bundeswehr

sollten juden in der bundeswehr dienen?

von Bernhard Fischer

Am 9. Mai 1955 trat die Bundesrepublik der NATO bei, und damit begann die Integration in das westliche Bündnis. Dies war auch der Anfang der Bundeswehr, zu deren Neuaufstellung es angesichts der geschichtlichen und verfassungsmäßigen Voraussetzungen kein Vorbild gab.
Für deutsche Juden war es nach dem Schrecken der Naziherrschaft nicht vorstellbar, je wieder in einer deutschen Armee zu dienen. Junge jüdische Wehrpflichtige werden deshalb trotz der gel- tenden Wehrpflicht nicht gegen ihren Wil- len eingezogen, wenn die Eltern oder Großeltern zu den Verfolgten des Naziregimes zählen. Nach Angaben des Verteidigungsministeriums ist es Praxis, dass eine Einberufung mit Rücksicht auf die Geschichte als »unzumutbare persönliche Härte« angesehen wird. Ein Wehrpflichtiger jüdischen Glaubens kann eine Rückstellung beantragen. Gleichwohl haben auch seit Beginn der Bundeswehr einige Juden ihre Wehrpflicht aus den verschiedensten Gründen abgeleistet.
Die Bundeswehr – als »Armee im Bündnis« – sieht sich ausdrücklich nicht in der Tradition der Wehrmacht, sondern in der preußischer Reformer zu Beginn des 19. Jahrhunderts und dem militärischem Widerstand im nationalsozialistischen Regime. Vor allem aber ist die Bundeswehr in der eigenen über 50-jährigen Geschichte als demokratische Armee mündiger Staatsbürger in Uniform zu sehen. Durch Wehrverfassung und die Wehrgesetzgebung werden klare Grundsätze vorgegeben. Die Menschenwürde ist oberstes Leitprinzip aller staatlichen Gewalt, also auch der Streitkräfte. Der »Staatsbürger in Uniform«, das Konzept der Inneren Führung und ein offensiver Umgang mit der Vergangenheit sind hoffnungsvolle Zeichen für diese Armee. Natürlich gab es seit Bestehen der Bundeswehr auch antisemitische Vorfälle; jedoch muss man sagen, dass die Bundeswehrführung von Anfang an unbeirrt gegen rechtsextreme Agitation und Antisemitismus vorging – wesentlich konsequenter als so mancher Bündnispartner.
Die Bundeswehr respektiert jüdische Feiertage und den Schabbat. An den Feiertagen können jüdische Soldaten in der Regel Urlaub nehmen, an Samstagen werden sie nicht zum Dienst eingeteilt. Auch auf die Speisegesetze wird Rücksicht genommen. So hat zum Beispiel ein jüdischer Kamerad auch beim Einsatz in Afghanistan auf koscheres Essen nicht verzichten müssen. Deutsche Soldaten stammen heute aus den unterschiedlichsten Kulturen und Glaubensrichtungen und haben ebenso verschiedene Migrationshintergründe.
Die Bundeswehr ist eine Einsatzarmee, die sich in weltweiten Kriegs- und Kriseneinsätzen nicht nur bewährt, sondern auch hohe Anerkennung der Bündnispartner und der Bevölkerung in den Einsatzgebieten erlangt hat.
Die Bundeswehr verpflichtet sich, die freie und ungestörte Religionsausübung ihrer Soldaten hinreichend zu gewährleisten. Der Generalinspekteur der Bundeswehr, General Wolfgang Schneiderhan, sagte anlässlich der Jahrestagung des Bundes Jüdischer Soldaten am 18. November 2007, dass jüdische Soldaten in der Bun-deswehr ein hoffnungsvolles Zeichen sind. »Es belegt, dass die Bundesrepublik Deutschland aufgrund ihrer freiheitlichen demokratischen Rechtsordnung und dank ihres aufrichtigen Bemühens, die Vergangenheit nicht zu verdrängen, sondern sich ihr zu stellen, es wert ist, geschützt und verteidigt zu werden.« Von deutschen Uniformen und vom Eisernen Kreuz gehe in der Welt kein Schrecken mehr aus, betonte Schneiderhan.
Für Juden besteht unter diesen Umständen erstmals wieder die Hoffnung, in diesem Land, in dieser Armee gleichberechtigt zu dienen. Wir sollten diese Möglich- keit nutzen und einen Beitrag für diesen Staat leisten.

