Clemens Toussaint

Mister 50 Prozent

von Bernhard Schulz

Es ist ruhiger um ihn geworden: Clemens Toussaint, der sich an die Berufsbezeichnungen »Kunstfahnder« oder »Kunstdetektiv« gewöhnt hat, auch wenn er sie nicht sonderlich mag. Das ist nun mal sein Beruf: Kunstwerke aufzuspüren, die Privatsammlern gehört haben und unrechtmäßig in den Besitz von Museen gelangt sind. In der Regel handelt es sich um »NS-verfolgungsbedingt entzogenes Kulturgut«, wie der terminus technicus in Deutschland lautet.
Toussaint (47), der gebürtige Saarländer mit steuerbegünstigtem Wohnsitz in Monaco, wurde in den 90er-Jahren zu einer Symbolfigur der Restitution. In positiver und in negativer Hinsicht. Er war es, der spektakuläre Fälle bekannt machte. Etwa den der im Westen verschwundenen Werke des 1941 verstorbenen Sowjet-Avantgardisten El Lissitzky. Toussaint erzwang die Herausgabe an die rechtmäßigen Erben. Er war es aber auch, der als »Mister 50 Prozent« am Erlös der sofort nach Rückgabe veräußerten Werke kräftig verdiente. Das machte ihn wohlhabend, aber es bescherte ihm in der Öffentlichkeit auch den Ruf, ein geldgieriger Schnüffler zu sein.
Ja, er sei vermögend – so hat Toussaint vor Jahren selbst bestätigt. Das war zu ei- ner Zeit, da er sich vom öffentlich-rechtlichen deutschen Fernsehen über Monate hinweg begleiten ließ und sich gern ans Steuer eines seiner Nobelautos setzte, um den Alltag der Happy Few an der französischen Mittelmeerküste zu demonstrieren. Später wurde er zurückhaltender. Auf Tagungen zur Provenienzforschung, also zur Erforschung der Eigentümergeschichte eines Kunstwerks, zeigte er sich nur noch sporadisch, Gesprächen ging er aus dem Weg. Das Geschäft mit der Restitution war rauer geworden. Überraschungen wie noch Ende der 90er-Jahre wurden seltener. Nicht mehr der einsame Jäger mit der genialen Spürnase stand im Mittelpunkt, sondern kopfstarke Anwaltskanzleien auf beiden Seiten, die mitunter komplizierte Vergleiche aushandelten.
Toussaint ist durch Zufall zu seinem Beruf gekommen. Er war auf der Suche nach einem Thema für ein Drehbuch und er kam auf die Idee, die Geschichte eines verschwundenen Bildes zu erzählen. Die Recherche entwickelte sich dann zu einem regelrechten Krimi: Im damaligen Ost-Berlin erhielt Toussaint Hinweise auf Gemälde, die ihr betagter Eigentümer aus Angst vor Enteignung verborgen hielt. Es gelang Toussaint, die Bilder in den Westen zu schaffen und teuer zu verkaufen. Den Erlös übergab er den rechtmäßigen Erben, deren »Republikflucht« aus der DDR er zuvor organisiert hatte. Der Anteil, den ihm die glücklichen Enkel ausbezahlten, gab Toussaint die Möglichkeit, sich ganz auf die Kunstsuche zu verlegen.
Es folgten die »Fälle« Lissitzky und Kasimir Malewitsch. Beide Male ging es um Kunstwerke, die in der Weimarer Zeit im Deutschen Reich verblieben und viel später von ihren Treuhändern (denen das Schicksal der in Stalins Sowjetunion verfemten und dann verstorbenen Künstler unbekannt war) verkauft worden waren, einige sogar ans New Yorker Museum of Modern Art. Toussaint erreichte die Rückgabe zugunsten der überraschten Erben und wurde »wohlhabend«.
Als vor Kurzem das Leopold Museum in Wien Schlagzeilen machte, weil die jüdische Gemeinde dem Haus vorwarf, es zeige in einer Ausstellung über den österreichischen Maler Albin Egger-Lienz Raubkunst gleich im Dutzend, fiel der Name Toussaint nur am Rande. Ist die Öffentlichkeit erst einmal aufgeschreckt, ist es für Toussaint bereits zu spät. Seine Spezialität sind Verträge mit Erben oder genauer, mit Anspruchstellern, die keine oder nur ungenügende Kenntnisse über den Verbleib der Objekte besitzen und bereit sind, deren Auffindung und Rückübertragung mit 50 Prozent Erfolgsbeteiligung zu honorieren. Dabei übernimmt Toussaint die Kosten für Recherche und Rechtsstreit. Er trägt also das Risiko allein.
