Zuwanderer

Macht uns ein Angebot!

von Andreas Gotzmann,
Doron Kiesel und Karen Körber

Fragen, Bedenken und Zweifel: Seit fast zwei Jahrzehnten beschäftigt man sich mit der Integration der aus der Sowjetunion eingewanderten Juden. Da ist es an der Zeit, die zweite Generation in den Blick zu nehmen. Es sind Zehntausende, die in Deutschland ihren Lebensmittelpunkt sehen, sich mit den Spielregeln der hiesigen Gesellschaft identifizieren, die deutsche Sprache inzwischen besser als die russische beherrschen. Gemeint sind diejenigen, die bildungsbeflissen um die Bedeutung schulischer und akademischer Abschlüsse wissen, sozial aufsteigen und ihr Können und Wissen einsetzen, um Teil der Gesellschaft zu werden.
So weit, so gut. Erfolgsstorys setzen jedoch Bedingungen, Strukturen und Institutionen voraus, die diesen Prozess begleiten und stützen. Nachdem die jungen Einwanderer unter Beweis gestellt haben, wie entschieden sie ihren Integrationsprozess vorantreiben können, sind jüdische Institutio- nen gefordert, Ideen und Perspektiven zu entwickeln – sofern sie daran interessiert sind, junge Migranten in den Gestaltungsprozess einzubeziehen, ihnen Verantwortung und Kompetenzen zu übertragen.
Notwendig ist der Ausbau der Angebote in den Gemeinden für Jugendliche und junge Erwachsene. Diese Angebote sollen helfen, Hemmschwellen abzubauen. Für viele ist die Gemeinde in erster Linie ein abgeschlossener, religiöser Ort. Die Jugendzentren sollten als Orte der Begegnung verstanden werden, in denen Kinder aus alt- eingesessenen und zugewanderten Familien zusammenkommen. Dass sie sich unterscheiden, darf nicht ignoriert, sondern muss zum Gegenstand gemeinsamer Reflexion gemacht werden. So können die Jugendlichen sehen und erleben, wie vielfältig jüdische Identität sein kann.
Den Gemeinden gelingt es bisher nur selten, junge Erwachsene und die »mittlere« Generation der Zuwanderer an sich zu binden. Doch sie müssen sich öffnen für Themen und Aktivitäten, die den Bedürfnissen und Interessen junger Menschen gerecht werden. Dazu sollten auch Lernangebote gehören, die einen intellektuellen Zugang zum Judentum ermöglichen. Dies könnte zum Beispiel unter dem Dach einer »Jüdischen Akademie« stattfinden. Auch ist es an der Zeit, auf Verbandsebene über die Einrichtung von Stipendienfonds nachzudenken, zum Beispiel in Form eines »Jüdischen Studienwerks«.
Die Gemeinden wiederum sollten Foren, Gesprächskreise und Seminare etablieren, in denen sich die Mitglieder über die vielfältigen Formen jüdischen Lebens austauschen können. Dadurch ließe sich der verschüttete Erfahrungsschatz russischspra- chiger Juden heben. Das hätte Folgen: Die Menschen würden nicht mehr glauben, sie hätten ein defizitäres Verhältnis zu ihrer jüdischen Herkunft.
Eine besondere Herausforderung für die Gemeinden ist die Tatsache, dass ihre Mitglieder keine gemeinsame Vergangenheit haben. Es dominieren zwei Geschichtsbilder: das Gedenken an die Schoa und die Erinnerung an den Großen Vaterländischen Krieg. Beides gilt es zu bewahren und in ein angemessenes Verhältnis zueinander zu setzen. Noch ist das nicht der Fall. Noch stehen unterschiedliche Erfahrungen, Erinnerungen und Erzählungen nebeneinander. Zudem sind unter den eingewanderten Familien viele, deren Schicksal sowohl durch den Holocaust als auch durch die Teilnahme am Zweiten Weltkrieg geprägt wurde. Für die Bildungsarbeit heißt das: Der Austausch und Dialog zwischen der Generation der Zeitzeugen und den Heranwachsenden muss verstärkt werden. Es braucht eine neue Erinnerungskultur.
Fast 20 Jahre russisch-jüdische Einwanderung nach Deutschland – die Entwicklung zeigt, dass die Gemeinden sich als bindende Struktur nur dann langfristig bewähren, wenn sie ihren Mitgliedern ein Forum sind, das Identität stiftet und ihnen unterschiedliche Modelle der Lebensführung zubilligt. Nur dann ist es möglich, die vielfältigen, oft brachliegenden Ressourcen sinnvoll zu nutzen.

Die Autoren haben im Auftrag des Zentralrats der Juden in Deutschland eine Untersuchung durchgeführt mit dem Titel »Im gelobten Land? Integrationsmuster jüdischer Zu- wanderer aus der ehemaligen Sowjetunion im Prozess der Eingliederung in die jüdischen Gemeinden in Deutschland«.

Programm

Termine und TV-Tipps

Termine und Tipps für den Zeitraum vom 12. Juni bis zum 18. Juni

 11.06.2025

Tel Aviv/Gaza

Israel will Ankunft von Thunbergs Schiff in Gaza verhindern

Das Schiff des Bündnisses Freedom Flotilla Coalition ist unterwegs nach Gaza. Nach Angaben der Aktivisten nähern sie sich immer mehr dem Gebiet - Israel droht ihnen nun

 08.06.2025

Petition

Deutsche Prominente werfen Israel Völkermord vor

Die Unterzeichner verlangen eine Aussetzung von Rüstungsexporten

 05.06.2025

Bundestag

Wegen »Palestine«-Shirt: Linken-Abgeordnete des Plenarsaals verwiesen

Mit der politischen Botschaft auf ihrer Kleidung hatte Cansin Köktürk offenbar gegen die Regeln des Hauses verstoßen. Die Bundestagspräsidentin zog die Konsequenz

 04.06.2025

Medien

Presseschau zur Debatte um Deborah Feldmans »Weltbühne«-Artikel

In dem Blatt des umstrittenen Verlegers Holger Friedrich zieht die Autorin die Jüdischkeit des Chefredakteurs der Jüdischen Allgemeinen in Zweifel. In Zeitungskommentaren wird nun vernichtende Kritik an ihrem Text geübt

 26.05.2025

Israel

Geisel-Angehörige fordern Ende des »Albtraums«

Seit bald 600 Tagen hält die Hamas noch 58 lebende und tote israelische Geiseln im Gazastreifen fest. Israelis demonstrieren vehement für ihre Freilassung und fordern ein Ende des Krieges

 24.05.2025

Nachrichten

Strände, Soldat, Flüge

Kurzmeldungen aus Israel

von Sabine Brandes  21.05.2025

Sachsen-Anhalt

Sachsen-Anhalt: Verfassungsschutz sieht Demokratie bedroht

Im Osten ist die AfD besonders stark. Allerdings etablieren sich auch andere rechtsextremistische Bestrebungen

von Christopher Kissmann  19.05.2025

London

Nach antisemitischem Post: Lineker hört bei BBC auf

In den sozialen Medien teilt Gary Lineker einen Beitrag zum Israel-Gaza-Konflikt mit antisemitischer Konnotation. Nun zieht der frühere Fußballstar die Konsequenz

 19.05.2025