Wilhelm Busch

Schöner ist doch unsereiner

Wie war Wilhelm Buschs Verhältnis zu den Juden? Oft zitiert wird eine Stelle aus der Eingangssequenz der Frommen Helene: »Und der Jud mit krummer Ferse, krummer Nas’ und krummer Hos’ Schlängelt sich zur hohen Börse Tiefverderbt und seelenlos.«

Die Verse werden vom »frommen Sänger« im Rahmen einer ironischen Klage über die allgemeine Sittenverderbnis gesprochen. Sind sie also als Kritik an einer antisemitischen Haltung gemeint, und wenn dem so ist, sind sie auch tatsächlich so verstanden worden? Busch, der vor 100 Jahren, am 9. Januar 1908, starb, nimmt mit dem seelenlosen Juden, der an der Börse spekuliert, auf ein zu diesen Zeiten geläufiges Vorurteil Bezug.

Diese für den modernen Antisemitismus charakteristische Identifizierung von Judentum und Kapitalismus findet sich auch in mehreren Äußerungen Buschs, die durchaus nicht satirisch gemeint sind. »Ungehindert und emsig vermehren sich die Juden und ihre Gelder«, schreibt er an Franz von Lenbach. Und an anderer Stelle notiert Busch: »Das Geschäft steht in Blüte, der Israelit gleichfalls. Schlau ist er wie nur was, und wo’s was zu verdienen gibt, da lässt er nichts aus ...«. Der »fromme Sänger« formuliert schärfer, inhaltlich ist er jedoch dem, was Busch denkt, so fern nicht.

Noch bekannnter ist die Gestalt des Schmulchen Schievelbeiner aus Plisch und Plum. Hier spricht allerdings kein »frommer Sänger«, sondern Busch selbst:
»Kurz die Hose, lang der Rock,
Krumm die Nase und der Stock,
Augen schwarz und Seele grau
Hut nach hinten, Miene schlau –
so ist Schmulchen Schievelbeiner.
(Schöner ist doch unsereiner!)

Auch die sachte Ironisierung (»Schöner ist doch unsereiner«) ändert nichts an der Tatsache, dass die Sequenz unter die Kategorie Volksbelustigung fällt. Um der sicheren Lacher willen hat Busch eine geläufige diskriminierende Darstellung übernommen und – man bedenke seine Auflagenhöhe – massenweise verbreitet.

Aber machen solche Verse Wilhelm Busch zum Antisemiten? Die Antwort hängt wesentlich davon ab, welche Definition von Antisemitismus man zugrunde legt. »Zu einem Antisemitismus, der den Begriff erfüllt, gehört eine konsequente Judengegnerschaft, ja ein Judenhass, eine Gesinnung mithin, die auf Herabwürdigung, Diffamierung, Entrechtung, Verfolgung bis zum Pogrom zielt. Davon kann bei Busch nicht im Mindesten die Rede sein«, schreibt Hans Ries, der eine hohe, allzu hohe Messlatte anlegt und folglich Busch entlastet.

Hilfreicher ist die Unterscheidung von Peter Gay zwischen Antisemiten aus Prinzip und solchen, die er »oberflächliche und sporadische Antisemiten« nennt und denen er Busch zuzählt. Busch war kein Rassist und kein dezidierter Judenfeind. Juden stellt er eher am Rand seiner Bildergeschichten dar, sie sind weder ein bestimmendes Element seines Werks noch seines Denkens.

Eine Entlastung bedeutet das nicht. Golo Mann schrieb 1982 im Wilhelm-Busch-Jahrbuch: »Unlängst hörte ich sagen, Busch sei ein arger Antisemit gewesen. Das stimmt nicht. Natürlich war er es ein klein bisschen, wie in seiner Zeit alle Deutschen, und alle Franzosen auch«.

Eine unglückliche Formulierung. Gerade das »bisschen« Antisemitismus ist bei Weitem mehr als eine Bagatelle. Handelt es sich doch um eine Art dumpf-unreflektierter Gemütslage, latent vorhanden und untergründig rumorend, die jederzeit virulent werden kann, mit mehr oder minder gravierenden Folgen. Allemal ist sie gut für den sicheren Lacher auf Kosten einer Minderheit, sie kann als Erklärungsmodell für Missliebiges aller Art abgerufen werden und ist für Radaubrüder eine willkommene Gelegenheit, ihre Wut loszuwerden und dabei auf heimliche Duldung oder gar Einverständnis zu hoffen.

Kurzum: das »Bisschen« ist das entscheidende Bisschen zu viel, da es in seiner Summierung daran Anteil hat, dem, was kommen wird, den Boden zu bereiten.

Michaela Diers ist die Autorin des gerade erschienenen Buchs: »Wilhelm Busch – Leben und Werk« (dtv, 14,50 €)

Geburtstag

Holocaust-Überlebende Renate Aris wird 90

Aris war lange stellvertretende Vorstandsvorsitzende der Jüdischen Gemeinde Chemnitz und Präsidiumsmitglied des Landesverbandes Sachsen der Jüdischen Gemeinden. 1999 gründete sie den ersten jüdischen Frauenverein in den ostdeutschen Bundesländern

 25.08.2025

Nahost

Alabali Radovan besucht Palästinensergebiete: Hilfe im Fokus

Die Entwicklungsministerin will in Tel Aviv diese Woche Angehörige von Geiseln treffen und das Westjordanland besuchen

 25.08.2025

Würzburg

AfD-Mann Halemba wegen Volksverhetzung vor Gericht

Die Staatsanwaltschaft wirft dem bayerischen AfD-Landtagsabgeordneten Halemba auch Geldwäsche und Nötigung vor

von Angelika Resenhoeft, Michael Donhauser  21.08.2025

Ehrung

Ravensburger-Stiftung ehrt Bildungsstätte Anne Frank mit Preis

Es werde eine herausragende Bildungsinitiative gewürdigt, teilte die Stiftung mit

 20.08.2025

Athen

Israelische Firma übernimmt griechischen Rüstungsbauer

Griechenlands größter Hersteller von Militärfahrzeugen ist nun komplett in israelischer Hand. Die strategische Zusammenarbeit im Verteidigungssektor wird damit weiter vertieft

 20.08.2025

Jerusalem

Planungsausschuss berät über E1-Siedlung

Es geht um den Bau von rund 3400 Wohneinheiten in dem Gebiet zwischen Ost-Jerusalem und der Siedlung Ma’ale Adumim

 20.08.2025

Jerusalem

Israel entzieht Vertretern Australiens in Palästinensergebieten Visa

Australien ist eines der westlichen Länder, die im kommenden Monat einen palästinensischen Staat anerkennen wollen. Darauf und auf Einreiseverbote für israelische Politiker folgt ein Gegenschritt

 18.08.2025

Halle

Datenbank über Opfer medizinischer Forschung in NS-Zeit veröffentlicht

Tausende Menschen wurden im Nationalsozialismus zu medizinischen Untersuchungen gezwungen. Ihre Schicksale sollen nun sichtbar werden

 18.08.2025

Dresden

Tora-Rolle entsteht in aller Öffentlichkeit

Vor dem Dresdner Stadtmuseum kann demnächst jeder durch ein Schaufenster zusehen, wie eine Thora-Rolle entsteht

 14.08.2025