Jüdische Stadt

Jüdische Stadt am Schlachtensee

von Liva Haensel

Als Ron Golz im Frühjahr im Londoner Institute of Contemporary History and Wiener Library Aufnahmen aus Berlin-Schlachtensee entdeckte, staunte er nicht schlecht. Der 61-jährige Volkswirt, der mit seiner Frau Kristina Westerhoff in Zehlendorf lebt, wusste zu diesem Zeitpunkt zwar, dass es dort einmal ein Lager für Displaced Persons (DPs) gegeben hatte. Aber dass davon mehr als 60 Aufnahmen existierten und damit ein großer Mosaikstein wertvoller jüdischer Berliner Ge- schichte wiederentdeckt wurde, dämmerte ihm erst langsam. Doch der Stein geriet ins Rollen: Golz forschte gemeinsam mit seiner Frau, Pfarrerin an der evangelischen Kirchengemeinde Schlachtensee, und stieß auf unbekanntes Terrain.
Vom Januar 1946 bis zum Sommer 1948 existierte an der Potsdamer Chaussee 87 eine Art jüdische Kleinstadt: Etwa 30. 000 jüdische Flüchtlinge fanden dort ein vorübergehendes Zuhause, bevor sie weiter in die USA oder Palästina zogen. »Die meisten von ihnen stammten aus Polen«, sagt Kristina Westerhoff. Dort fühlten sie sich nicht mehr willkommen. Die Gemeinden waren von den Nazis zerstört worden, sie sahen sich zunehmend mit Nachkriegs-Antisemitismus konfrontiert. Auf der Flucht landeten viele in Berlin. Die vier Besatzungsmächte suchten für die DPs eine Lösung. Die Amerikaner stellten das Lager Düppel-Center bereit.
Auf den 15 Schwarzweiß-Aufnahmen des Lagers, die mit dazugehörigen Texten für Besucher im Gemeindehaus ausgestellt sind, sieht man vor allem junge Menschen. In Hoch-Zeiten lebten hier 850 Kinder, die im gegenüberliegenden Hubertus-Krankenhaus zur Welt kamen. Die Hauptsprache im Lager war Jiddisch. »Die Zuflucht Suchenden prägten einen ostjüdisch, an das Schtetl erinnernden Lebensstil«, sagte die Wissenschaftlerin Angelika Königs-eder bei Eröffnung der Ausstellung im November. Königseder forschte bereits vor zehn Jahren zu den Berliner DP-Lagern und hat dazu auch einige Bücher veröffentlicht. Laut ihren Recherchen gab es in Schlachtensee ein vielfältiges kulturelles Leben. »Wenn man heute dort ältere Menschen nach dem Lager fragt, erinnert sich niemand mehr«, sagt Westerhoff. Sie vermutet, dass dies auch mit der Verdrängung eines dunklen Kapitels deutscher Geschichte zu tun haben könnte. »Die Leute waren nach dem Krieg sehr mit sich selbst beschäftigt«, mutmaßt dagegen Maya Sandler. Die 73-jährige Friedenauerin ist in die Ausstellung gekommen, um vielleicht ihren Cousin auf einem der Fotos zu entdecken. Seit Ausstellungsbeginn haben viele ehemalige Lagerbewohner Kontakt zum Ehepaar Golz-Westerhoff aufgenommen. Bekannt ist jetzt auch geworden, dass »Zeit«-Herausgeber Josef Joffe und die Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde, Lala Süsskind, im Lager Schlach- tensee gelebt haben.
Die Spurensuche zieht weite Kreise. Das Heimatmuseum Schlachtensee interessiert sich für das Thema, das Centrum Judaicum will in einer neuen Ausstellung den Aspekt der DP-Lager mit einbeziehen, und das RBB-Fernsehen arbeitet an einem Film dazu. Die Präsentation in der Johanneskirche, Matterhornstraße 37, ist noch bis zum 15. Januar zu sehen.

Programm

Termine und TV-Tipps

Termine und Tipps für den Zeitraum vom 12. Juni bis zum 18. Juni

 11.06.2025

Tel Aviv/Gaza

Israel will Ankunft von Thunbergs Schiff in Gaza verhindern

Das Schiff des Bündnisses Freedom Flotilla Coalition ist unterwegs nach Gaza. Nach Angaben der Aktivisten nähern sie sich immer mehr dem Gebiet - Israel droht ihnen nun

 08.06.2025

Petition

Deutsche Prominente werfen Israel Völkermord vor

Die Unterzeichner verlangen eine Aussetzung von Rüstungsexporten

 05.06.2025

Bundestag

Wegen »Palestine«-Shirt: Linken-Abgeordnete des Plenarsaals verwiesen

Mit der politischen Botschaft auf ihrer Kleidung hatte Cansin Köktürk offenbar gegen die Regeln des Hauses verstoßen. Die Bundestagspräsidentin zog die Konsequenz

 04.06.2025

Medien

Presseschau zur Debatte um Deborah Feldmans »Weltbühne«-Artikel

In dem Blatt des umstrittenen Verlegers Holger Friedrich zieht die Autorin die Jüdischkeit des Chefredakteurs der Jüdischen Allgemeinen in Zweifel. In Zeitungskommentaren wird nun vernichtende Kritik an ihrem Text geübt

 26.05.2025

Israel

Geisel-Angehörige fordern Ende des »Albtraums«

Seit bald 600 Tagen hält die Hamas noch 58 lebende und tote israelische Geiseln im Gazastreifen fest. Israelis demonstrieren vehement für ihre Freilassung und fordern ein Ende des Krieges

 24.05.2025

Nachrichten

Strände, Soldat, Flüge

Kurzmeldungen aus Israel

von Sabine Brandes  21.05.2025

Sachsen-Anhalt

Sachsen-Anhalt: Verfassungsschutz sieht Demokratie bedroht

Im Osten ist die AfD besonders stark. Allerdings etablieren sich auch andere rechtsextremistische Bestrebungen

von Christopher Kissmann  19.05.2025

London

Nach antisemitischem Post: Lineker hört bei BBC auf

In den sozialen Medien teilt Gary Lineker einen Beitrag zum Israel-Gaza-Konflikt mit antisemitischer Konnotation. Nun zieht der frühere Fußballstar die Konsequenz

 19.05.2025