Provenienzforschung wird heute systematisch von den großen Auktionshäusern, aber auch von spezialisierten Anwaltskanzleien betrieben. Dazu müssen als Erstes die Erwerbungsakten des Museums eingesehen werden, in dem sich das strittige Kunstwerk befindet. Bei Privatsammlungen ist es schwieriger. Erbscheine und Vermögensaufstellungen der ursprünglichen Eigentümer sind dabei eine herausragende Quelle. Seit der Washingtoner Konferenz 1998 (siehe Infokasten) bemühen sich auch die Mu- seen um akribische Herkunftsforschung. Das Ziel ist klar: selbst auf Anspruchsberechtigte zugehen und eine gütliche Einigung herbeiführen. Denn das spart immense Kosten für Prozesse und kann hohe Er- folgshonorare vermeiden helfen. Dass sich in den zurückliegenden Jahren Restitutionsfälle häuften, liegt in erster Linie am Umfang der Forschung, die mittlerweile betrieben wird. Viele längst verloren geglaubte Objekte sind aufgefunden, viele aus vermeintlich unbekannter Herkunft stammende Werke in und von den Museen identifiziert worden. Die Nachfrage der Auktionshäuser nach spektakulären Einliefe- rungen tut ein Übriges.
Nicht immer ging Toussaints Rechnung auf. Im Falle Lissitzky, wo er bis dahin exklusiv mit dem in sibirischer Verbannung aufgewachsenen, als Sohn einer deutschen Mutter jedoch 1988 in die Bundesrepublik übersiedelten Sohn Jen Lissitzky verbunden war, tauchten weitere Erben auf. Mit einem Mal einigten sich diese an Toussaint vorbei mit der privaten Stiftung Beyeler im schweizerischen Basel, von der Toussaint zuvor die Herausgabe eines Schlüsselwerks gefordert hatte. Der Kunstfahnder ging leer aus – und prozessierte fortan gegen seinen bisherigen Vertragspartner, von dem er schließlich nur einen Teil seiner Aufwendungen zurückerhielt.
Mit Eigentümern wie dem hartleibigen Wiener Augenarzt Rudolf Leopold (83) setzen sich private Vermittler nicht auseinander. Seit die bedeutende Sammlung österreichischer Kunst der frühen Moderne zwar von der Republik Österreich erworben, jedoch rechtlich in eine Privatstiftung überführt worden ist, der der Staat gleichwohl einen kompletten Museumsneubau in Wien spendiert hat – mit Leopold als Direktor auf Lebenszeit –, ist der Status der Kunstwerke umstritten. Ariel Musicant, Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde Wien, und mit ihm zahlreiche Persönlichkeiten des österreichischen Kulturlebens fordern, die unter dem Eindruck der Washingtoner Konferenz in Österreich erlassenen Restitutionsregelungen auch auf Leopolds Schätze auszudehnen. Leopold selbst streitet bisher jede Unrechtmäßigkeit ab. Er habe »immer in bestem Glauben gehandelt«.
Konnte man in Österreich nach 1945 jemals »in bestem Glauben« handeln? Diese Frage hat sich Leopold nie gestellt. Dabei zeigt die Praxis der Nachkriegszeit, dass sich die Republik allenfalls unter unwürdigen Auflagen von den Schätzen trennen mochte, die ihr die zwischenzeitliche Zugehörigkeit Österreichs zu Hitler-Deutschland eingetragen hatte. So musste die Familie Bloch-Bauer Ende der 40er-Jahre mehrere Meisterwerke Gustav Klimts der Österreichischen Galerie »schenken«, um eine Ausfuhrgenehmigung für andere Teile ihrer Sammlung zu erlangen. Der langwierige Rechtsstreit, erst 2006 zugunsten der in Kalifornien ansässigen Erbin entschieden, ging durch alle Medien. Unter den bald darauf zur New Yorker Auktion gegebenen Gemälden errang das berühmte »Porträt Adele Bloch-Bauer I« mit 135 Millionen US-Dollar den Weltrekordpreis bei einer Versteigerung. Erworben wurde das Bild von Ronald S. Lauder, dessen New Yorker Privatmuseum mit dem deutschen Namen »Neue Galerie« mehrere solcher Trophäen aus erfolgreich abgeschlossenen Restitutionsfällen zeigen kann.
Clemens Toussaint hat derweil bereits andere Tätigkeitsfelder im Auge. In den nach dem Fall des Ostblocks wieder souverän gewordenen Staaten Mittelosteuropas gibt es zahllose Kunstschätze ungeklärter Herkunft. Aus Budapest, so meldet es der »Spiegel«, hat Toussaint eine Anfrage vorliegen. Dabei geht es um Gemälde der Impressionisten Renoir und Manet, Bilder also, die wohlhabende Bürger zu Beginn des 20. Jahrhunderts sammelten, bevor Hitlers Schatten ganz Europa verdüsterte.

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