Gegenwartskunst

In Echtzeit

von Felice Naomi Wonnenberg

Das Jerusalemer Israel-Museum versteht sich als eine Art kulturelles Nationalheiligtum. Dass ausgerechnet zum 60-jährigen Jubiläum des Staates die meisten Räume wegen Renovierungsarbeiten geschlossen sind, hat da eine gewisse symbolische Ironie. Nur ein einziger Pavillon bleibt geöffnet. Dort wird die Ausstellung »Real Time« gezeigt. Sie ist Teil eines Zyklus’ über sechs Jahrzehnte israelischer Kunst, die in sechs verschiedenen Museen des Landes zu sehen ist. »Real Time« ist dem letzten Jahrzehnt von 1998 bis 2008 gewidmet.
Der Kurator der Ausstellung, Amitai Mendelsohn, beschreibt im Katalogtext die aktuelle israelische Kunst als »entweder eine Auseinandersetzung mit aktuellen Ereignissen« oder – in Abwendung davon – als Flucht in mystische Traumwelten: »Die Muster der Katastrophe werden von den israelischen Künstlern in eine andere Art von Zeit übersetzt: eine mystische und prophetische Chronologie.«
Das liest sich gut: Der Künstler als Prophet. Doch die Bilder der Ausstellung beschreibt es höchst ungenau. Selbst jemand wie Adi Nes, der gern mit biblischen Themen arbeitet, erhebt keinen Anspruch darauf, die Probleme der Welt zu lösen, sei es Armut oder der Konflikt mit den Palästinensern. Nes bildet die Probleme nur ab, etwa wenn er, beschlagen in klassischer abendländischer Bildung, Leonardo da Vincis »Letztes Abendmahl« mit israelischen Soldaten in einem Militärspeisesaal nachstellt. Die Bruderschaft der Jünger, die Einsamkeit des sich seines baldigen Todes bewussten, in der Mitte sitzenden Soldaten, der Verrat durch einen von ihnen – all das ist meisterhaft reinszeniert, wobei auch kleinste und zufällig wirkende Details ausstattungstechnisch exakt konstruiert sind. Das monumentale Photo von 185 cm mal 235 cm Größe, das 2007 bei Sotheby’s 264,000 Dollar erzielte, darf in der Dekadenausstellung natürlich nicht fehlen.
Auch andere Exponate zeugen davon, dass die lange als provinziell geschmähte israelische Kunst es mittlerweile zu internationaler Relevanz gebracht hat. Zum Jubiläum nach Zion heimgekehrt ist Sigalit Landaus Papiermaché-Installation »The Dining Hall«, die vor kurzem in der Berliner Galerie »Kunst Werke« zu sehen war. Barry Friedlaenders panoramahaft angelegte Fotografien von Ereignissen wie dem Rückzug aus Gasa wurden 2007 im New Yorker Museum of Modern Art gefeiert. Und natürlich darf auch die in Berlin lebende Yehudit Sasportas nicht fehlen, die mit ihren schwarzweißen, japanisch wirkenden Landschaften Israel auf der Biennale in Venedig vertreten hat.
Masha Zusman, eine Meisterin der schlichten Poesie, arbeitet mit der Technik Kugelschreiber auf Spanholzplatte. Ihre Zeichenmuster breiten sich rätselhaft organisch und gestisch zugleich über die Fläche aus, wie ein Blick in geöffnete Blütenblätter, die in ihrem Nachzeichnen der lanzettförmigen Holzstrukturen an den weichen, zarten Eingang der Scheide einer Frau denken lassen. »Die Spanplatten stammen von den Transportcontainern, die Neueinwanderer nach Israel mitbringen«, sagt die junge Künstlerin. »Der Prozess des Zeichnens mit den Stiften, die sich wie Nadeln anfühlen, verwandelt die hohen Holzpaneele in sensibles Fleisch, das meine persönlichen Fantasien und Ängste transportiert.«
In mystische Videolandschaften entführt den Betrachter Talia Keinan. Die 30-Jährige, die gerade den begehrten Gottesdiener-Preis erhalten hat, gilt als neuer Shootingstar der israelischen Kunstszene.
Vielleicht am spezifisch israelischsten jedoch ist »Trembling Time« von 2001, eine Arbeit der jungen israelischen Videokünstlerin Yael Bartana. Die Kamera blickt von einem erhöhten Standort aus auf eine Autobahn herab. In mehreren überblendeten Videoaufnahmen sieht man Autos sich verlangsamen und sanft zum Stillstand kommen. Die Fahrer verlassen zögernd die Wagen und stellen sich scheinbar unschlüssig neben ihre Fahrzeuge. Ein für den nichtisraelischen Betrachter unerklärlicher Vorgang: Was lässt die Menschen innehalten, warum sind sie alle in ihrer Ratlosigkeit so einig und synchron, ohne dass man irgendwelche Zeichen eines Anlasses oder einer Kommunikation ausfindig machen kann? Erst der Katalogtext erklärt ausländischen Betrachtern, die nicht mit israelischen Traditionen vertraut sind, das Phänomen. Yael Bartana hat die Gedenkminute für die gefallenen Soldaten des Landes gefilmt, die jedes Jahr am Vortag der Staatsgründungsfeiern begangen wird: Eine – im Video nicht hörbare – Sirene ertönt, die Menschen bleiben den Toten zu Ehren eine Minute lang stehen, der Alltag gefriert für diesen Moment. »Trembling Time« ist ein Meisterwerk, schlicht und ergreifend – und einzigartig israelisch.

