Israel

Omer und ich

Ich habe einen neuen Mitbewohner, einen neuen Freund. Omer Shem Tov ist bei mir eingezogen. Er hat wunderschöne Augen, blaugrün und gutmütig, während ich derzeit schlecht schlafe, schließt er sie nie

von Gabriella Meros  15.04.2024 07:59 Uhr

Die Geisel Omer Shem Tov Foto: picture alliance / ZUMAPRESS.com

Ich habe einen neuen Mitbewohner, einen neuen Freund. Omer Shem Tov ist bei mir eingezogen. Er hat wunderschöne Augen, blaugrün und gutmütig, während ich derzeit schlecht schlafe, schließt er sie nie

von Gabriella Meros  15.04.2024 07:59 Uhr

Ich habe einen neuen Mitbewohner, einen neuen Freund. Omer Shem Tov ist bei mir eingezogen. Er hat wunderschöne Augen, blaugrün und gutmütig, während ich derzeit schlecht schlafe, schließt er sie nie.

Denn Omer, mit dem ich die Tage in meine Münchner Wohnung und die Sonntage in der Innenstadt verbringe, ist nur als Plakat bei mir. Ein Freund hatte sein Foto wie das vieler anderer Geiseln der Hamas als DIN A3-Plakat eingeschweißt, und den Demonstranten gespendet, zufällig bekam ich Omer zugeteilt. Seitdem trage ich das Bild von Omer herum - zu Demonstrationen oder den sonntäglichen »Marches for the hostages«, die nach dem 7. Oktober stattfinden. Dann wird Omers Plakat ins Auto und aus dem Auto getragen und wird in die Wohnung gebracht – mal in den Flur, mal ins Wohnzimmer, Gästezimmer, auch in der Küche war er schon.

Jeder hat vermutlich in seiner Jugend mit Menschen auf Plakaten gelebt, es waren Fußball- und Popstars, Hollywoodschauspieler. Mit Omer ist es etwas anderes. Auch wenn er nicht weiß, dass es mich gibt, ist er auf mich und alle anderen, die ihn weltweit herumtragen, angewiesen.

Schwarzer Samstag

Omer ist ständig präsent in meinem Leben. Seit dem 7. Oktober poste ich auf Facebook alles, was mit dem blutigen schwarzen Samstag zu tun hat, und mit dem seitdem folgenden Krieg. Fotos, Information, Clips über Geiseln, Opfer, Soldaten, Interviews, Artikel – und das täglich. Meine Sorgen gelten natürlich allen 130 Menschen, die weiterhin von den Hamas-Terroristen gefangen gehalten, mutmaßlich geschlagen, gefoltert und missbraucht werden. Und doch ist Omer besonders, denn er ist bei mir, sein Foto steht immer irgendwo, mal liegt es auf dem Sessel, mal rutscht es herunter, wenn es nicht sorgsam genug an der Wand angelehnt war, mal schaut es aus einer Tasche heraus.

Ich sehe seine Augen, seine breiten Lippen, sein wohlgeformtes Gesicht an, frage mich, wie er wohl so ist? Er sieht sympathisch aus, der Omer. Mit seinem Halskettchen aus kleinen bunten Perlchen in blau, braun, grau, und silber, seine Brustbehaarung, sein Bart. Männlich und weich zugleich.

Omer Shem Tov wäre gern als erfolgreicher Musiker oder Musikproduzent weltberühmt geworden, nun ist er es, weil er eine Geisel der Hamas werden musste, in die Hölle nach Gaza verschleppt. Es ist eine traurige Berühmtheit. Omer ist zusammen mit seinen Freunden den Geschwistern Itay und Maya dort, auch sie Gefangene, deren Schicksal und deren Folter von all den »Free Palestine«-Propagandisten am liebsten verschwiegen werden.

