Barbados

Im Land der Bärtigen

von Hans-Ulrich Dillmann

Os Barbados, »die Bärtigen«, nannten die Portugiesen das Eiland in der Karibik wegen der vielen bärtig wirkenden Feigenbäume. So können es Touristen aus aller Welt, die heute Barbados besuchen, in Reiseführern nachlesen. Paul Altman, Vorstandsmitglied der jüdischen Gemeinde in Barbados, hat eine andere Erklärung für die Namenswahl der lusitanischen Weltmeereroberer: Eine der ersten europäischen Siedler der Insel waren orthodoxe sefardisch-portugiesische Juden mit langen Bärten und Schläfenlocken. Diese Erklärung dürfte der Wahrheit am nächsten kommen. Mitte des 16. Jahrhunderts nahmen die Portugiesen das Land vorübergehend in Besitz.
Paul Altman steht zusammen mit Jacob Hassid, einem israelischen Diamantenhändler, der vor zwölf Jahren ins Land gekommen ist, in einem knapp 50 Quadratmeter großen Gebäude aus der Kolonial- zeit mit hohen Wänden aus dickem Kalkstein. Es ist Mittag, draußen brennt die Sonne. Wer kann, hat vor der brütenden Hitze in Brigdetown, der Hauptstadt von Barbados, ein schattiges Plätzchen aufgesucht. Leise summt eine Klimaanlage in dem zweigeschossigen Haus, Schleifmaschinen schrillen über Marmor, ein Schlagbohrer perforiert Wände. »Ende Juli werden wir das ›Nidhe Israel Museum‹ für Besucher freigeben. Offiziell wird es im November eingeweiht«, sagt Altman. Dann soll das Museum der »Verstreuten Israels« die Geschichte der Besiedlung der Insel durch sefardische Juden, die im 16. Jahrhundert aus Brasilien vor der Inquisition flohen, erzählen.
1,5 Millionen US-Dollar hat die Renovierung und Gestaltung des Museums gekostet. Die weißen Kalksteinwände sollen an »jüdischen Geist und Ausstrahlung« erinnern, sagt Paul Altman. Die unverputzten rauen Innenwände vermitteln den Eindruck, der Besucher stehe vor der Westmauer des Jerusalemer Tempels, und der Bodenbelag des »Nidhe Israel Museums« erinnert an ein Gräberfeld – eine Anspielung an den jüdischen Friedhof von Bridgetown, der das Gebäude umgibt. »Aber es soll auch an die Leidensgeschichte des jüdischen Volkes erinnern«, betont Robert Duve. Der renommierte kanadische Museumsmacher hat die vergangenen Monate auf der Insel verbracht, um die Ausstellungshalle fertig zu gestalten.
Zwei riesige Tamarindenbäume und ein Brotfruchtbaum bieten Schatten zwischen mehr als 400 Grabplatten im Zentrum der Hauptstadt von Barbados. Fast 270.000 Menschen leben heute auf der Insel. Nur 15 jüdische Familien zählt die kleine Gemeinde der »Verstreuten Israels«. Glanzstück des Areals zwischen der Synagogengasse, der James-, der Magazine- und der Coleridge Street ist die in Pastellfarben gestrichene Synagoge mit dem hinteren Außenaufgang zur Frauenempore. Eine der geschäftigsten Straßen, die Swam Street, hieß früher Judenstraße. »Die Juden lebten rund um das religiöse Zentrum im Herzen von Bridgetown«, erläutert Paul Altman. »Aus dieser Zeit haben wir 18 sefardische Grabsteine.« Das älteste Grab stammt aus dem Jahr 1660: Don Emcurtado Aron de Mercado starb am 9. Adar 5420.
Henry Altman ist der Gemeindeälteste und der Vater von Paul. Der 94-Jährige sitzt auf seiner Terrasse. In den kleinen Whirlpool fallen immer wieder Bougainvillea- Blätter, über den Rasen zieht ein Affenpaar seines Weges, das Junge hat sich am Bauch der Mutter festgekrallt. »Die Engländer haben die grünen Meerkatzen auf die Insel gebracht«, sagt Henry Altman nicht gerade erbost über die Fruchtdiebe.