Nach Absage in Belgien

Dirigent Shani in Berlin gefeiert

Nach der Ausladung von einem Festival werden die Münchner Philharmoniker und ihr künftiger Chefdirigent Lahav Shani in Berlin gefeiert. Bundespräsident Steinmeier hat für den Fall klare Worte

von Julia Kilian  15.09.2025

New York City

UN-Sicherheitsrat verurteilt Israels Angriff auf Katar einhellig

Sogar die USA schlossen sich der Erklärung an

 12.09.2025

Eurovision Song Contest

Gegen Israel: Irland erpresst Eurovision Song Contest-Veranstalter

Nach Slowenien hat auch Irland verkündet, dem Eurovision Song Contest fernzubleiben, sollte Israel teilnehmen. Damit verstoßen sie gegen Grundregeln des international beliebten TV-Wettbewerbs

 11.09.2025

Krieg

Zwei Raketen aus Gaza auf Israel abgeschossen

Am Sonntagmorgen wurde Israel aus dem Gazastreifen mit Raketen beschossen. Eine Bekenner-Erklärung gibt es auch

 07.09.2025

Berlin

Uni-Präsidentin rechnet mit neuen »propalästinensischen« Aktionen

Die Präsidentin der Humboldt-Universität, Julia von Blumenthal, rechnet zum Wintersemester erneut mit »propalästinensischen« Aktionen. Dabei seien unter den Beteiligten kaum Studierende

 07.09.2025

Diplomatie

Netanjahu geht auf Belgiens Premier los

Für seine Entscheidung, Palästina als Staat anzuerkennen, wird Bart De Wever vom israelischen Ministerpräsident persönlich attackiert

von Michael Thaidigsmann  04.09.2025

Hannover

Angriff auf Gedenkstätte: Staatsanwaltschaft erhebt Anklage

Ein 26-jähriger Rechtsextremist war im Mai in Budapest festgenommen worden

 02.09.2025

Nahost

Deutscher Beauftragter für Menschenrechte reist nach Israel

Lars Castellucci macht sich ein persönliches Bild von der Lage in Israel und den palästinensischen Gebieten. Ein Augenmerk liegt darauf, wo deutsche Hilfe möglich ist - und wo sie behindert wird

 01.09.2025

Rotes Meer

Huthi greifen Öltanker an

Das Schiff gehört einem israelischen Milliardär

 01.09.2025