Bilder aus Gasa

Krieg im Wohnzimmer

von Sabine Brandes

Es war eine schöne Feier. Mit lachenden Gästen, stolzen Eltern und einem strahlenden Brautpaar. Roi und Scharon Rosner waren glücklich. Verliebt schauten sie einander in die Augen und vergaßen die Welt um sich herum. Mit diesen Bildern sollten sich die Brautleute immer an den schönsten Mo-
ment ihres Lebens erinnern können. Doch die schreckliche Realität hat das Paar eingeholt. Nur zehn Monate nach der Hochzeit ist Scharon Witwe und am Boden zerstört. Während des Gasa-Krieges wurde ihr frisch angetrauter Ehemann als Soldat von einer Panzerabwehrgranate tödlich verletzt. Und die Zuschauer durften vom Wohnzimmersessel aus am Schmerz teilhaben.
»Er war ein Held«, hauchte die Schwägerin mit tränenerstickter Stimme in die Kamera, »ich kann es noch nicht fassen, wir werden ihn so vermissen«. Was für deutsche Medienkonsumenten eher ungewöhnlich scheint, ist in Israel völlig normal. Die Hochzeits- oder Freizeitvideos der gefallenen Soldaten liefen während des Krieges in sämtlichen Kanälen rauf und runter, weinende Freunde erzählten, was für wundervolle Menschen die Toten waren, Trauerfeiern fanden nicht im engsten Familienkreis, sondern im gleißenden Licht der Kameras statt. Gesendet wurde das kollektive Weinen in den 20-Uhr-Nachrichten der öffentlich-rechtlichen Kanäle.
Nur Zahlen und Namen reichen dem israelischen Zuschauer nicht. Er will Persönliches, will mitfühlen dürfen, auch wenn er selbst nicht an die Front muss. Und er bekommt es: Ob Terroropfer oder gefallener Soldat im Krieg, stets tauchen die Menschen hinter den Statistiken auf, machen Krieg und Terror noch allgegenwärtiger, als sie es in diesem kleinen Staat ohnehin sind.
Dabei haben die Israelis durchaus kein einfaches Verhältnis zu ihren Medien. Würde man eine Liste der verhasstesten Berufe erstellen, Journalist stünde sicherlich ganz weit oben. Oft werden Reporter, allen voran ausländische, verdächtigt, »doch sowieso nur schlecht über Israel schreiben zu wollen« und laufen schnell Gefahr, sich einen Namen als Nestbeschmutzer zu machen. Gleichzeitig haben die Menschen wenig Scheu, ihre Meinung in Zeitung, Radio oder Fernsehen kundzutun. Ob es um Krieg geht, die Wirtschaft oder das bunte Leben.
»Ich habe gar nicht gemerkt, wie es so weit kommen konnte«, gibt Liora Kohen zu. Die Mutter von drei Kindern lebt in Pardes Hanna, einem Kleinstädtchen nördlich von Tel Aviv. »Wenn ich nach Hause gekommen bin, habe ich den Fernseher eingeschaltet. Bis zur Schlafenszeit liefen ständig die Nachrichten. So war es jeden Tag seit dem Beginn der Offensive.« Auch ihre Kinder bekamen so ständig das Neueste mit: LiveBilder aus dem Bunker in Sderot, von der Beisetzung eines Soldaten oder dem Be-
schuss in Gasa. Tote, Verletzte, Weinende überall. Eines Abends fand Kohen ihre neunjährige Tochter tränenüberströmt auf dem Bett. »Sie war völlig fertig, sagte, sie könne diese Bilder nicht mehr ertragen.«
Die Kohens sind kein Einzelfall: So kritisch die Bevölkerung den Medien oft gegenübersteht, verpassen will keiner etwas. In Zeiten der Krise haben Zeitungen Hochkonjunktur, läuft der Fernseher oft 24 Stunden und überträgt die Bilder des Grauens zum Frühstück, Mittag- und Abendessen. Viele Familien nehmen ihr gemeinsames Mahl vor der Mattscheibe ein. Expertenrunden debattieren fast pausenlos auf allen Kanälen, unterbrochen lediglich von aktuellen Meldungen und Live-Schaltungen zu den Reportern vor Ort.
Im Libanonkrieg von 2006 waren es vor allem die Medien, die das Versagen der Verantwortlichen aufgedeckt und zur Einsetzung einer Untersuchungskommission beigetragen hatten. Im jetzigen Konflikt indes mussten sie sich trotz ihres unermüdlichen Einsatzes herbe Kritik gefallen lassen. Sie hätten Selbstzensur geübt und den Einsatz der Armee überzogen patriotisch dargestellt, prangerte Keschev, ein unabhängiger Überwachungsverein der Medien, an. Vor allem in den ersten Tagen seien sie »von Selbstgerechtigkeit durchzogen gewesen«. Es habe viel Unterstützung für die Truppen und sehr wenig Kritik gegeben.
Tageszeitungen titelten »Besser spät als nie« oder »Wir schlagen zurück«. Während ausländische Agenturen und Fernsehteams der Aktion den Namen »Krieg in Gasa« gaben, bezog sich die Mehrzahl israelischer Medien auf den »Krieg im Süden«, in Anlehnung an die aus dem Gasastreifen beschossenen südlichen Städte Sderot, Beer Schewa, Aschkelon und Aschdod. Von hier aus berichteten die israelischen Feldreporter rund um die Uhr, im-
mer den Auslöser auf den verängstigten Gesichtern der bedrohten Israelis.
Gasa war ohnehin tabu, die Regierung hatte beschlossen, sämtlichen Journalis-ten aus dem In- und Ausland den Eintritt in die Kampfzone zu untersagen. Informationen wurden fast ausschließlich von der Armee verbreitet. Erst in den letzten Tagen des Krieges durften einige wenige einheimische Fernsehjournalisten Soldaten in Aktion filmen.
Dennoch hat sich am letzten Tag vor dem Waffenstillstand ein besonders trauriges Gesicht in den Köpfen eingebrannt, verbreitet vom öffentlich-rechtlichen Kanal 10. Ezzeldin Abu Al-Aish, palästinensischer Doktor am israelischen Tel Haschomer Krankenhaus, verlor bei einem Ra-
ketenangriff auf sein Haus im Gasastreifen drei seiner sechs Töchter. Die Armee gab an, Scharfschützen hätten aus dem Gebäude gefeuert. Dr. Abu Al-Aish jedoch sagte, dass er und seine Töchter immer nur Frieden gewollt hätten.
Mit dem Waffenstillstand sind die Live-Sendungen beendet, werden die Fernseher wieder abgeschaltet, die Zeitungen zum Altpapier gelegt. Normalität kehrt ein – bis zur nächsten Krise.

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