AIDS

Schamgrenze

Die in Deutschland lebenden Juden haben kein Aids. Schön wäre es, doch die Aussage ist falsch. Statistisch gesehen sind auch Juden von der Immunschwäche be-
troffen, nur man kennt sie nicht. Weder die Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland noch Sozialarbeiter großer Gemeinden können von einem Fall na-
mentlich berichten. »Und das ist auch gut so«, sagt Dalia Wissgott-Moneta. »Für die Betroffenen bedeutet das Schutz.« Zu verquatscht sei die jüdische Gemeinschaft und zu klein, als dass ein Aids-Fall nicht rasend schnell die Runde machen würde. »Gerade diese Menschen müssen geschützt werden«, gibt die Frankfurter Sozialarbeiterin zu bedenken.
Doch warum ist die Scham so groß, von dieser Krankheit zu sprechen? »Über Krebserkrankungen in unserer Gemeinde könnte ich stundenlang erzählen, einen HIV-Kranken kenne ich nicht«, sagt eine andere Sozialarbeiterin und fügt hinzu, »vielleicht wären wir auch die Letzten, an die sich ein Aids-Kranker wenden würde.« HIV-positiv zu sein, ist vor allem in den orthodoxen jüdischen Kreisen tabuisiert.

ausgeklammert Zwei Drittel der be-
troffenen Männer kommen aus der Risikogruppe der Homosexuellen, die in der Or-
thodoxie ebenfalls gern verschwiegen werden. Doch auch wenn die Krankheit nicht wahrgenommen wird, sie ist vorhanden, auch in jüdischen Kreisen. Wie die Deutsche Aidshilfe mitteilt, seien unter den von ihnen betreuten Personen beispielsweise auch Muslime, bei de-
nen dieses Thema ebenfalls gesellschaftlich ausgeklammert wird. Deswegen, so schätzt man, sei-
en unter den Ratsuchenden mit Sicherheit auch Juden. »Doch keiner hat seine Religion auf der Stirn ge-
schrieben«, sagt Didi, der für den Anrufer die erste Kontaktperson zur Beratungsstelle darstellt und lieber anonym bleiben möchte.
Fred Fischer aus München bedauert das Verschweigen der Religionszugehörigkeit. Eine spirituelle Betreuung sei vielleicht gerade wünschenswert sagt der Mitbegründer der jüdischen schwul-lesbischen Gruppe Yachad. Auch nichtgläubige Juden nähmen häufig gerade in dieser Ausnahmesituation eine religiöse oder spirituelle Betreuung in Anspruch.
Anfang der 90er-Jahre hatte er zusammen mit Aaron Knappstein den Verein gegründet, der sich nach wenigen Jahren wieder auflöste. Darüber hinaus arbeitete er vier Jahre bei einer Aidshilfe. Auslöser war der Tod eines Freundes. In den 90ern, so Fischer, war das Leid der Aids-Kranken sehr groß. Sie verloren ihre Arbeit, vereinsamten, lebten von Sozialhilfe. Er habe damals angeboten, jüdische Patienten zu betreuen. Darum gebeten habe aber niemand. Doch Fischer ist sicher: »Wir werden uns weiter mit Aids beschäftigen müssen.«

Zunahme Drei Viertel aller in Deutschland Erkrankten sind Männer, teilt das Robert-Koch-Institut (RKI) mit. 67.000 Menschen mit Aids oder HIV leben derzeit in Deutschland. Alarmierend sei dabei, dass die Wachsamkeit gegen die tödliche Krankheit abgenommen habe. 2009 haben sich laut RKI 3.000 Personen neu infiziert. Umgerechnet auf die jüdische Gemeinschaft in Deutschland mögen die Zahlen verschwindend gering sein. Doch auch der orthodoxe Rabbiner Avichai Apel aus Dortmund hält es für unwahrscheinlich, dass es in Deutschland keinen jüdischen Infizierten geben sollte. »Wir wissen von vielen Sorgen, von Drogen- und Alkoholsucht, aber nicht von Aids«, sagt Apel. Oft offenbare sich das Schicksal erst am Grab eines jungen Menschen, erzählt der Rabbiner. Warum der Alkhol- und Drogenkranke nicht vorher Hilfe oder Kontakt gesucht habe, hinge wahrscheinlich mit der Scham zusammen, vermutet Apel. Gerade auch bei Zuwanderern sei sie besonders hoch. »Vielleicht«, fügt Apel nachdenklich hinzu, »sind wir nicht nah genug an den Menschen dran, so dass sie uns kein Vertrauen schenken. Sie sind Teil unseres Lebens, und wir wollen uns um sie kümmern, natürlich auch um Aids-Kranke.«

