Antisemitismus

Juden, Christen, Kurden, Griechen

von Thomas Seibert

Als islamische Fundamentalisten im November 2003 tödliche Anschläge in Istanbul planten, nahmen sie neben dem britischen Konsulat in der türkischen Metro- pole und dem Hauptquartier einer britischen Bank auch mehrere Synagogen in der Stadt ins Visier. Das war kein Zufall. Der Antisemitismus in der Türkei ist Teil einer generellen Fremdenfeindlichkeit, von der Ausländer ebenso betroffen sind wie nichtmuslimische Minderheiten.
Obwohl die Türkei offiziell ein säkularer Staat ist, gibt es in den Führungspositionen des Landes kaum Vertreter religiöser Minderheiten. Die Vorstellung, dass ein »richtiger« Türke auch ein Muslim sein muss, ist besonders in den vergangenen Jahren immer mehr zu einem Credo radikaler Nationalisten geworden. So handelten die mutmaßlichen Mörder von zwei türkischen und einem deutschen Christen im osttürkischen Malatya im vergangenen Jahr nach eigenen Angaben aus der Furcht heraus, dass christliche Missionare dabei seien, die nationale Einheit der Türkei zu zerstören.
Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan, selbst ein frommer Muslim, brandmarkte den Antisemitismus als Schande und »Geisteskrankheit«. Unter seiner Regierung erhielten religiöse Minderheiten in den vergangenen Jahren mehr Rechte, unter anderem durch eine Reform des Stiftungsgesetzes, das die Rückgabe konfiszierter Immobilien ermöglichen soll. Dennoch lassen Umfragen auf nach wie vor bestehende antisemitische Tendenzen in der türkischen Gesellschaft schließen. Nach einer Studie aus dem Jahr 2006 haben zwei von drei Türken ein negatives Bild von Juden.
Gegen diese Entwicklungen wehren sich in der Türkei nur wenige Prominente ganz offen. Einer von ihnen ist der 80-jährige Ishak Alaton, Chef der Alarko-Holding und damit einer der bekanntesten Geschäftsleute des Landes. Als Jude und Befürworter einer Demokratisierung des Landes zieht Alaton laut und vernehmlich gegen jede Art von Diskriminierung und Fremdenfeindlichkeit am Bosporus zu Felde.
So war es auch, als Alaton vor zwei Monaten in einem offenen Brief an die Wirtschaftszeitung »Referans« eine wachsende »Paranoia« in der Türkei gegenüber den Minderheiten beklagte. Dieser Trend schade dem Land, warnte Alaton. Er kritisierte unter anderem ein Verfassungsgerichtsurteil, mit dem der Immobilienverkauf an Ausländer gestoppt worden war. Das Urteil basierte auf nationalistischen Befürchtungen vor einem Ausverkauf des Landes.
Als Alaton nach seinem offenen Brief von Nationalisten in der Presse attackiert wurde, meldete sich Faruk Sen zu Wort (vgl. S. 2). In einer Kolumne in »Referans« schrieb der langjährige Chef des Essener Zentrums für Türkeistudien, dass auch die Türken als »Europas neue Juden« vielen Diskriminierungen ausgesetzt seien und deshalb viel Verständnis für die Haltung von Alaton hätten. Doch was als Ausdruck von Solidarität gedacht war, wurde in Deutschland als skandalöser Vergleich verstanden.
»Diese utranationalistischen Entwicklungen (in der Türkei) müssen gestoppt werden«, sagte Alaton, »denn dies führt zu Xenophobie, zu Antisemitismus und zu Frem- denfeindlichkeit.« In der Türkei gebe es »eine generelle Fremdenfeindlichkeit«, so Alaton. »Alle, die nicht sunnitische Muslime sind, werden als Feinde gesehen.« Von einer »speziellen Judenfeindlichkeit zu reden«, wäre nicht richtig, sagte er: »Weil es in der Gesellschaft keinen Antisemitismus gibt, den gibt es in der Türkei einfach nicht.« Zudem nahm Alaton das Kabinett Erdogan und die Regierungspartei AKP in Schutz: Diese hätten mit den fremdenfeindlichen Tendenzen nichts zu tun. »Die AKP nehme ich von diesen Vorwürfen ausdrücklich aus.« Als Träger der Fremdenfeindlichkeit in der Türkei sieht Alaton vielmehr die Bürokratie und die Medien.
Wenn man Alaton glauben kann, dann haben Sens Einwürfe in der Türkei eine positive Wirkung entfaltet. »Er hat die Menschen damit aufgeweckt.«

Krieg

Zwei Raketen aus Gaza auf Israel abgeschossen

Am Sonntagmorgen wurde Israel aus dem Gazastreifen mit Raketen beschossen. Eine Bekenner-Erklärung gibt es auch

 07.09.2025

Berlin

Uni-Präsidentin rechnet mit neuen »propalästinensischen« Aktionen

Die Präsidentin der Humboldt-Universität, Julia von Blumenthal, rechnet zum Wintersemester erneut mit »propalästinensischen« Aktionen. Dabei seien unter den Beteiligten kaum Studierende

 07.09.2025

Diplomatie

Netanjahu geht auf Belgiens Premier los

Für seine Entscheidung, Palästina als Staat anzuerkennen, wird Bart De Wever vom israelischen Ministerpräsident persönlich attackiert

von Michael Thaidigsmann  04.09.2025

Hannover

Angriff auf Gedenkstätte: Staatsanwaltschaft erhebt Anklage

Ein 26-jähriger Rechtsextremist war im Mai in Budapest festgenommen worden

 02.09.2025

Nahost

Deutscher Beauftragter für Menschenrechte reist nach Israel

Lars Castellucci macht sich ein persönliches Bild von der Lage in Israel und den palästinensischen Gebieten. Ein Augenmerk liegt darauf, wo deutsche Hilfe möglich ist - und wo sie behindert wird

 01.09.2025

Rotes Meer

Huthi greifen Öltanker an

Das Schiff gehört einem israelischen Milliardär

 01.09.2025

Ankara

Türkei bricht Handelsbeziehungen zu Israel ab

Der Handel der Türkei mit Israel belief sich im Jahr 2023 noch auf mehrere Milliarden US-Dollar. Nun bricht die Türkei alle Handelsbeziehungen zu Israel ab. Doch es ist nicht die einzige Maßnahme

 29.08.2025

Geburtstag

Popstar der Klassik: Geiger Itzhak Perlman wird 80

»Sesamstraße«, »Schindlers Liste« und alle großen Konzertsäle der Welt natürlich sowieso: Der Geiger gehört zu den ganz großen Stars der Klassik. Jetzt wird er 80 - und macht weiter

von Christina Horsten  29.08.2025

Bonn

Experte: Opfer mit Bewältigung von Rechtsterror nicht alleinlassen

Der erste NSU-Mord liegt beinahe 25 Jahre zurück. Angehörige der Opfer fordern mehr Aufmerksamkeit - und angemessenes Gedenken, wenn es um rechtsextreme Gewalt geht. Fachleute sehen unterschiedliche Entwicklungen

 29.08.2025