Nach Gaza verschleppt

Omer, Itay und Maya gehören zu der Gruppe friedfertiger junger Menschen, die das Nova-Festival besuchten, tanzten und glücklich waren – bis sie mit lautem Geschrei, »Alu Akbar«-Gebrüll und Gelächter gekidnapped und nach Gaza verschleppt wurden – mit vorgehaltenen Waffen. »Die Terroristen fuhren uns durch den Gazastreifen und stellten uns wie Trophäen zur Schau«, sagte Itay, als er mit seiner Schwester Maya nach 54 Tagen Geisel-Folter freikamen. Omer ist noch dort.

Itay beschrieb in einem Interview, er habe ständig Angst gehabt, getötet zu werden. Jede Minute dort sei von Unsicherheit und Angst durchtränkt, die Terroristen beschrieb er als bösartig und sadistisch. 54 Tage keine Dusche, kaum Essen, als Geschwister getrennt, er wurde ohne Anästhesie operiert. Die Terroristen zwangen ihn dabei absolut still zu bleiben, er würde sonst erschossen. Warum ist Omer noch dort und ich bin hier? Fragt sich Itay. »Ich würde einfach alles tun, um ihn zurückzubringen. Ich war mit ihm dort und weiß genau, wie er sich fühlt, und ich möchte an seiner Stelle schreien, denn er kann es nicht selbst tun. Er ist so hilflos.«

Hilflos – so fühle auch ich mich, liege nachts wach, denke an die Geiseln, die kein Tageslicht sehen, von der Welt abgeschnitten in dunklen stickigen Tunnels, hungernd, psychisch und physisch gefoltert, bedroht jeden Tag, jede Stunde, jede Minute, jede Sekunde – kaum vorstellbar dieses Grauen.

Brutaler Wahnsinn

Ich bin keine Mutter, keine Schwester einer Geisel, eines Soldaten. Ich weiß, dass meine Sorge und meine Angst, beinahe nichts sind, im Vergleich zu dem, was Angehörige fühlen müssen. Und doch höre ich nicht auf an sie zu denken, wie sie wohl überleben, wie sie diesen brutalen Wahnsinn an ihren Seelen und Körpern je verarbeiten sollen.

Seinen 21. Geburtstag verbrachte Omar in dem dunklen Untergrund von Gaza, anstatt nach Amsterdam zu einem Musikfestival zu fahren, was er vorgehabt hätte, für die Woche nach dem Anschlag, wofür er sogar gekellnert hatte, um es zu finanzieren.

Vor einigen Tagen bin ich über den palästinensischen Aktivisten Ahmed Kouta gestolpert, der auf TikTok Stimmung gegen Israel und seinen Verteidigungskampf macht. Dabei beschwert er sich über Hilfslieferungen, die vegetarischen US-Fertiggerichte, die er für unzumutbar hielt und die dann deswegen im Müll landeten. Was würde Omer wohl geben, davon zu essen zu bekommen?

Trauriges Spiel

Dann habe ich Clips von Omers Mama gesehen, unter Tränen erinnert sie sich an ihn, wie er sich immer mit drei Busserl verabschiedet hat, und sie »Maman« nennt – ganz französisch eben. In einem Text sagt sie, dass er Schokokekse und Brownies liebt, auch Käse und gefüllte Zwiebeln. Ich lerne ihn immer besser kennen. Ich weiß inzwischen, dass er erst 10 Monate vor dem Desaster seine Armeezeit beendet hatte, in Herzliya, einem schönen Vorort von Tel-Aviv am Meer, gelebt hatte.

Seine gesamte Familie ist aktiv um für Omer und alle anderen Geiseln zu kämpfen, sie nach Hause zu bringen. Bloß wie? Das frage ich mich, dass fragen sich die Menschen, die mit mir jeden Sonntag die Münchner Mahnwache besuchen, wie überall in der Welt. So viele lassen wie die Familien der Hamas-Geiseln nichts unversucht. Geisel-Delegationen reisen durch die Länder, treffen sich mit Ministern und Politikern.

