Das Nelly-Sachs-Haus in Düsseldorf hat eine neue Attraktion. Jeden Mittwochvormittag bittet Daniel Hoffmann im Elternheim der jüdischen Gemeinde für eine Stunde zum Literaturkreis. Die Idee war ihm kurz nach dem Tod seines Vaters im Februar 2008 gekommen. Vier Jahre hatte Hoffmann-Senior hier gelebt. Und so war es dem Sohn ein Bedürfnis, den »herzlichen Kontakt und die innige Verbundenheit«, die sich in den Jahren entwickelt hatten, nicht abreißen zu lassen.
»Seither lese ich jeden Mittwoch literarische Texte vor, zumeist Kurzprosa oder kleine Erzählungen sowie Gedichte«, er-
zählt der außerordentliche Professor für Neuere Deutsche Literaturwissenschaft an der Universität Düsseldorf.
Fünf bis acht Heimbewohnern hören Hoffmann regelmäßig zu. Einige sind schon über 90 Jahre alt. Unter ihnen sind deutsche und russische Juden. Ihre Lebenserfahrungen, ihre Bildungswelten und ihr Erinnerungsvermögen faszinieren ihn immer wieder. »Ein in Berlin kurz vor Be-
ginn des Ersten Weltkrieges geborener Jude fragte mich einmal, als ich den längst vergessenen jüdischen Dichter Hugo Zu-
ckermann (1881-1914) vorstellte, ob dies nicht der Dichter des bekannten Reiterliedes sei«, erzählt der Literaturwissenschaftler. »Und er zitierte sogleich die für die meisten Menschen verschollenen Anfangsverse: ›Drüben am Wiesenrand/ Hocken zwei Dohlen -/ Fall‹ ich am Donaustrand?/ Sterb’ ich in Polen?‹«
Vor einigen Wochen habe er von einer Reise nach Moskau erzählt, bei der er an einer Konferenz über deutsche Literatur teilgenommen hatte. Die russischen Zuhörer, die selbst in Moskau gelebt und gearbeitet hatten, ergänzten seine Eindrücke von der Stadt und ihren Menschen durch zahlreiche Erzählungen. »Ich habe viel über die Lebensumstände der Menschen in der Sowjetunion erfahren, aber auch über die oft schwierigen und schmerzhaften Wege, als russischer Jude in kommunistischen Zeiten aufgewachsen zu sein.«
Eindrucksvoll war für ihn auch der Abend, als er aus Else Lasker-Schülers Er-
innerungen an ihre Reisen nach Palästina, Das Hebräerland las. »Unter den Teilnehmerinnen waren drei Frauen, die als Kinder oder junge Frauen in den 30er-Jahren mit ihren Familien nach Palästina ausgewandert waren. Die literarische Verarbeitung der Dichterin von ihren Palästinaerlebnissen verglichen sie mit ihren eigenen Erfahrungen in dem Land.
Seine eigene Familiengeschichte hat Daniel Hoffman in den Lebensspuren meines Vaters aufgezeichnet. doch die Erzählungen der Teilnehmer des Literaturkreises seien weitere kostbare Lebensspuren, sagt Hoffmann und das reize ihn zu weiteren Lesevormittagen. ja

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