Gemeindeversammlung

Ihre Fragen, bitte

von Christine Schmitt

Josef Latte scheint es eilig zu haben. »Lassen Sie uns keine Zeit verlieren und gleich anfangen, stellen Sie bitte Ihre Fragen«, kommt der Vorsitzende der Repräsentantenversammlung nach einer kurzen Begrüßung bei der Gemeindeversammlung gleich zur Sache. Doch nach einer ersten kurzen Fragerunde kritisiert Gemeindemitglied Mirjam Marcus die Vorgehensweise. »Bisher war es immer üblich, dass der Gemeindevorsitzende einen kurzen Vortrag hält. Das hier ist ja eher eine offene Sprechstunde«, sagt sie und erhält dafür Applaus.
Also ergreift erst einmal Gideon Joffe das Wort und lässt die vergangenen zwölf Monate vor 200 Interessierten im Gemeindehaus an der Fasanenstraße Revue passieren. »Wir haben viel geschafft«, resümiert der Vorsitzende. Beispielsweise sei 14 Jahre lang über einen Umzug der Verwaltung gesprochen worden, den erst der jetzige Vorstand im vergangenen Sommer endlich verwirklicht hat. Elf Jahre lang sei über ein Pflegeheim diskutiert worden, seit einigen Wochen seien die Verträge über die neue Immobilie unter Dach und Fach und der Umzug bereits für den kommenden Sommer geplant. Acht Jahre lang hätten die sefardischen Beter auf eine eigene Synagoge warten müssen. Inzwischen hätten sie ihren Betraum und täglich komme dort ein Minjan zusammen. Und seit Kurzem gebe es auch einen Behindertenclub im Gemeindehaus an der Fasanenstraße. »Wir kümmern uns auch um die Schwächsten der Schwachen«, betont Joffe. Außerdem gehöre das Chaos der Verwaltung der Vergangenheit an, denn sie sei nun neu strukturiert. Und bei der Telefonzentrale erreiche man immer jemanden, der freundlich Auskunft gibt. Für diese Ergebnisse müsse man »sich bestimmt nicht schämen«.
Aber auch bei diesem Vorstand sei nicht alles idyllisch, erwidert Alexander Brenner. Er wolle als ehemaliger Vorsitzender klarstellen, dass es auch vor Joffe nicht nur Chaos und Arroganz gegeben habe und die früheren Vorsitzenden auch nicht »alles nur ignoriert« hätten.
Aufgebracht wartet Maurice Elmaleh, Betreiber des koscheren Lebensmittelgeschäftes in der Goethestrasse, am Mikrofon. Seit einigen Monaten gebe es einen Streit mit Rabbiner Yitshak Ehrenberg, der inzwischen selbst koscheres Fleisch und nun auch Milchprodukte anbiete. Dies schade seinem Geschäft, klagt Elmaleh. Joffe reagierte darauf mit dem Hinweis, dass der Rabbiner nicht anwesend sei und er sich deshalb nicht dazu äußern wolle. Maurice Elmaleh schüttelt den Kopf und ist nicht zufrieden mit der Antwort.
So allmählich wird die Schlange der Wartenden, die auch etwas sagen oder fragen möchten, immer länger. Doch erst ist der Gemeindeälteste Isaak Behar dran. Vor mehr als einem Jahr sei ein Ermittlungsverfahren gegen mehrere damalige Vorstandsmitglieder eingeleitet worden. Was der aktuelle Stand der Dinge ist, will er wissen. »Ich äußere mich nicht über laufende Verfahren, außerdem sind die Betroffenen nicht anwesend«, sagt Gideon Joffe erneut kurz und knapp.
Ob die Gemeinde Schulden hat, fragt dann ein anderes Gemeindemitglied. Seit zehn Jahren sei die Gemeinde defizitär, erläutert Joffe. Mittlerweile liege das Defizit bei zwölf Millionen Euro. »Vor allem die Immobilien wurden in den vergangenen Jahren vernachlässigt«, sagt der Vorsitzende. Die Sanierung würde viel Geld kosten. Ebenso würden die Gemeinde-
schulen zu einem defizitären Haushalt beitragen, im Jahr mit etwa 800.000 Euro, schätzt er. Das Minus sei auch so hoch, da sich bei 30 Prozent der Schüler die Eltern das volle Schulgeld nicht leisten können, ergänzt Peter Sauerbaum, Dezernent für Wissenschaft, Bildung und Kultur.
Wenn die Verwaltung so gut umstrukturiert worden sei, dann frage sie sich und nun auch den Vorstand, warum die schon vor geraumer Zeit beantragte Fluchttreppe in der Synagoge Fraenkelufer noch nicht genehmigt sei, so Mirjam Marcus. Wer die Fluchtwegtür öffne, würde in den Hof fallen. Ganz oben auf der Liste stehe die Klärung dieses Problemes, verspricht Joffe.
Doch die Gemeindemitglieder haben auch noch andere Sorgen. Einige haben so viel zu erzählen, dass sie es nicht schaffen, in zwei Minuten Redezeit überhaupt auf den Punkt zu kommen. Es wird nach Möglichkeiten gefragt, auch nach bestimmten Stichtagen eine Rente für politisch und rassisch Verfolgte zu erhalten. Jemand will geklärt haben, wo und wie die Badminton-Spieler den Schlüssel für die Sporthalle bekommen könne. Wer komme für die Kosten der Rechtsstreitigkeiten auf, in denen einige Mitglieder der Repräsentantenversammlung verwickelt sind? Wer ist jetzt für den Inhalt des Gemeindeblatts »jüdisches berlin« verantwortlich?
Manche Frage geht unter, es herrscht immer mehr Unruhe im Publikum. Dann ist Schluss. Und Gideon Joffe zeigt sich »absolut zufrieden« mit der Gemeindeversammlung. Es seien viele Fragen geklärt worden. Und dass die Versammlung fast drei Stunden gedauert habe, zeigt, wie ernst der Vorstand die Anliegen der Mitglieder nehme.

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