von Igal Avidan
Es ist Heiligabend, und 2.200 Juden aus 13 Staaten feiern an der University of Nottingham in England ihre Religion und Kultur. Manche sitzen im Workshop von Daniel Anderson aus London. Das Thema ist jüdische Meditation. Nachdem der Jeschiwa-Absolvent das Bild eines meditierenden Rabbiners zeigt, werden die Teilnehmer im kleinen Raum gebeten, die Augen zu schließen und sich einen Buchstaben vorzustellen. Dann lernen sie, dass jüdische Quellen viele meditative Hinweise enthalten, die im Laufe der Zeit aus den Synagogen verschwanden.
Später eilt man zur Präsentation von Fathi Marshood über die arabischen Israelis. Der Leiter des Haifa-Büros der NGO Shatil ist überrascht: 150 Menschen füllen das Auditorium. »Ich bin der einzige Goi (Nichtjude) hier«, sagt Marshood und das Publikum lacht. Aber später werden sie den Kritiker der Benachteiligung der arabischen Israelis mit Fragen konfrontieren. »Wenn es Ihnen so schlecht geht, haben Sie überlegt in den Iran zu ziehen?« fragt einer. Die Antwort lautet: »Das ist meine Heimat. Ich ziehe nirgendwohin.«
Nach Mitternacht wimmelt es von Leben im Hauptgebäude, dem East Midlands Conference Centre (EMCC). In einem Raum singen zwei Dutzend Teilnehmer hebräische und jüdische Lieder. Im großen Saal nebenan lernen 30 Männer und Frauen einen neuen israelischen Volkstanz. Maurice Stone, der kräftige bärtige Direktor des Israeli Dance Institute in London leitet die Tanzunterricht.
»Limmud«, auf Hebräisch bedeutet »Lernen«. Viereinhalb Tage lang setzten sich die Teilnehmer – 350 von ihnen sind auch Referenten – mit allen möglichen Aspekten ihrer jüdischen Identität auseinander.
Der Anfang war sehr bescheiden, erinnert sich Limmud-Mitbegründer Clive Lawton, der heute leitender Berater der Organisation ist. Im Sommer 1978 plante er zusammen mit drei Freunden eine kleine Tagung außerhalb von London. Die Organisation war so ineffizient, dass die Veranstaltung erst Ende Dezember stattfinden konnte, was sich im Rückblick als Glücksfall erwiesen hat. »Zum Glück für uns, weil viele Menschen kommen können ohne dadurch zu viel Arbeitszeit zu verlieren«, sagt er. Auch wenn Limmud manchmal aus technischen Gründen einige Tage vor oder nach Weihnachten stattfindet, »kommen viele Menschen, weil sie Limmud in ihrer Ferienplanung bereits fest verankert haben.«
»Jeder Jude muss lernen und kann lehren«, formuliert der langhaarige Lawton eines der Grundprinzipien von Limmud. Um dies zu betonen, werden die Titel auf den Namenschildern nicht genannt. Auch im Programm werden alle Redner gleich angekündigt und treten honorarfrei auf – auch Stars wie Debora Lipstadt, Leiterin des Jewish Studies Institute in Atlanta und bekannt durch ihren Prozess gegen den Holocaust-Leugner David Irving. Wenige christliche und muslimische Referenten werden eingeladen, wenn sie zum interreligiösen Dialog beitragen oder zu jüdischen Themen forschen. Auch einzelne Nichtjuden nehmen an Limmud teil, zum Beispiel Vincent Berger aus Neuss, der mehr über alle Aspekte des Judentums lernen will.
Ein weiteres Grundprinzip von Limmud ist die Kinderbetreuung. Durch die Kinderkrippe und eine parallele Konferenz für Jugendliche werden Familien angelockt. Und Limmud lebt von Freiwilligen. Auf dieser Konferenz sind es 150, in Großbritannien 500. Einer von ihnen ist Elliot Goldstein, Vorsitzender von Limmud. Er wurde während der ersten Konferenz geboren – vor 26 Jahren. »Unser Programm bietet zu jeder Zeit 35 Veranstaltungen, und zu jedem Thema versuchen wir verschiedene Standpunkte anzubieten.« Nur Gruppen wie ›Juden für Jesus‹ oder Anti-Zionisten, die das Existenzrecht Israels ablehnen, sind unerwünscht.
In den letzten Jahren ist Limmud ständig gewachsen. Allein in Großbritannien nehmen inzwischen 3.000 Menschen an verschiedenen Veranstaltungen teil, in je- der großen jüdischen Gemeinde. Limmud-Events finden bereits in 13 Staaten statt. In Istanbul kamen 800 Juden, ebenso viele in Moskau, in Berlin fand im Sommer ein Mini-Limmud statt, und eine große Tagung ist für Anfang September 2007 geplant.
Mitorganisiert wird sie von Sophie Mahlo aus Berlin, die bereits zweimal bei Limmud war. »Ich bin hier, um mehr über Religion zu lernen und in meiner Kultur zu baden sozusagen«, sagt die 30-Jährige. »Hinter jeder Tür finde ich einen anderen Aspekt meiner Kultur.« Diese Dynamik und diesen »Hype« will sie in kleinerem Rahmen auch in Berlin sehen.