern die Heuchler, die sich als Pharisäer ausgeben; sie begehen Handlungen wie die des Simri und verlangen Belohnung wie Pinchas‹« (Sota 22b).

Der Autor ist Rabbiner der Israelitischen Gemeinde Freiburg.

Diplomatie

Netanjahu geht auf Belgiens Premier los

Für seine Entscheidung, Palästina als Staat anzuerkennen, wird Bart De Wever vom israelischen Ministerpräsident persönlich attackiert

von Michael Thaidigsmann  04.09.2025

Hannover

Angriff auf Gedenkstätte: Staatsanwaltschaft erhebt Anklage

Ein 26-jähriger Rechtsextremist war im Mai in Budapest festgenommen worden

 02.09.2025

Nahost

Deutscher Beauftragter für Menschenrechte reist nach Israel

Lars Castellucci macht sich ein persönliches Bild von der Lage in Israel und den palästinensischen Gebieten. Ein Augenmerk liegt darauf, wo deutsche Hilfe möglich ist - und wo sie behindert wird

 01.09.2025

Rotes Meer

Huthi greifen Öltanker an

Das Schiff gehört einem israelischen Milliardär

 01.09.2025

Ankara

Türkei bricht Handelsbeziehungen zu Israel ab

Der Handel der Türkei mit Israel belief sich im Jahr 2023 noch auf mehrere Milliarden US-Dollar. Nun bricht die Türkei alle Handelsbeziehungen zu Israel ab. Doch es ist nicht die einzige Maßnahme

 29.08.2025

Geburtstag

Popstar der Klassik: Geiger Itzhak Perlman wird 80

»Sesamstraße«, »Schindlers Liste« und alle großen Konzertsäle der Welt natürlich sowieso: Der Geiger gehört zu den ganz großen Stars der Klassik. Jetzt wird er 80 - und macht weiter

von Christina Horsten  29.08.2025

Bonn

Experte: Opfer mit Bewältigung von Rechtsterror nicht alleinlassen

Der erste NSU-Mord liegt beinahe 25 Jahre zurück. Angehörige der Opfer fordern mehr Aufmerksamkeit - und angemessenes Gedenken, wenn es um rechtsextreme Gewalt geht. Fachleute sehen unterschiedliche Entwicklungen

 29.08.2025

Frankfurt am Main

Michel Friedman will nicht für TikTok tanzen

Es handle sich um eine Plattform, die primär Propaganda und Lügen verbreite, sagt der Publizist

 28.08.2025

Geburtstag

Holocaust-Überlebende Renate Aris wird 90

Aris war lange stellvertretende Vorstandsvorsitzende der Jüdischen Gemeinde Chemnitz und Präsidiumsmitglied des Landesverbandes Sachsen der Jüdischen Gemeinden. 1999 gründete sie den ersten jüdischen Frauenverein in den ostdeutschen Bundesländern

 25.08.2025