Hamas

Pragmatisch dogmatisch

von Andrea Nüsse

Wohlfahrtsorganisation, Terrorgruppe und Partei – die Hamas ist wandlungsfähig. Angefangen hat die islamistische Gruppe als soziale Bewegung im Gasa-Streifen. Seit den 70er Jahren schuf der Ableger der ägyptischen Muslimbruderschaft dort soziale Einrichtungen, die sich vor allem um die Flüchtlinge kümmerten. Islamische Erziehung und eine Rückkehr zu den »wahren Werten« der Religion war die Botschaft, welche die Organisation den Menschen zugleich mit ihren karikativen Diensten überbrachte. An militanten Widerstand gegen die Besatzungsmacht dachte damals noch niemand. Daran, eines Tages durch demokratische Wahlen an die Regierung zu kommen, wohl auch kaum.
Doch mit Ausbruch der ersten Intifada Ende 1987 mußte die Bewegung ihre Position überdenken, um nicht an Popularität zu verlieren. Die Hamas als islamische Widerstandsbewegung wurde gegründet, die neben der muslimischen Erziehung den Kampf gegen die israelische Besatzung auf ihre Fahnen schrieb. Damit war die Bewegung endgültig politisiert, mit der Schaffung der Kassam-Brigaden war sie militarisiert. Nach dem Massaker eines radikalen Siedlers an 29 betenden Muslimen in Hebron 1994 führten die Brigaden ihr erstes Selbstmordattentat aus. Der ständige Rollenwandel der islamistischen Bewegung schlägt sich auch in der Neuinterpretation klassischer islamischer Konzepte nieder. Zwar ist die Weltsicht der Hamas durch die Zweiteilung geprägt, die den Koran durchzieht. Alles ist eingeteilt in Gut und Böse, erlaubt und unerlaubt. Hamas ist überzeugt davon, daß Muslimen eine Führungsrolle in der Welt zusteht, weil Gott zuletzt den Muslimen seine Religion offenbarte – nachdem Juden und Christen vom rechten Weg abgewichen waren. Nach klassischer islamischer Lehre dürfen insbesondere Länder, die bereits unter muslimischer Herrschaft waren, nicht von Nicht-Muslimen beherrscht werden. So erklärt Hamas den Nahostkonflikt mit religiösen Konzepten. Nach islamischer Lehre werden Juden zwar als Minderheiten respektiert, sie dürfen aber nicht ein Land, das einmal von Muslimen regiert wurde, beherrschen. Daher ist für Hamas die Existenz Israels ein Unrecht, das mit dem koranischen Wort »batil« beschrieben wird. Gleichzeitig wird fast bewundernd anerkannt, daß Israel ein religiöser Staat sei. Sein Erfolg wird darauf zurückgeführt, daß die Bewohner ihre Religion befolgten.
Obwohl sie einer starren religiösen Doktrin anhängt, zeigt Hamas sich immer wieder flexibel und pragmatisch. Denn in Wirklichkeit benutzt sie religiöse Konzepte, um politische Ziele zu erreichen. Dafür interpretiert sie auch klassische islamische Konzepte neu. So fand der im Islam unbekannte Nationalismusgedanke Einzug in die Hamas-Ideologie. »Vaterland und Nationalismus sind Teil des islamischen Glaubens«, heißt es im Gründungsdokument der Hamas. Dies ist eine Abkehr vom klassischen Islam und den theoretischen Grund-lagen, die die Vordenker der ägyptischen Muslimbrüder geschaffen hatten.
Der pragmatische und eklektische Charakter dieser Ideologie bedeutet auch, daß die Hamas bereit ist, bestimmte Pfeiler ihres Denkens aufzugeben, wenn sie nicht mehr ihren Interessen dienen. So war der spirituelle Führer von Hamas, Scheich Achmed Jassin, 1996 erstmals bereit, eine »Waffenruhe« (hudna) auszurufen. Beobachter halten es sogar nicht für ausgeschlossen, daß der pragmatische Flügel der Bewegung auch einen Weg findet, eines Tages ein Friedensabkommen mit Israel zu rechtfertigen, wenn aus ihrer Sicht die Gegenleistungen stimmen.

Krieg

Zwei Raketen aus Gaza auf Israel abgeschossen

Am Sonntagmorgen wurde Israel aus dem Gazastreifen mit Raketen beschossen. Eine Bekenner-Erklärung gibt es auch

 07.09.2025

Berlin

Uni-Präsidentin rechnet mit neuen »propalästinensischen« Aktionen

Die Präsidentin der Humboldt-Universität, Julia von Blumenthal, rechnet zum Wintersemester erneut mit »propalästinensischen« Aktionen. Dabei seien unter den Beteiligten kaum Studierende

 07.09.2025

Diplomatie

Netanjahu geht auf Belgiens Premier los

Für seine Entscheidung, Palästina als Staat anzuerkennen, wird Bart De Wever vom israelischen Ministerpräsident persönlich attackiert

von Michael Thaidigsmann  04.09.2025

Hannover

Angriff auf Gedenkstätte: Staatsanwaltschaft erhebt Anklage

Ein 26-jähriger Rechtsextremist war im Mai in Budapest festgenommen worden

 02.09.2025

Nahost

Deutscher Beauftragter für Menschenrechte reist nach Israel

Lars Castellucci macht sich ein persönliches Bild von der Lage in Israel und den palästinensischen Gebieten. Ein Augenmerk liegt darauf, wo deutsche Hilfe möglich ist - und wo sie behindert wird

 01.09.2025

Rotes Meer

Huthi greifen Öltanker an

Das Schiff gehört einem israelischen Milliardär

 01.09.2025

Ankara

Türkei bricht Handelsbeziehungen zu Israel ab

Der Handel der Türkei mit Israel belief sich im Jahr 2023 noch auf mehrere Milliarden US-Dollar. Nun bricht die Türkei alle Handelsbeziehungen zu Israel ab. Doch es ist nicht die einzige Maßnahme

 29.08.2025

Geburtstag

Popstar der Klassik: Geiger Itzhak Perlman wird 80

»Sesamstraße«, »Schindlers Liste« und alle großen Konzertsäle der Welt natürlich sowieso: Der Geiger gehört zu den ganz großen Stars der Klassik. Jetzt wird er 80 - und macht weiter

von Christina Horsten  29.08.2025

Bonn

Experte: Opfer mit Bewältigung von Rechtsterror nicht alleinlassen

Der erste NSU-Mord liegt beinahe 25 Jahre zurück. Angehörige der Opfer fordern mehr Aufmerksamkeit - und angemessenes Gedenken, wenn es um rechtsextreme Gewalt geht. Fachleute sehen unterschiedliche Entwicklungen

 29.08.2025