Transparenz sichern
von Jael Botsch-Fitterling
Die Jüdische Gemeinde zu Berlin ist eine Körperschaft des öffentlichen Rechts. Die Beratungen der Repräsentantenversammlung erfolgen grundsätzlich in öffentlicher Sitzung. Dieses Prinzip wird nun durch einen Beschluß wesentlich eingeschränkt. Künftig sind Ton-, Film- und Fernsehaufzeichnungen aus den Sitzungen des Gemeindeparlaments nicht mehr gestattet (vgl. S. 17). Beachtenswert ist zudem, daß diese Begrenzung der Öffentlichkeit auf Antrag und mit Unterstützung des neu angetretenen Vorstands der Gemeinde durchgesetzt wird. Für die Weiterführung und Optimierung der bisherigen Praxis spricht:
Film- und Fernsehberichterstattung sind ein wesentliches Element der Pressefreiheit in einer repräsentativen Demokratie. Laut Satzung der Jüdischen Gemeinde zu Berlin finden Sitzungen des Vorstands und der Fachausschüsse nicht öffentlich statt. Berichterstattung und abschließende Beratung darüber erfolgen aber aus wohlüberlegten Gründen in der öffentlich tagenden Repräsentantenversammlung. Damit entspricht die jüdische Gemeinde dem generellen Anspruch demokratischer Kontrolle. Niemand käme ernstlich auf die Idee, Film- und Fernsehaufnahmen aus dem Bundestag oder einem Landesparlament auszuschließen. Es ist nicht einzusehen, weshalb demokratische Kontrolle in der Jüdischen Gemeinde zu Berlin durch Ausschluß bestimmter Medien substantiell vermindert werden soll.
Die filmische Berichterstattung aus den Sitzungen der RV hat den Gemeindemitgliedern die Möglichkeit geboten, die einzelnen Repräsentanten, deren Argu- mentationsformen und Entscheidungskompetenz kennenzulernen. Der unmittelbare Einblick in die Debatten des Gemeindeparlaments dient dazu, Entscheidungsprozesse für interessierte Gemeinde- mitglieder durchsichtig zu machen.
Es ist ein Gebot der Transparenz, dies beizubehalten. Aus dem Kennenlernen von Pro und Contra, aus den unterschiedlichen Begründungszusammenhängen einer Entscheidung können die Zu- schauer Argumentationshilfen für eigene Beiträge zur Gemeindepolitik gewinnen.
Es ist verständlich, wenn in stürmischen Zeiten die politisch Handelnden gelegentlich ein Interesse an Vertraulichkeit der Beratung entwickeln. Allzu schlimme Entgleisungen, allzu absurde Widersprüche bleiben verborgen, wenn man die Unterrichtung der Öffentlichkeit nur auf Veröffentlichung von Ergebnisprotokollen be-
schränkt. Aber der Ausschluß moderner Medien aus der Berichterstattung wird sich schnell als falsch verstandener Selbstschutz erweisen. Geht man davon aus, daß gewählte Vertreter entsprechend der Verpflichtung zu Beginn der Amtsperiode jederzeit das Wohl der Gemeinde im Sinn haben, dann gibt es keinen Grund, die Veröffentlichung des Originaltons aus dem Plenum zu verhindern. Es liegt in der Verantwortung des Präsidiums der Repräsentantenversammlung Äußerungen zu rügen, die gemeindeschädigend wirken.
Vornehmste Aufgabe eines jeden Parlaments ist der Beratung und Verabschiedung der Wirtschaftspläne, die Bewilligung und Kontrolle der Finanzen. Ziel ist, öffentlich darzulegen, daß die eigenen Mittel und die staatlichen Zuwendungen zweckgebunden und sparsam eingesetzt werden. Wenn nun vor Eintritt in die Beratung der Bilanzen und Wirtschaftspläne mit dem Ausschluß der filmischen Medien Öffentlichkeit verkürzt wird, so muß dies Wider- spruch herausfordern.
Fazit: Der prinzipielle Ausschluß audiovisueller Übertragung führt zu einer wesentlichen Einschränkung der Transparenz des Entscheidungsprozesses sowie zu einer Minderung öffentlicher Kontrolle. Die Reduzierung eines bislang gewährten Informationsrechtes läßt eine Verunsicherung im Demokratieverständnis der Jüdischen Gemeinde zu Berlin erkennen.
Der umgekehrte Weg ist richtig: Die Repräsentantenversammlung und der Vorstand müssen ein gemeinsames Interesse entwickeln, die mediale Übertragung aus den Plenarsitzungen der Gemeindevertretung wieder zuzulassen. Alle Anstrengungen der Repräsentanten sind darauf zu richten, diesen medialen Beitrag zur Presse- und Informationsfreiheit fachlich und technisch weiter zu qualifizieren.
Interna schützen
von Esra Cohn
Aus meiner Sicht haben die Gemeindeversammlungen genau diejenige Öffentlichkeit verdient, die ihnen von der Satzung üblicherweise auch zugedacht ist: nämlich die Verbandsöffentlichkeit.