von Jonathan Walter

Den ersten Brief von der Bundeswehr bekam ich, als ich 17 Jahre alt war. Später kam dann auch der Brief zur »Musterung sowie Eignungsuntersuchung und Eignungsfeststellung« – kurz EUF. Ich schaute mir das Anschreiben an. Die Adresse des Kreiswehrersatzamtes, bei dem ich mich zur Musterung melden sollte, stand darauf, ebenso der Tag und die Uhrzeit. Ich dachte: »Eigentlich will ich gar nicht dort hin.«
Ich habe das Gebäude, in dem die Musterung stattfinden sollte, folglich auch nie betreten.
Ich bin jüdisch und habe mich gegen den Wehrdienst in der deutschen Armee entschieden. Ganz bewusst. Denn ich möchte keine deutsche Armeeuniform tragen. Natürlich weiß ich, dass die heutige demokratische Bundeswehr mit der Wehrmacht des Dritten Reiches nichts mehr zu tun hat. Aber trotzdem wäre es für mich ein seltsames Gefühl gewesen, diese Uniform aus Überzeugung zu tragen.
Lange musste ich also nicht über meinen Entschluss nachdenken, nicht zur Armee zu gehen. Ich habe das Thema mit meinen Eltern besprochen. Auch sie hätten es nicht gern gesehen, wenn ich mich für die Bundeswehr entschieden hätte. Und auch im Freundeskreis stand für alle meine jüdischen Freunde fest, dass sie nicht in der deutschen Armee »dienen« werden. Meine Großeltern waren Verfolgte des Naziregimes, und auch ihnen wollte ich es nicht zumuten, ihren Enkel in einer deutschen Militäruniform zu sehen. Denn man darf die Vergangenheit nicht vergessen.
Natürlich verurteile ich keinen Juden, wenn er sich dazu entschließt, zur Bundeswehr zu gehen. Egal ob er das nur als Wehrdienst macht, oder ob er sich auch länger verpflichten möchte, eventuell gar als Berufssoldat. Ich habe Respekt vor allen, die sich dazu entschließen, sich dort ausbilden lassen. Aber ich verbinde mit der Vorstellung, dass ich eine Waffe in die Hand nehmen sollte, und dazu noch in der Uniform einer deutschen Armee, einfach zu viel negative Geschichte.
Das ändert sich auch durch die lobenswerte Praxis, dass die Bundeswehr jüdischen Soldaten in punkto Religionsausübung sehr entgegenkommt, nicht. Sie be- kommen koscheres Essen, an Schabbat und den anderen jüdischen Feiertagen haben sie frei. Aber ich kann mir vorstellen, dass viele junge jüdische Männer ein mulmiges Gefühl in den Kasernen haben. Ich weiß, dass es sogar einen Bund Jüdischer Soldaten gibt. Der erste Gedanke der mir kam, als ich davon hörte war: »Ich hätte nicht gedacht, dass so viele Juden in der Bundeswehr sind.«
Die Antwort des Kreiswehrersatzamtes auf meinen Brief, dass und warum ich nicht zur Bundeswehr wolle, war in typischem Amtsdeutsch nüchtern. Ich sei zurückgestellt, hieß es in dem Brief. Ich unterstehe nicht der Wehrüberwachung und zur Musterung müsse ich auch nicht. Darunter der Paragraf des Wehrpflichtgesetzes, aufgrund dessen ich nicht zur Bundeswehr musste. Heute gibt es diesen Paragrafen nicht mehr.

München

Paul Lendvai: »Freiheit ist ein Luxusgut«

Mit 96 Jahren blickt der Holocaust-Überlebende auf ein Jahrhundert zwischen Gewalt und Hoffnung zurück. Besorgt zeigt er sich über die Bequemlichkeit der Gegenwart - denn der Kampf »gegen das Böse und Dumme« höre niemals auf

 21.10.2025

Abkommen

»Trump meinte, die Israelis geraten etwas außer Kontrolle«

Die Vermittler Steve Witkoff und Jared Kushner geben im Interview mit »60 Minutes« spannende Einblicke hinter die Kulissen der Diplomatie

von Sabine Brandes  20.10.2025

Washington

Trump droht Hamas mit dem Tod

Die palästinensische Terrororganisation will ihre Herrschaft über Gaza fortsetzen. Nun redet der US-Präsident Klartext

von Anna Ringle  16.10.2025

Terror

Hamas gibt die Leichen von Tamir Nimrodi, Uriel Baruch und Eitan Levy zurück

Die vierte Leiche ist ein Palästinenser

 15.10.2025 Aktualisiert

München

Friedman fordert Social-Media-Regulierung als Kinderschutz

Hass sei keine Meinung, sondern pure Gewalt, sagt der Publizist. Er plädiert für strengere Regeln

 10.10.2025

Waffenruhe

»Wir werden neu anfangen, egal, wie schwer es ist«

Im Gazastreifen feiern die Menschen die Aussicht auf ein Ende des Krieges

 09.10.2025

Perspektive

Wir lassen uns nicht brechen – Am Israel Chai! 

Ein Zwischenruf zum 7. Oktober

von Daniel Neumann  06.10.2025

Berlin

Preis für Zivilcourage für Brandenburger Bürgermeisterin

Christine Herntier wird für ihr Engagement gegen Rechtsextremismus vom »Denkmal für die ermordeten Juden Europas« und der Jüdischen Gemeinde zu Berlin ausgezeichnet

 01.10.2025

Terror

»Das Einfühlungsvermögen für Juden ist aufgebraucht«

Die Berliner Psychologin Marina Chernivsky zieht eine bittere Bilanz nach dem 7. Oktober

von Franziska Hein  30.09.2025