Und immer dasselbe traurige Spiel: Man fordert Waffenruhe von Israel, die bedingungslose Freilassung der Geiseln, die dafür Voraussetzung wäre, bleibt zu oft unerwähnt. Stattdessen tummeln sich Hamas–Versteher auf den Straßen Europas und Amerikas. Man beschuldigt Israel, beschimpft Juden, nicht aber die von den Wählern Gazas einst ins Amt gehobene Terrororganisation, in deren Gründungscharta die Vernichtung aller Juden wie ein Grundgesetz verankert steht.

Von Salven durchlöchert

Dabei gäbe es ehemalige Insider dieser Mörderbande, die weltweit aussprechen, was Sache ist: Mosab Hassan Yusef beispielsweise, der als Sohn eines Hamas Gründers und Führers weiß, wovon er redet. Sein Buch »Sohn der Hamas«, beschreibt seine Lebensgeschichte und ist die Basis der preisgekrönten Doku »Der Grüne Prinz«. Er warnt so lange vor den islamistischen Schergen, zu denen er einst gehörte. Auch sein Leben ist heute tagtäglich von der Hamas bedroht.

Kürzlich wurde Omers blauglitzerndes Auto gefunden, Omers Sachen lagen darin, es war von den Salven der Hamas-Waffen zerschossen und durchlöchert. Omers Cousine Orit war dabei, gab ein Interview über ihn am Ort der Nova Party, über den »Komiker, Tänzer, Musiker, Sonnenschein«.

Diese Nation könne nie heilen, sagt Orit, »wenn die Geiseln nicht freikommen.« Mit einem Megaphon hat sie sich vor das Gebäude des Roten Kreuzes gestellt, und ihre Anklage in Richtung der angeblichen Hilfsorganisation gerufen: »Was habt ihr je für Omer getan?« Deren Schweigen reicht nicht als Antwort.

Unser Lebenswille

Eine andere Cousine Leat Corinne sprach für Omer und die Geiseln gemeinsam mit dem kämpferischen Eylon Levy – ehemaliger Israelischen Regierungssprecher – bei dem Sunday-March for the Hostages im Central Park in New York.

Ich habe das Gästezimmer in meiner Münchner Wohnung hergerichtet. Omers Plakat hat dort einen festen Platz. Vielleicht wird er eines Tages hier übernachten, oder eine andere der hoffentlich bald freigelassenen Geiseln. Ich würde sie am liebsten alle hierher einladen. Und ich werde dann alle Münchner Clubs anrufen, damit wir ein Fest geben können, bei dem Omer als DJ auflegt.

Man nennt das wohl Hoffnung. Dann wieder feiern, tanzen, singen zu können, fröhlich zu sein. So wie es Omer, Itay, Maya waren, am 7. Oktober, bevor sie kamen, um ihnen und auch uns all das zu nehmen. Doch unsere Hoffnung und unseren Lebenswillen – die kriegen sie nicht.

Gabriella Meros, Fotografin und Vorsitzende von Respect & Remember Europe e.V., zeigt die Doku »Der Grüne Prinz« als Sondervorstellung. Es sind die letzten Vorstellungen in Deutschland.

Termine:
» Mittwoch, den 15. Mai 2024 um 19.30 Uhr (Einlass ab 19.00 Uhr) im City Kino München
Und gemeinsam mit regionalen Veranstaltern:
» Dienstag den 2. Mai 2024 in Fürstenfeldbruck um 20.00 Uhr (Einlass 19.30 Uhr) im Lichtspielhaus
» Dienstag den 7. Mai 2024 in Straubing um 19.00 Uhr (Einlass 18.30 Uhr) im Citydom
Hinweis: Bei allen Veranstaltungen ist nach dem Film eine Diskussion vorgesehen und es gibt jeweils einen Büchertisch.

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