Al Gilens

»Ich sage rosige Zeiten voraus«

Herr Gilens, kann man in dieser Finanzkrise noch für wohltätige Organisationen Spenden sammeln?
gilens: Es ist nicht gerade leichter geworden. Aber es wird weiter Fundraising geben. Denn es gibt Menschen, die das Geld benötigen. Die Krise hat ja vielmehr dafür gesorgt, dass mehr Menschen Hilfe benötigen. Ich sage für das Fundraising rosige Zeiten voraus. Ich weiß nur nicht, wann die kommen.

Haben Sie konkrete Zahlen, wie sehr der Spendenmarkt eingebrochen ist?
gilens: Nein. Ich kann nur aus meiner Erfahrung sprechen, aufgrund von Gesprächen, die ich mit Kollegen, Spendern und Wohlfahrtsorganisationen führe.

Vor allem arbeiten Sie für jüdische Organisationen. Ist das etwas Besonderes?
gilens: Nein, jeder der früher mehr Geld hatte, hat jetzt weniger. Aber es ist schon so, dass Juden mehr für Juden geben. Und das wird weitergehen. Ich glaube auch, dass es leichter ist, für eine jüdische Organisation zu sammeln als für eine nichtjüdische. Das gilt zumindest für Amerika.

Sie arbeiten in Amerika auch für »Aktion Sühnezeichen«, eine christliche Organisation aus Deutschland. Ist das schwierig?
gilens: Natürlich ist es nicht leicht, hier für ein christliches Projekt aus Deutschland zu sammeln. Das ist aber ganz natürlich. Zuerst gibt man seiner Familie: der Frau und den Kindern. Dann den Neffen und Tanten. Und danach kommt bei mir die jüdische Gemeinde hier in Philadelphia. Die ist ja auch so etwas wie eine Familie. Bis ich an eine nichtjüdische und nichtamerikanische Organisation spende, bedarf es doch vieler weiterer Schritte.

Gibt es einen Unterschied in der Kultur des Spendens zwischen Amerika und Deutschland?
gilens: Die Amerikaner sind sicherlich eher aufs Individuelle, weniger auf den Staat konzentriert. Aber glauben Sie nicht, dass der Staat hier keine Rolle spielt. Steuergesetze haben das Spenden attraktiver gemacht. Das bringt noch niemanden dazu zu spenden, aber es erleichtert doch die Entscheidung. In Deutschland – wie übrigens auch in Israel – setzt man mehr auf den Sozialstaat.

Wird der Staat jetzt in Zeiten der Wirtschaftskrise aktiver?
gilens: Nein, das wird nicht geschehen. Der Staat spielt in Amerika nicht so eine große Rolle wie in Europa. Man darf nicht vergessen, dass der Staat ja auch weniger Geld hat und seine Spielräume geringer werden.

Warum sind Menschen überhaupt bereit, viel Geld zu spenden?
gilens: Die meisten Spender wissen, dass ihr Geld benötigt wird. Nur weil ich weniger Geld habe, wird ja der Bedarf nicht geringer. Die meisten sehen es als eine Lebensaufgabe an zu helfen. Wenn jemand im vergangenen Jahr zum ersten Mal etwas gegeben hat, wird er jetzt vielleicht abspringen. Wenn aber jemand seit zehn oder noch mehr Jahren etwas gibt, dann wird er weiter spenden.

Was sagen Sie Spendern, die abspringen wollen?
gilens: Ich sage, dass die Zeiten für die Empfänger schlechter sind als für die Spender. Und: Außergewöhnliche Zeiten verlangen außergewöhnliche Ausgaben. Aber natürlich gibt jemand nie mehr, als er geben kann.

Sie sehen wirklich keine existenzielle Gefahr für die Projekte?
gilens: Nein, aber die Organisationen erhalten vielleicht weniger. Einzelne Menschen, die entweder dort arbeiten oder die von Zuwendungen leben, können in Gefahr geraten. Das ist manchmal tragisch. Aber die Organisationen als solche sind nicht in Gefahr.

Dann geben Sie doch bitte einen Ratschlag an Projekte, die gerade unter der Finanzkrise leiden.
gilens: Es ist der gleiche Ratschlag wie immer: Macht das Beste aus Euren Möglichkeiten! Es gibt immer etwas Gutes zu tun. Die meisten jüdischen Organisationen sind ja nicht nur von Geldspenden abhängig, sondern auch von ehrenamtlicher Arbeit. Das ist eine Chance in der Krise. Denn diese Art von Engagement bricht nicht so schnell weg.

Das Gespräch führte Martin Krauß.

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