Er kam 1932 auf die Insel. Sein Vater, ein polnischer Jude, wollte eigentlich nach Venezuela auswandern, aber der zweitägige Inselaufenthalt, während der Frachter ent- und beladen wurde, gefiel ihm so gut, dass er eine Aufenthaltsgenehmigung beantragte und seine Koffer vom Schiff holen ließ. »Es gab damals nur einen riesigen jüdischen Friedhof und eine ehemalige Synagoge, die als Warenlager diente, aber Juden gab es keine mehr. Die einen waren wieder ausgewandert, die anderen hatten sich assimiliert«, erzählt der 1913 in der Nähe von Lublin geborene Pensionär.
»Einige wussten noch von ihren jüdischen Wurzeln, aber das Judentum spielte für sie keine Bedeutung mehr in ihrem Leben. Die Mehrzahl war längst zum Christentum übergetreten.« Einer der Wenigen, der stolz von seinen jüdischen Vorfahren erzählte, war Errol Barrow, der das Land 1966 in die Unabhängigkeit führte und erster – schwarzer – Premierminister des Landes wurde. »Barrow kommt von Baruch«, sagt Altman. »Viele Menschen haben mich auf ihre jüdischen Wurzeln aufmerksam gemacht. Von einigen haben wir Kultgegenstände bekommen, die ihre Großeltern aufbewahrt hatten.«
Vater Altman holte seine Familie und im Laufe des Jahres 1932 weitere 40 polnische Familien aus dem Schtetl auf die Karibikinsel der »Bärtigen«. »Sobald wir einen Minjan hatten, richtete mein Vater ein kleines Betstibl in unserem Haus ein«, erzählt Henry Altman. Zuerst zog Henry Altmans Vater noch als Hausierer von Plantage zu Plantage, um Stoffe zu verkaufen. Später bekam Sohn Henry eine Handkarre, um die Webwaren zu transportieren. Bald eröffneten »Altman & Sons« ein Stoffgeschäft in Bridgetowns Hauptstraße. »Aber mein Geld habe ich gemacht, als der Tourismus begann und ich aus afrikanischen Stoffen Freizeithemden und Shorts schneidern ließ. Das war ein Riesenerfolg.«
Nach dem Tod des Vaters 1949 kaufte die Altman-Familie ein Haus. Das Sha’are- Zedek-Bethaus dient noch heute der kleinen Gemeinde, wenn keine oder kaum Touristen auf die Insel kommen und am Freitag zum Gottesdienst erscheinen. »Wenn ein Kreuzfahrtschiff im Hafen liegt, sind wir manchmal über 100 Personen«, sagt Altman. Von dem ehemaligen Gotteshaus aus dem 17. Jahrhundert im Stadtzentrum wusste Altman zwar, doch war das zweistöckige Gebäude längst profanisiert und diente einem Kaufmann als Warenlager und Bürogebäude.
Erst als Anfang der 80er-Jahre der damalige Premierminister Tom Adams in einer Nacht-und-Nebel-Aktion, wie Henry Altman noch heute hörbar erbost erzählt, ein Gesetz durchs Parlament peitschte, das den Abriss des historischen Gotteshauses und die Einebnung des Friedhofs für ein Einkaufszentrum in bester City-Lage legalisierte, agierte Altman gegen den Rat seiner wenigen noch im Land lebenden Glaubensgenossen. Er hatte einigen Grundbesitz erworben und war inzwischen einflussreich genug, um beim Premierminister vorgelassen zu werden. Er drohte mit der öffentlichen Meinung und der Publizierung eines Artikels in der New York Times – woraufhin der Premier sein Gesetz revidierte. Die Synagoge und das gesamte Gelände mit seinen drei Begräbnisplätzen wurde 1985 unter Denkmalschutz gestellt und in den Besitz der »konservativen Gemeinde« überschrieben.
Die erste Synagoge war bereits kurz nach der Besiedlung der Insel durch die Briten im Jahre 1627 errichtet worden. Zu Beginn des 18. Jahrhunderts lebten 150 Familien in der Hauptstadt Brigdetown und etwa 20 in der kleineren, nördlich gelegenen Hafenstadt Speightstown. Semah David, »Sprösslinge Davids«, nannten sie ihre Gemeinde. In der Blütezeit lebten etwa 800 Juden auf der Insel.