Akzeptanz In den liberalen Gemeinden, ist Aaron Knappstein überzeugt, haben es Kranke etwas einfacher. Homosexuelle würden dort eher akzeptiert. 90 Prozent der Erkrankten haben sich durch Geschlechtsverkehr angesteckt, Fakten, die in der liberalen Gemeinschaft weniger tabuisiert sind. Bei Zuwanderern seien die familiären Bindungen teilweise noch sehr eng, die Haltung konservativer, so dass aus ihren Kreisen erst recht keine Aidsfälle bekannt würden, sagt Knappstein.
Auch Gesa Ederberg, Berliner Rabbinerin der liberal-konservativen Masorti-Be-
wegung kennt persönlich keinen HIV-positiv getesteten Juden. »Wir haben ja gerade auch in der allgemeinen Gesellschaft ge-
sehen, dass manche Krankheiten tabuisiert sind, wie zum Beispiel Depres-
sion. Das trifft leider für die jüdische Gemeinschaft als eine sehr eng verwobene Gemeinschaft besonders zu – im ›jüdischen Dorf‹ wird aus Angst vor Tratsch mehr unter den Teppich gekehrt als in der ›Großstadt‹. Ich wünsche mir mehr Offenheit und Gespräche«, sagt Ederberg.
In Amerika gibt es seit knapp zehn Jahren ein internationales jüdisches Aids-Netzwerk, an das sich HIV-Kranke wenden können. So weit ist man in Deutschland noch nicht, doch Aaron Knappstein und Fred Fischer denken zumindest darüber nach, die Yachad-Gruppe wenigstens virtuell wieder aufleben zu lassen. Online könnte sich dann vielleicht doch ein HIV-infizierter Jude in Deutschland Hilfe suchen und spirituelle jüdische Nähe finden.

Krieg

Jerusalem warnt Menschen im Iran vor möglichen neuen Angriffen

In bestimmten Gebieten des Irans stehen offensichtlich neue Angriffe bevor. Israels Militär ruft die iranische Bevölkerung zur Evakuierung auf

 15.06.2025

Programm

Termine und TV-Tipps

Termine und Tipps für den Zeitraum vom 12. Juni bis zum 18. Juni

 11.06.2025

Tel Aviv/Gaza

Israel will Ankunft von Thunbergs Schiff in Gaza verhindern

Das Schiff des Bündnisses Freedom Flotilla Coalition ist unterwegs nach Gaza. Nach Angaben der Aktivisten nähern sie sich immer mehr dem Gebiet - Israel droht ihnen nun

 08.06.2025

Petition

Deutsche Prominente werfen Israel Völkermord vor

Die Unterzeichner verlangen eine Aussetzung von Rüstungsexporten

 05.06.2025

Bundestag

Wegen »Palestine«-Shirt: Linken-Abgeordnete des Plenarsaals verwiesen

Mit der politischen Botschaft auf ihrer Kleidung hatte Cansin Köktürk offenbar gegen die Regeln des Hauses verstoßen. Die Bundestagspräsidentin zog die Konsequenz

 04.06.2025

Medien

Presseschau zur Debatte um Deborah Feldmans »Weltbühne«-Artikel

In dem Blatt des umstrittenen Verlegers Holger Friedrich zieht die Autorin die Jüdischkeit des Chefredakteurs der Jüdischen Allgemeinen in Zweifel. In Zeitungskommentaren wird nun vernichtende Kritik an ihrem Text geübt

 26.05.2025

Israel

Geisel-Angehörige fordern Ende des »Albtraums«

Seit bald 600 Tagen hält die Hamas noch 58 lebende und tote israelische Geiseln im Gazastreifen fest. Israelis demonstrieren vehement für ihre Freilassung und fordern ein Ende des Krieges

 24.05.2025

Nachrichten

Strände, Soldat, Flüge

Kurzmeldungen aus Israel

von Sabine Brandes  21.05.2025

Sachsen-Anhalt

Sachsen-Anhalt: Verfassungsschutz sieht Demokratie bedroht

Im Osten ist die AfD besonders stark. Allerdings etablieren sich auch andere rechtsextremistische Bestrebungen

von Christopher Kissmann  19.05.2025