Köln

Jetzt gibt’s Tacheles

Nicht selten ist es ein spontaner äußerer Anlass, der ein Projekt beginnen lässt. Und dann dauert es doch eine ganze Weile, bis aus der Idee Erlebbares wird. Im vorliegenden Fall gilt das für Christos Nicopoulos und Sophie Brüss. Der Leiter des Kölner Horizont-Theaters hatte die Regisseurin und Theaterpädagogin aufgefordert, ein Stück bewusst als jüdische Regisseurin auf die Bühne zu bringen. Als Folge dieser Zusammenarbeit ist dann die Gründung des »Jüdischen Theaters Tacheles« entstanden. »Ich hatte immer schon die feste Absicht, dass ich das irgendwann mal mache«, sagt Brüss. Im Mai wurde das Theater gegründet, dieser Tage soll der Eintrag ins Vereinsregister folgen.
Sieben Mitglieder gehören zu dem kleinen Ensemble, das derzeit mit dem Stück Liebe in dunklen Zeiten von Joshua Sobol im Horizont-Theater seine erste Visitenkarte abgibt. Das Stück spielt im heutigen Israel und handelt von der Begegnung zweier Frauen: einer älteren Tanzlehrerin und einer jüngeren deutschen Kriegsreporterin. Beide sind offenbar durch ein dunk-
les Geheimnis aus der Vergangenheit miteinander verbunden. Zwischenmenschli-
che Beziehungen oder Familiengeschichten will das jüdische Theater auf die Bühne bringen, Geschichten, in denen Themen wie Exil, Schoa, Heimatlosigkeit, aber auch Humor oder das Verhältnis zu Israel thematisiert und problematisiert werden.
»Menschen berühren« antwortet Sophie Brüss ebenso schlicht wie treffend auf die Frage nach der Absicht und dem Ziel ihrer Theaterarbeit. Nicht das Erzieherische oder Avantgardistische steht im Vordergrund. »Ich will die Menschen in ihren tiefen Ge-
fühlen berühren, sie treffen«, betont Brüss. So wie im aktuellen Stück, in dem die Zuschauer wahrlich einem Wechselbad der Gefühle ausgesetzt werden und mitunter nicht wissen, ob sie weinen oder lachen sollen.
Schon in jungen Jahren wusste die 1975 in Bonn geborene Regisseurin, dass sie einmal Theater machen will. Als Mädchen habe sie sich bei den Urlauben in Tunesien manche Kleider ihrer Großmutter, einer sefardischen Jüdin, übergezogen und Szenen aus den Büchern nachgespielt, die bei den Großeltern zu finden waren. Romeo und Julia war mein Favorit, ich hatte sogar einen eigenen Juliabalkon, auf dem ich rauf- und runtergelaufen bin und abwechselnd die Rollen von Romeo und Julia gespielt habe», erinnert sich Brüss. Später spielte sie in der Schule bei Theaterstücken mit, und während ihres Studiums der Romanistik in Bonn kamen dann die ersten Hospitanzen in unterschiedlichen Bereichen wie Kostüm, Dramaturgie und Regieassistenz.
Für die weltgewandte Frau, die als Kind in Paris lebte und in Bonn die Französische Schule besuchte, sind es vor allem Künstler wie Isaac Singer oder Woody Allen, die sie beeindrucken. «Bei den US-amerikanischen Autoren wird das Judentum mit so einer Selbstverständlichkeit behandelt, die wir hier längst noch nicht haben.» Alles andere als selbstverständlich ist hierzulande auch das eigene jüdische Theater. Dies mag auch dem Umstand geschuldet sein, dass es keine eigenständige jüdische Theatertradition gibt.
Vielleicht begründet Sophie Brüss eine solche Tradition? Noch ist die Initiatorin die einzige Jüdin im Ensemble von «Tacheles», das am Horizont-Theater als feste Kooperation etabliert werden soll. «Es gibt verschiedene Möglichkeiten, mitzuwirken oder sich einzubringen», lädt die junge Frau weitere interessierte Mitstreiter ein – beispielsweise beim nächsten Projekt: Das soll ein Stück für Kinder werden, in denen altersgerecht und im wahrsten Sinne des Wortes spielerisch jungen Zuschauern nahegebracht werden soll, was die Kultur des Judentums ausmacht. Kultur ist das spezifische Charakteristikum für Sophie Brüss: «Die Kultur ist es, die für mich das Wichtigste ist, die mich prägt, weiter prägen wird und mich als Mensch definiert.» Constantin Graf von Hoensbroech

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