Jüdisch oder nicht jüdisch?

Katjas Fragen

von Nadine Bose

Nennen wir sie Katja. Katja ist in der ehemaligen Sowjetunion geboren, ihr Vater ist jüdisch, sie ist mit einem jüdischen Mann verheiratet, ihre Kinder fahren zu den Machanot der Zentralwohlfahrts-
stelle (ZWST), besuchen den Religions-
unterricht in der Gemeinde. Die Kinder sind aber, wie sie selbst, keine Gemeinde-
mitglieder. Denn Katja ist der Halacha zu-
folge nicht jüdisch. Sie zählt sich aber selbst dazu, und so kommt ein Übertritt für sie nicht infrage, vor allem weil sie mit wissenschaftlich bewiesenem Atheismus und gepflegtem Antisemitismus aufgewachsen ist. Religion ist nach Ansicht der akademisch gebildeten Frau nur »Opium fürs Volk«. Für das slawische Volk, nicht das jüdische, zu dem sie sich zählt. Sie sei jüdisch, so stand es in ihrem Pass, daran erinnerten sie die Nachbarn und der Rektor, als er sie wegen der »Judenquote« zum Medizinstudium in einer Großstadt nicht zugelassen hat.
Katja ist eine Konstruktion, die keine ist. Ihr Schicksal, das sie mit vielen Zu-
wanderern aus der ehemaligen Sowjet-
union teilt, ist Thema beim Limmud-Festival, das unlängst am Werbellinsee bei Berlin stattfand (vgl. Jüd. Allg. vom 7. Mai). Katjas Fall wirft bei der Podiumsdiskussion viele Fragen auf: Warum wird sie hier nicht als Jüdin anerkannt, warum kann sie kein Mitglied ihrer Gemeinde sein?
Sonja Günther, die Vorsitzende der liberalen Gemeinde Köln, erklärt, dass patrilineare Abstammung für die Mitgliedschaft in den liberalen Gemeinden Deutschlands nicht ausreiche. Jüdische Bildung, Zugehö-
rigkeit zur religiösen Gemeinschaft und schließlich ein Giur sind die Vorausset-
zungen. Man ist gezwungen, eine Grenze zwischen Klal Israel und den anderen zu ziehen, um zu unterscheiden. Der orthodoxe Dortmunder Gemeinderabbiner Avi-
chai Apel gibt zu bedenken, dass die Kinder, die trotz ihrer aktiven Teilnahme am Gemeindeleben wie ihre Mutter jedoch nicht jüdisch sind, in einen unausweichlichen Identitätskonflikt steuern. Mirjam Marcus, die stellvertretende Berliner Ge-
meindevorsitzende, betont nachdrücklich die Chance, die einem in solchem Fall durch die Teilnahme am Gemeindeleben und der Erwachsenenbildung gegeben wird.
Das klingt positiv. Doch was müsste Katja für einen Übertritt beitragen? Sie ist in einem Land ohne Religion sozialisiert worden. Sie bekam eine lebendige jüdische Tradition im Elternhaus oder ihrer Umgebung nicht mit. Sie weiß nicht, ob sie im reformierten, liberalen, konservativen oder orthodoxen Sinne den jüdischen Gesetzen entsprechend leben will – mit Kaschrut, Schabbat und allem Drum und Dran. Rabbiner Apel macht deutlich, dass diese Entscheidung innerhalb der Familie getroffen werden müsse, der Mann oder Lebenspartner müsse ebenfalls am Konversionsprozess beteiligt sein. Auch wenn die Halacha ein unentbehrlicher Bestandteil des Weges sei, könne niemand in die Köpfe schauen. Es obliege jedem Einzelnen, woran er glaube, und wie er es praktiziere. Judentum kennt keine Mission. Wer nicht auf diesem Wege jüdisch werden wolle, würde auch nicht dazu gezwungen. Die Berliner Gemeinderabbinerin Gesa Ederberg ist anderer Meinung: Natürlich würde man Katja nicht »ihren Atheismus fröhlich vor sich hinleben lassen«. Der Wille zum traditionellen jüdischen Leben müsse vorhanden sein – die ethnische Zugehörigkeit reiche nicht aus. Der Weg zum Judentum sei ein religiöser. Aber man sei gleichzeitig auch zum Tikkun, einer Verbesserung verpflichtet. Katja sei nicht daran schuld, dass ihr Vater eine nichtjüdische Frau geheiratet habe, sie sei nicht an der systematischen Ausrottung jeglicher Religion im sowjetischen Regime beteiligt gewesen. Wenn sie halachisch jüdisch sein wolle, würde ihr auch der Weg, vor allem durch eine solide jüdische Erwachsenenbildung, die in den Gemeinden angeboten werde, geebnet. Der eigene Wille sei aber unentbehrlich.
Soweit der Giur. Doch was kommt da-
nach? Würde Katja zum Beispiel nach ei-
nem bei der konservativen Masorti-Bewegung vollzogenen Übertritt in Gemeinden Aufnahme finden, in denen orthodoxe Rabbiner darüber zu entscheiden haben? Wohl kaum. Zumindest gibt es in dieser Frage keine einheitlichen und klaren Regeln. Und dies macht Katjas Weg in Richtung einer von ihr gewählten und praktizierten Identität nicht einfacher.
Vor allem die Einwanderung zwingt die deutschen Gemeinden dazu, sich mit dem Thema der jüdischen Identität auseinanderzusetzen. Geklärt werden muss da-
bei vor allem die Frage, ob postethnisches oder kulturelles Judentum losgelöst von religiöser Tradition eine Zukunft hat. Julia Itin von Limmud Deutschland ist in Odessa geboren und aufgewachsen, kann Katja daher gut verstehen. Sie glaubt jedoch: »Nur wenn die jüdische Identität auch eine lebendige jüdische Tradition als grundlegenden Bestandteil hat, ist sie wirklich zu-
kunftsträchtig.«

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