Schaut man sich die monotone Tagesordnung der Gemeindeversammlung einer jüdischen Gemeinde in Deutschland an, die als Körperschaft des öffentlichen Rechts verfaßt ist, so sind nur wenige Punkte auszumachen, die überhaupt für eine breitere Öffentlichkeit von Interesse sein könnten. Die allermeiste Zeit verbringt man mit dem Bericht des Vorstandes, dem Bericht der Finanzrevision und anstehenden Anträgen zur Satzungsänderung und gegebenenfalls der Wahl von Gemeindemitgliedern in bestimmte Gemeinde-Kommissionen.
Wenn diese nach der Satzung wichtigen Punkte abgehandelt und die überhaupt zur Sitzung erschienenen fünf Prozent der Mitglieder mit Würstchen und Kartoffelsalat gestärkt wurden, lichten sich die Reihen der Teilnehmer an der Versammlung ganz erheblich. Eine tiefergehende Diskussion über die Zukunft einer großen Gemeinde wie Düsseldorf ist dann mit den verbliebenen Teilnehmern schon gar nicht mehr möglich. Dies wäre allerdings schon eine Schlagzeile in der örtlichen Tagespresse wert und peinlich genug.
Richtig peinlich würde es aber dann werden, wenn gerade die Medienpräsenz die Stimmung in der Versammlung aufheizen würde, da die Kontrahenten in einer der durchaus möglichen Auseinandersetzungen um die religiöse Ausrichtung im allgemeinen, die Wahl des Rabbiners im besonderen, die Leistungen der Gemeinde für die Neuzuwanderer überhaupt, oder angebliche Geldverschwendung oder Veruntreuungen durch den Vorstand, sicher sein könnten, daß ihre Familien und Bekannten sie anschließend im Regionalfernsehen in voller Aktion bewundern können. Die Erfahrung zeigt, daß Menschen sich vor der Kamera in der Regel nicht zurückhalten, sondern eher dazu neigen, Dinge zu tun, die sie hinterher bereuen. Die täglichen Talkshows im Fernsehen und die dazugehörigen Nachspiele beweisen das immer wieder aufs Neue.
Wenn ich mir dieses Szenario vorstelle, bin ich froh darüber, daß die Satzung der Jüdischen Gemeinde in Düsseldorf einen Ausschluß der Öffentlichkeit bei Gemeindeversammlungen vorsieht. Der Jüdischen Gemeinde zu Berlin hätte es sicherlich auch mehr geholfen, wenn die in unwürdiger Weise in die Öffentlichkeit geratenen Auseinandersetzungen einzelner in erster Linie zunächst mit Hilfe der eigenen, verbandsinternen Schiedsgerichtsbarkeit auf friedliche Weise und mit »a jiddische Neschume« beigelegt worden wären, statt sie unter Einschaltung der Staatsanwaltschaft, der staatlichen Gerichte und der allgemeinen Presse weiter auszutragen. Die Presseöffentlichkeit bei Gemeindesitzungen in der Gemeinde zu Berlin hat sicherlich auch zu der Eskalation der gegenseitigen Diskreditierung beigetragen. Und sie hat dazu geführt, daß das ohnehin schon schwierige Image einer jüdischen Gemeinde in Deutschland in aller Öffentlichkeit vermutlich auf längere Sicht nachhaltig ruiniert wurde (vgl. S. 17).
Keine Frage: Natürlich gibt es auch in jüdischen Gemeinden Streit. Natürlich kommt es auch einmal zu lautstarken Auseinandersetzungen. Problematisch wird so etwas dann, wenn es vor den Augen, Ohren und Mikrophonen von Journalisten passiert. Und die, da braucht sich niemand Illusionen zu machen, nehmen diese Vorlagen selbstverständlich dankbar auf. Die Medienpräsenz bei Versammlungen der Jüdischen Gemeinde zu Berlin hat, jedenfalls aus der Ferne betrachtet, kaum damit zu tun, daß Pressevertreter Beschlußfassungen und Beratungen zum Religionsunterricht an jüdischen Schulen oder zu Plänen über die Zukunft des jüdischen Altersheims so interessant fänden.
Mit mangelnder Transparenz hat es nichts zu tun, wenn eine Gemeinde bei entsprechenden Versammlungen lieber unter sich bleiben möchte – oder zumindest unter Kontrolle behalten will, wer an den Tagungen teilnimmt, und wer nicht. Denn die nötige Offenheit gegenüber den Mitgliedern und gegenüber den Behörden, die beispielsweise für einen Teil der Finanzierung der Gemeinden zuständig sind und auf bestimmte Informationen ein Recht haben, bleibt davon unberührt.
Die meisten Gemeinden haben eigene, interne Zeitungen oder andere Publikationen. Natürlich erfährt jeder, der möchte, auch ohne solche Organe, was eine Gemeinde über dieses oder jenes Thema beschlossen hat. Aber ob Herr XY Frau Z im Zuge der Beratungen zu diesem Thema angebrüllt hat, und was dieser Funktionär über jenen denkt, muß nun wirklich niemand erfahren. Zumindest nicht aus der Zeitung.
Eine Gemeinde ist nun einmal ein Tendenzbetrieb, und ein Gemeindeparlament ist kein öffentliches Parlament wie der Bundestag. Kein Mensch würde verlangen, daß die Synoden der großen christlichen Kirchen presseöffentlich sind, ganz abgesehen davon, daß es schwerlich vorstellbar wäre, daß sich ein Fernseh- oder Rundfunksender für solche in der Regel langweiligen Sitzungen ernsthaft interessiert.