Inge Marcus

Mit einem Lächeln

von Christine Schmitt

»Ich hatte viel Glück im Leben.« Inge Marcus lehnt sich zurück in ihrem Sessel in ihrem Wohnzimmer, nimmt noch einen Schluck Cappuccino und wird doch etwas nachdenklich. Auch heute versuche sie, zufrieden zu sein. »Aber es ist wahnsinnig leer ohne meinen verstorbenen Mann. Ich vermisse ihn.« Vor vier Jahren ist er gestorben, 55 Jahre lang waren sie verheiratet. Dennoch, allein ihre »wunderbaren Kinder und Enkelkinder« machen sie glücklich.
Und die hatten die Organisation für den vergangenen Sonntag fest in der Hand. An 4. Februar feierte Inge Marcus ihren 85. Geburtstag, obwohl ihr gar nicht danach zumute war und sie diesen Tag am liebsten vergessen würde.
»Sie ist ein typischer Wassermann und hat alle guten Eigenschaften dieses Sternzeichens mitbekommen«, sagt ihre jüngste Tochter Marguerite über ihre Mutter. Sie liebe die Harmonie, sei warmherzig, bescheiden, gutmütig und sehr beliebt.
»Nottingham« steht in großen Buchstaben auf einem Becher geschrieben, Aquarellbilder von Paris schmücken die Wände. Außerdem stehen und hängen überall Fotos von ihren Kindern und Enkelkindern. In England überlebte sie die Schoa, in Paris erlebte sie die ersten Friedensjahre. Dort hatte sie auch geheiratet. Stolz schaut ihr Mann Gerhard auf dem Hochzeitsfoto aus, strahlend Inge Marcus. »Es war eine Jugendliebe«, sagt sie. Ziemlich behütet sei sie aufgewachsen und konnte sogar ein Lyzeum besuchen. Bis am Morgen nach der Pogromnacht ein Lehrer zu ihr kam, sich entschuldigte und ihr mitteilte, dass sie nicht mehr weiter zur Schule kommen könne. Am selben Tag noch wurde ihr Vater abgeholt und nach Sachsenhausen deportiert. »Bis dahin war er optimistisch, aber als er Wochen später abgemagert nach Hause kam, nicht mehr.« Für ihre Eltern stand fest, dass ihre Tochter keine Zukunft mehr in Deutschland hätte. Deshalb schickten sie sie zu einer bekannten Familie nach England. Und zwar mit dem Flugzeug. »Ich war so aufgeregt, dass mein Abschiedsschmerz in den Hintergrund geriet.« Sie sah ihre Eltern nie wieder. Richard und Mieze Baumann wurden 1943 deportiert und starben in Konzentrationslagern.
In London wurde Inge Marcus zur Säuglingsschwester ausgebildet. Obwohl sie zu Hause kaum mithelfen musste, war ihr keine Arbeit zu viel. »Ich habe auch auf Knien die Böden gebohnert.« Noch lieber wäre sie allerdings Ärztin geworden. Nach der Ausbildung konnte sie als Erzieherin in einem Kindergarten in Nottingham arbeiten und dort blieb sie bis zur ihrer Ausreise.
An einem sonnigen Tag im März 1947 kam sie mit dem Zug in Paris an, wo Gerhard Marcus mittlerweile wieder lebte und auf sie wartete. Neun lange Jahre hatten sie sich nicht gesehen. »Und die ersten Worte, die ich zu ihm sagte, waren ›My Bag!’«, erinnert sich Inge Marcus und lacht. Sie dachte nämlich in diesem Moment, dass ein Schaffner mit ihrer Tasche davon- laufen würde.
»Die Wohnzustände in Paris waren teilweise schrecklich«, meint sie. In einer Ein-Zimmer-Wohnung lebte sie mit ihrem Ehemann und Schwiegermutter. Das Schlimmste war aber die Toilette: Ein französischer Abort außerhalb der Wohnung. »Das muss schon eine wahre Liebe sein, die so etwas überdauert«, sagt sie vergnügt. Sie fand einen Job als Übersetzerin beim American Joint Comittee. Englisch konnte sie ja perfekt. »Es war eine wunderschöne Zeit«, so Inge Marcus. Schließlich konnten sie in eine größere Wohnung umziehen und ihr erster Sohn kam auf die Welt. 1951 zog die nun vierköpfige Familie nach Berlin.
Eines stand für Inge Marcus von Anfang an fest: sie wollte sich um den Wiederaufbau der Jüdischen Gemeinde in der Stadt kümmern. 1953 wurde die legendäre Frauengruppe gegründet. Mit dabei: Inge Marcus, die prompt in den Vorstand gewählt wurde. Mitte der 50er-Jahre wurde sie von Heinz Galinski zur Kandidatur für die Repräsentantenversammlung (RV) überredet. Ihr drittes Kind war gerade ein paar Monate alt, als sie ihren Platz im Gemeindeparlament einnahm. »Aber nach 34 Jahren in der Repräsentanz reichte es mir«, sagt sie. Los kommt sie dennoch nicht ganz. Denn als Gemeindeälteste besucht sie noch heute jede Sitzung der RV – auch wenn ihr das Gehen zunehmend schwerer fällt. »Meine Füße machen nicht mehr so mit, wie ich es will.«
Langeweile kennt sie nicht. »Ich liebe das Fernsehen«, gesteht sie. Drei ihrer Kinder leben mit ihren Familien in Berlin, ein Sohn mit Frau und Nachwuchs in Jerusalem. Kinder und Enkelkinder gehen bei ihr ein und aus. Ihre jüngste Tochter kommt morgens mit frischen Brötchen zum gemeinsamen Frühstück, ihre älteste besucht sie ebenfalls täglich und erledigt die Büroarbeit. Mit dem einen Enkelsohn war sie gerade im Kino und ein anderer lud sie in seine Schule ein, wo sie als Zeitzeugin aus ihrem Leben erzählen sollte. »Ich sage dann immer, dass es im Dritten Reich auch anständige Menschen gab und nicht alle schlecht waren.« Auch den jungen Leuten wird dann schnell klar, dass Inge Marcus eine ist, die sich nicht unterkriegen lässt und die ihren Optimismus nie verloren hat.

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