Rabbiner Gurevitch

»Jammern bringt nichts«

von Lisa Borgemeister

Fromme Juden sagen, bei allem Negativen, das einem widerfährt, kommt auch etwas Positives heraus. Es gibt wohl in diesen Tagen kaum einen Menschen, der diesen Sinnspruch stärker lebt als Zalman Gurevitch. Keine zwei Monate ist es her, dass der Frankfurter Rabbiner auf offener Straße Opfer einer Messerattacke wurde. Heute sitzt er lächelnd auf dem Sessel in seinem Wohnzimmer und sagt, er hätte nie die große Solidarität seiner Mitmenschen kennengelernt, wenn diese furchtbare Tat nicht geschehen wäre. »Es ist traurig, dass es einen solchen Anlass braucht, um das zu spüren«, sagt er nachdenklich. »Aber dennoch ist es sehr positiv.«
Mehrere hundert Briefe und E-Mails haben den Rabbiner erreicht. Darin drücken Menschen ihr Entsetzen und Mitgefühl aus und machen ihm Mut. Die Nachrichten kommen aus ganz Deutschland, aber auch von den Menschen in der Nachbarschaft, die dem Rabbiner einen Brief geschrieben haben. Gelesen hat er die ganze Post noch lange nicht, aber Stück für Stück arbeitet er sich durch den Stapel. »Wenn ich in ein Geschäft gehe oder über die Straße laufe, sprechen mich wildfremde Leute an, die wissen wollen, wie es mir geht«, berichtet Gurevitch. Er freut sich darüber und gibt gerne Auskunft – jeden Tag aufs Neue. Die Gebete von jüdischen und nichtjüdischen Menschen geben ihm Kraft, sagt er. Kraft, die schreckliche Erfahrung zu überwinden.
Gurevitch verdrängt nicht, was geschehen ist. Im Gegenteil. Geduldig schildert er wieder und wieder, was an jenem Freitag im September geschah. Es war halb neun Uhr abends, als sich der Rabbiner mit zwei Gästen auf den Heimweg von der Synagoge machte – zum Schabbat-Mahl. Auf der Eschersheimer Landstraße kam ihnen ein Mann entgegen. Er ging vorbei und murmelte dabei etwas auf Arabisch. »Ich bin zurückgegangen, um zu fragen, was er gesagt hat«, erinnert sich Gurevitch. »Statt einer Antwort hat er mir in den Bauch geboxt. Erst einige Momente später habe ich gesehen, dass er ein Messer in der Hand hielt, mit dem er auf mich eingestochen hatte.« Dabei rief der Unbekannte »Scheiß-Jude, ich bringe dich jetzt um!« Dann rannte er weg.
»Meine zwei Begleiter waren stehen geblieben, sie haben nicht reagiert«, berichtet der Rabbiner. »Sie standen wohl unter Schock.« Gurevitch, der die Gefahr seiner Verletzung verkannte, lief nach Hause. Dort flüchtete er sich ins Bad, damit seine Kinder ihn nicht in diesem Zustand sähen. Alles ging sehr schnell. Seine Frau rief einen Notarztwagen, und keine halbe Stunde später fand sich Gurevitch im Krankenhaus wieder. »Zu diesem Zeitpunkt wusste ich immer noch nicht, wie ernst die Lage war«, erzählt der 42-Jährige. Erst als die untersuchenden Ärzte sich nervöse Blicke zuwarfen und zum Operationssaal rannten, kam die Panik. Eine Notoperation rettete ihm das Leben.
Schon wenige Stunden nach dem Anschlag standen erste Gemeindemitglieder an seinem Krankenbett. Auch Zentralratspräsidentin Charlotte Knobloch und Frankfurts Oberbürgermeisterin Petra Roth kamen. »Das hat mich sehr berührt«, sagt er.