Mit dem Verbot des Sklavenhandels in den 1830er Jahren kam die Zuckerindustrie zum Erliegen. Die darauf folgende Wirtschaftsflaute führte zu einer Auswanderungswelle der weißen Bevölkerung. Viele jüdische Familien siedelten gegen Ende des 19. Jahrhunderts in die USA über, andere nach Großbritannien. 1925 fand der letzte Gottesdienst in dem viereckigen Gebäude statt.
Die Torarollen nahmen die letzten Juden von Barbados mit nach England. Der Erlös aus dem Verkauf des Synagogen-Interieurs wurde an die sefardische-portugiesische Gemeinschaft in London transferiert, die Muttergemeinde der bärtigen Juden von Barbados. Kurz vor seinem Tod verkaufte dann der letzte Jude der Gemeinde, Edmund Isaak Baezs 1927 das Gebäude mit der vertraglichen Zusicherung, das Gräberfeld zu erhalten. Umbauarbeiten an der Zufahrt zur ehemaligen Synagoge schädigten dennoch den Friedhof, wertvolle Grabplatten liegen heute unter der asphaltierten Straße. Sie sollen in den nächsten Jahren wieder ausgegraben und restauriert werden, sagt Paul Altman.
»1985 begannen wir mit historischen Studien, denn das Gebäude war innen völlig verbaut«, erzählt Altman. »Unsere Idee war, alles originalgetreu zu rekonstruieren.« Zusammen mit dem Historiker Karl Watson durchwühlte Altman Kartons mit Dokumenten, Bauplänen und Besitzurkunden. »Sogar Fotos, die kurz vor der Schließung der Synagoge aufgenommen wurden, haben wir gefunden.«
Der etwa 15 mal 15 Meter große Betraum ist inzwischen wieder mit Mahagonibänken ausgestattet. Die großen messingfarbenen Kronleuchter, die heute mit Glühbirnen betrieben werden, sind Repliken der damals in die USA verkauften Originalleuchter. Auch die Frauenempore, die von außen betreten werden musste, ist wieder originalgetreu rekonstruiert worden und steht dem interessierten Publikum gegen eine Spende täglich zur Besichtigung offen. Toraschrein und Bima wurden nach den Fotos originalgetreu nachgebaut. »Einiges von dem, was im Land geblieben ist, haben wir wieder bekommen«, sagt Paul Altman. Während der Umbauarbeiten kam sogar die Gattin des damaligen Premiers zu ihm und übergab diskret die beiden Gesetzestafeln, die den Toraschrein krönten. Sie hatte sie an ihrem Swimmingpool als Dekoration aufbewahrt.
»Im Winter, wenn die Kreuzfahrtschiffe kommen, drängeln sich manchmal die Menschen, und dann klingelt auch unsere Sammelbüchse, mit der wir einen Teil der Restaurierungskosten finanzieren«, erzählt Henry Altman.
Derzeit fehlen noch die vier runden Giebelfenster des Museums. »Ich habe sehr lange herumexperimentiert, es sollten sehr einfache, aber doch aussagekräftige Buntglasfenster werden«, sagt Bill Grace. Der in Barbados geborene Künstler ist mit einer Israelin verheiratet. Er will Karibisches mit Jüdischem in dem Buntglas »miteinander verschmelzen«. Die Basis des Fensters wird die obere Spitze des Magen David zeigen, der von einer stilisierten Sonne und Palme gekrönt ist. »Die karibisch blauen und grünen Farben sollen den Eindruck von Splittern vermitteln – Symbol von Verfolgung, Vertreibung und Ermordung«, sagt Grace.
Vom Licht aus den Rundfenstern werden nicht nur ein Besucherzentrum und ein Lesesaal erhellt, sondern auch ein kleines Appartement mit allen Annehmlichkeiten der Neuzeit. »Da kann dann ein Rabbiner wohnen, wenn er uns besucht und wenigstens an den Hohen Feiertagen unseren Gottesdienst leitet«, wünscht sich Jacob Hassid, der Gemeindevorsitzende.

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