9. November 1938

Links liegen lassen

von Martin Krauss
und Katrin Richter

Die Zeit wird knapp. Bis zum 9. November sind es nur noch wenige Tage, und dass der Bundestag bis dahin einen Antisemitismusbeauftragten berufen wird, ist mittlerweile sehr unwahrscheinlich. Die Stelle war in einem Antrag vorgesehen, auf den sich alle Fraktionen geeinigt hatten und der zum 70. Jahrestag der »Reichspogromnacht« 1938 verabschiedet werden sollte.
Doch die CDU/CSU-Fraktion hat sich eines anderen besonnen. Anfang Oktober strich sie ohne Rücksprache den Namen der Fraktion Die Linke aus dem Kopf des Antrags und änderte den Inhalt des gemeinsamen Papiers deutlich: Nun sollte auch an den Antisemitismus in der DDR er- innert werden, konkret war von der Enteignung jüdischer Unternehmer die Rede. »Die richtige Frage zum falschen Zeitpunkt«, nennt Markus Löning von der FDP-Fraktion die Intervention: »Es ist total unwürdig, den Jahrestag zum Anlass für diesen Streit zu nehmen.« Auch der Generalsekretär des Zentralrats der Juden, Stephan J. Kramer, warnte, ein gemeinsames Zeichen »sollte nicht leichtfertig durch politisches Wahlkampfgezänk oder Personaldebatten vertan werden«.
Mit ihrer Absage an einen gemeinsamen Antrag hat sich die Union auch von der Idee eines Antisemitismusbeauftragten verabschiedet. Von einer »Inflation der Beauftragten« spricht Hans-Peter Uhl (CSU). Seine Fraktionskollegin Kristina Köhler sagt: »Mit goldenen Türschildern bekämpft man nicht den Antisemitismus.« Außerdem würde die Einführung eines Antisemitismusbeauftragten zum jetzigen Zeitpunkt signalisieren, es sei in den vergangenen 60 Jahren alles falsch gemacht worden. »Oder wir signalisieren, dass uns die Probleme über den Kopf wachsen. Beide Signale wären falsch.«
Auch andere Parteien zweifeln am Sinn des Amtes. Volker Beck von den Grünen sagt, es sei besser, »vorhandene zivilgesellschaftliche Programme, die sich gegen Antisemitismus aussprechen« zu stärken. FDP-Politiker Markus Löning hätte lieber eine Enquetekommission. Eine Idee, mit der sich auch Köhler anfreundet. »Ein regelmäßiger Antisemitismusbericht würde mehr bringen.«
Etwas Ähnliches gibt es schon: Einmal im Monat fragt Petra Pau (Die Linke) die Bundesregierung nach den aktuellen Zahlen rechter und antisemitisch motivierter Straf- und Gewalttaten. Aus Sicht der CDU/CSU fragt da die Falsche. »Mit einer zum Teil extremistischen Partei kämpfe ich nicht gegen den Extremismus«, sagt Köhler, »ich würde ja auch nicht mit den Rechtsextremen gegen den Islamismus kämpfen.« Hans-Peter Uhl von der CSU wird noch deutlicher. »Wenn es um eine gemeinsame Erklärung zum Thema Antisemitismus geht, ist die Linke schlicht nicht verhandlungsfähig.« Petra Pau, die zu den Initiatorinnen des Antrags zählt, ist irritiert. Als Vizepräsidentin des Bundestags hielt sie noch Mai dieses Jahres im Parlament eine Rede zum 60. Jahrestag Israels: Bei ihrer Forderung eines parteiübergreifenden Engagements gegen Antisemitismus verzeichnete das Protokoll auch den Beifall der CDU/CSU-Fraktion.
Ihre Anregung, die in der gemeinsamen Entschließung aller fünf Fraktionen zum 9. November münden sollte, ist mittlerweile hinfällig. »Ein verkorstes Verfahren«, seien die Bemühungen gewesen, sagt Hans-Peter Uhl. Nun tüfteln CDU/CSU und SPD gemeinsam an einer völlig neuen Resolution. Bisher damit beschäftigte Abgeordnete wie Gitta Connemann (CDU) oder Gert Weisskirchen (SPD) sind außen vor, denn sie gehören nicht dem Innenausschuss an. »Man kann sich natürlich mit einer bunten Schar von Abgeordeten treffen und über alles reden«, kritisiert Uhl seine Kollegen, »aber für eine Resolution zum Thema An-tisemitismus sind die Innen- politiker zuständig.« Einen Handlungs bedarf macht Uhl auch nicht aus. »Ich sehe keinen gewachsenen Antisemitismus«, sagt er. Ursprünglich wollte er die ersten Gespräche am 11. November, also nach dem Gedenktag, führen.
Trotz der Hinweise aus Angela Merkels Umfeld, die Idee eines Beauftragten sei ein »positiver Vorstoß«, den es weiterzuverfolgen gelte, versuchen Teile der CDU/CSU offenbar den Jahrestag zu nutzen, um eine neue Linie gegenüber der Linken durchzusetzen.
Die Begründungen für die Absage der Union an eine gemeinsame Erklärung variieren. Als klar wurde, dass die Belege für den Antisemitismus in der DDR historisch nicht haltbar sind (siehe nebenstehendes Interview), erklärten Köhler und Uhl unisono, die DDR-Geschichte sei ja nicht ihr primäres Anliegen, problematisch sei die Partei Die Linke. »Dort finden sich antizionistische und auch antisemitische Kräfte«, sagt Hans-Peter Uhl. »Wenn wir das jetzt nicht herausstellen, dann hätten wir dem Antisemitismus gedient.« Zwar nimmt Uhl Kollegen wie Gregor Gysi und Petra Pau ausdrücklich von seiner Kritik aus, aber mit ihrer Partei will er eben nichts zu tun haben.
Zu den Vordenkern einer scharfen Abgrenzung zur Linken gehört Steffen Flath, CDU-Fraktionschef im sächsischen Landtag. »Anträge von Parteien am rechten und linken Rand sind generell abzulehnen«, heißt es in einem von ihm verfassten Thesenpapier, das in der Union zirkuliert. Zu Ende gedacht könnte das heißen: Auch einem Antrag zum 9. November dürfe die die Union nicht zustimmen, weil er von der Linken mit initiiert wurde.
Damit geraten liberalere Kräfte in der CDU/CSU ins Abseits. Der Fraktionschef im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern, Armin Jäger, zum Beispiel erklärte erst jüngst, er sei zwar Antikommunist, »aber aus der Not heraus glaube ich, dass wir der NPD nicht erlauben dürfen, einen Keil zwischen uns andere Landtagsparteien zu treiben.« Zu denen gehört auch die Linke.

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