Doch bei der einen Operation sollte es nicht bleiben. Eine knappe Woche später folgte die nächste. Und als Gurevitch endlich aus dem Krankenhaus entlassen wurde, verschlechterte sich sein Gesundheitszustand dermaßen, dass er schon am Folgetag wieder eingeliefert wurde. Erst jetzt, knapp zwei Monate nach dem Anschlag, geht es ihm besser. Die Narbe an seinem Bauch wird er behalten. Aber Zalman Gurevitch hat kaum noch Schmerzen, er ist endlich wieder zu Hause und kann arbeiten. »Ich werde noch sehr schnell müde und bin etwas vergesslich«, beschreibt er seinen Zustand. Das allerdings, sagen die Ärzte, sei ganz normal. Der Körper müsse den Schock und die Strapazen der Operationen noch verdauen.
Auch mit dem Tatort hat sich der Rabbiner auseinandergesetzt. »Ein Platz wie jeder andere auch«, sagt er heute, »es war Zufall, dass ich gerade dort angegriffen wurde.« Angst davor, alleine auf die Straße zu gehen, habe er nach wie vor nicht. Wenn auch die ersten Ausflüge in die Stadt nach dem langen Krankenhaus »etwas anstrengend« gewesen seien. Und er sagt noch etwas, das nach der Messerattacke von vielen Seiten in Frage gestellt wurde: »Frankfurt ist ein sicherer Platz.« Seine Einstellung zu der Stadt oder gar zu Deutschland, wo der in Frankreich geborene Mann seit 17 Jahren lebt, habe sich nicht geändert.
Die Polizei hat den Täter mittlerweile gefasst. Er ist 22 Jahre alt, Sohn afghanischer Eltern und der Polizei bereits wegen anderer Straftaten bekannt. Sein Umfeld beschreibt ihn als aufallend aggressiv. In der Vernehmung gestand der Festgenommene, dem Rabbiner ein Messer in den Bauch gestoßen zu haben. Dabei habe es ich um ein Klappmesser gehandelt, das er ständig »zum eigenen Schutz« mit sich führe. Er habe sich von dem größeren und stärkeren Mann, mit dem er nach dem arabischen Gruß »Salem Aleikum« in Streit geraten sei, bedroht gefühlt.
Laut Staatsanwaltschaft ist der Täter bisher politisch nicht in Erscheinung getreten und gehört auch keiner islamistischen Organisation an. Angeklagt ist er nun wegen Totschlags und gefährlicher Körperverletzung. Eine Tötungsabsicht bestreitet er allerdings. Zalman Gurevitch ist überzeugt, dass er Opfer eines muslimisch-antisemitischen Anschlags wurde.
Auch im In- und Ausland hat der Angriff auf den Rabbiner Besorgnis hervorgerufen. Sicherheitsbehörden verzeichnen immer häufiger verbale oder körperliche Angriffe von Muslimen auf Juden. Einen Termin für die Verhandlung gibt es noch nicht. Gurevitch wartet geduldig. »Ich brauche keine Revanche«, stellt er klar. Ihm gehe es vielmehr darum, mit der Bestrafung des Täters Jugendliche abzuschrecken, ähnliche Verbrechen zu begehen.
Eine Frage beschäftigt den Rabbiner aber doch: »Der Täter hat drei Spitzenanwälte engagiert, die ihn in der Sache vertreten. So viel Geld hatte er nicht, dass er diese Fachkräfte bezahlen könnte. Ich frage mich, wer ein Interesse daran hat, ihn zu finanzieren.« Momentan ist Gurevitch vor allem damit beschäftigt, seinen Alltag wieder zu strukturieren und in sein altes Leben zurückzufinden. »Es kommen bestimmt noch Ängste in mir hoch«, vermutet er. »Aber zur Zeit bin ich froh, dass ich so gut mit dem Geschehenen umgehen kann. Jammern bringt nichts. Man muss das Positive an der ganzen Sache sehen.«

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