alte Synagoge

Kompakte Leerstelle

von Sabine Demm

Die Gegend am Frankfurter Cityring lädt kaum zum Flanieren ein. Auf der dreispurigen Straße brausen Autos vorbei. Dort, wo im Mittelalter die Wallanlage der Stadt stand, befindet sich jetzt eine Grünanlage. Auf ihren Bänken verweilt, wer sich Wein in Pappkartons mitbringt. Die Menschen hier haben die unterschiedlichsten Hautfarben. Das frühere jüdische Viertel Ostend ist heute ein Multikulti-Stadtteil.
Dem Wall gegenüber steht ein riesiger Betonklotz ohne Fenster, überspannt von einem großen Plakat, auf dem in schwarz-weiß der Innenraum eines Gotteshauses zu sehen ist. Darauf die Jahreszahl 1938. Daneben hängt ein zerrissenes Gittergeflecht. Ein paar Bäume und Hecken umgeben den Platz mit schwarzen Granitblöcken und einer antik anmutenden Säule. Die Bedeutung des Ortes kennt kaum jemand.
Dabei stand an diesem Platz einst die größte Frankfurter Synagoge, der ganze Stolz der Israelitischen Religionsgesellschaft (IRG). Vor 100 Jahren, am 29. August 1907, wurde das Gebäude feierlich eingeweiht. Nur 31 Jahre später setzten es Nazis in der Pogromnacht am 9. November 1938 in Brand, was sie mehrere Tage lang wiederholen mussten, da der Bau nicht recht Feuer fangen wollte. Die einsturzgefährdete Synagoge musste schließlich die jüdische Gemeinde selbst abbrechen.
An ihre Stelle wurde ab 1942 ein Luftschutzbunker gebaut, der die Zeit überdauerte. Die Frankfurter »Initiative 9. November«, die sich das Gedenken an die Synagoge und den Ort an der Friedberger Anlage 5-6 zum Ziel gesetzt hat, erinnerte mit einer Veranstaltung am vergangenen Sonntag der feierlichen Einweihung des Gotteshauses. Der Initiative gelang es damit – wie vor 100 Jahren – die Honoratioren der Stadt an diesem Ort zu versammeln. Zentralrats-Vizepräsident Salomon Korn, der ein Grußwort sprach, repräsentiert als Gemeindevorsitzender und Architekt des Zentrums im Frankfurter Westend die jüdische Nachkriegsgeneration.
Die IRG entsprang dem damaligen Zeitgeist und verfolgte eine eigene religiöse Richtung, mit für heute eigentümlich anmutenden Vorstellungen, wie der Religionswissenschaftler Matthias Morgenstern von der Universität Tübingen meint. Die Religionsgesellschaft spaltete sich 1850 als Zusammenschluss orthodoxer Juden einerseits von der Frankfurter jüdischen Gemeinde ab, weil sie deren Reformkurs nicht mittragen wollte. Andererseits waren ihre Mitglieder »kaisertreue Untertanen«, wie ein Lied, das zur Einweihung der Synagoge verfasst wurde, beweist. Zu ihrem ersten Rabbiner wählte die IRG den charismatischen Samson Raphael Hirsch.
Die Synagoge wurde zu klein. Am 21. November 1905 wurde der Grundstein in der Friedberger Anlage für eine neue gelegt. In knapp zweieinhalb Jahren entstand ein Bau, der sich stilistisch weder an christlichen noch an orientalischen Traditionen orientierte, die als deutsch beziehungsweise fremdländisch galten. Das Gotteshaus aus hellem Muschelkalk, verziert mit Jugendstilelementen, wirkte schlicht und edel.
Die Einweihung war ein Riesenereignis. Alles, was Rang und Namen in der Stadt hatte, erschien. Die Politiker, Honoratioren und Bankiers flanierten in Frack und Zylinder durch die damals ruhige Friedberger Anlage. »In feierlichem Zuge hatte man die Tora-Rollen in zwölf Equipagen überführt«, berichteten die Frankfurter Nachrichten. Die prächtige, neue Synagoge konnte die Zahl der Gäste kaum fassen, obwohl sie immerhin über 1.600 Plätze verfügte. Wer einst bei Vollmond durch die Wallanlagen spazierte, sah sich plötzlich »der weißen Pracht der hell schimmernden Synagoge« gegenüber. Sogar nach Amerika wurde über den eleganten Sakralbau von »großem poetischem Zauber« in den 20er-Jahren berichtet.
Dies bestätigten auch die Zeitzeugen, die zur Gedenkfeier am Sonntag gekommen waren. Cilly Peiser, die 1957 nach Deutschland zurückkam, betete als Kind in der Synagoge. Seinen Besuch aus dem US-Bundesstaat Georgia wollte sich auch der 98-jähri- ge Rabbiner Bernhard Jacobson nicht nehmen lassen. Als junger Mann hatte er seine Ausbildung in der IRG-Synagoge gemacht. Er war im Ostend aufgewachsen und fand seine Lebensgeschichte und viele Bekannte auf den Bildern der Dauerausstellung »Ostend – Blick in ein jüdisches Viertel« wieder, die das Jüdische Museum Frankfurt im Erdgeschoss des Hochbunkers zeigt.
Einen Eindruck von der verlorenen Pracht gewannen die Besucher der Gedenkfeier durch die Projektion einer virtuellen Gebäuderekonstruktion an die Bunkerfassade. Diese wurde vom Team Marc Grellerts von der TU Darmstadt realisiert, das seit 1995 zerstörte Synagogen am Computer rekonstruiert.
Die Gedenkfeier der »Initiative 9. November« setzt ein wichtiges Zeichen für die Zukunft. Seit beinahe 20 Jahren bemüht sich der Verein in Zusammenarbeit mit der Stadt Frankfurt mit Vorträgen, Ausstellungen und Aktivitäten um eine angemessene Nutzung des Ortes. Dann wird er irgendwann nicht mehr nur ein großer Klotz sein.

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