Harry Potter

Harry und die Halacha

von Detlef David Kauschke

Ist Harry Potter Jude? Amy O. Miller meint: »Vielleicht ja, vielleicht aber auch nicht. Auf jeden Fall hat er eine jüdische Neschama.« Die 54-jährige Kantorin aus Pittsfield/Massachusetts ist fest davon überzeugt, dass der Zauberlehrling jüdischen Idealen folgt. »Sein wichtigster Charakterzug ist, dass er sich immer für andere einsetzt. Das ist ›Pikuach Nefesch‹, eine jüdische Eigenschaft.« Miller hat – und das weit über Pittsfield hinaus – den Ruf, eine jüdische Potter-Expertin zu sein. »Na ja«, sagt sie bescheiden, »ich habe mich wirklich intensiv mit dem Thema beschäftigt.« Vor vier Jahren wurde sie zum ersten Mal zu einem internationalen Potter-Symposium in Florida eingeladen. Seitdem hat sie immer wieder Vorträge über die populäre Fantasy-Reihe gehalten, meist in den USA und in Kanada. Im Juli 2005, bei einer Konferenz an der britischen Reading-Universität, sprach die Kantorin vor gut 200 Teilnehmern aus 22 Ländern über das Thema: »Ist Harry Potter immer noch ein netter jüdischer Junge?«
Sie hat alle sieben Bücher gelesen, mehrmals, wie sie betont. Damit ist Amy O. Miller den meisten deutschen Potter-Fans voraus. Denn hier erscheint die deutsche Übersetzung des siebten und – wie Autorin Joanne Kathleen Rowling versicherte – letzten Potter-Bandes Harry Potter und die Heiligtümer des Todes erst an diesem Samstag. Um 00.01 Uhr beginnt der Verkauf. Startauflage: drei Millionen. Rowlings Bücher wurden bislang in 65 Sprachen übersetzt und sind in einer Gesamtauflage von über 325 Millionen Exemplaren erschienen. Wohl nur die Bibel hat eine noch höhere Auflage.
Ursprünglich für Kinder geschrieben, sind die Romane auch für viele Erwachsene zur Lieblingslektüre geworden. Erstaunlich, wie viel Aufmerksamkeit gerade auch in jüdischen Kreisen den Bestseller-Romanen geschenkt wird. Wer in der Internet-Suchmaschine Google die Wortkombination »Jewish« und »Potter« eingibt, stößt auf 2,08 Millionen Einträge. Darunter die von Rabbinern, die sich ganz offen dazu bekennen, die Geschichten über Hexer und Zauberschulen verschlungen zu haben – und sich darüber hinaus auch intensiv damit zu beschäftigen. In einem Blog ist zu lesen, es scheine so, als seien bereits nach den ersten fünf Potter-Bänden fast mehr rabbinische Kommentare dazu erschienen als zu den fünf Bü-
chern Moses.
Im Internet ist zum Beispiel die Schiur eines Rabbi Moskowitz zu finden, der sich mit der Frage beschäftigt, was die Leser an den Abenteuern des jungen Zauberers so fasziniert. Seine Antwort lautet: »Harry Potter befriedigt kindlichen Glauben und Fantasie.« Wer die teils frustrierende Realität verlässt, erläutert Moskowitz, der begibt sich in die Welt der Fantasie, in der Träume und Wünsche wahr werden. Es ist eine Welt voller Magie, in der ein Leser selbst den Eindruck gewinnt, im Kampf des Guten gegen das Böse siegen zu können – so wie der Romanheld.
Ähnliches schreibt Emuna Braverman, Psychologin aus Los Angeles, auf der Webseite von Aish HaTorah: »Harry Potter steht für Freundschaft, Loyalität und Liebe. Und für die Möglichkeit, für das, woran wir glauben, zu kämpfen – und zu siegen. Das ist inspirierend und gibt Kraft. Und es ist jüdisch.«
Jüdisch ist ebenfalls das Prinzip der Teschuwa, der Umkehr. Auch dazu finden die jüdischen Anhänger des Zauberlehrlings einen Bezug: »Harry Potter and the Power of Teshuvah« ist zum Beispiel der Titel eines Blog-Aufsatzes.
Und in seinen Gedanken zum Monat Elul verweist Stefan Misrachi, Leiter der Bildungsabteilung der Hineni-Jugendbewegung in Sydney, auf eine Passage aus dem kurz vor den Hohen Feiertagen in englischer Originalausgabe erschienenen letzten Band, in dem Harry Potter seinem Widersacher Voldemort – sinngemäß übersetzt – sagt: »Denke darüber nach, was Du getan hast ... und versuche, Reue zu zeigen.« Das sei fast wortwörtlich die jüdische Definition von Teschuwa, meint Misrachi. »Ich kann nicht umhin festzustellen, wie eng einige Themen im Roman mit verschiedenen Konzepten des Judentums verbunden sind«, schreibt Misrachi.
Auch Rabbi Natan Slifkin, Autor des Buches Sacred Monsters, vermag einiges in den Potter-Geschichten zu entdecken, das ihm aus Talmud und Tora vertraut ist. In der in New York erscheinenden Jewish Press schrieb er: »Viele der fremden Biester, denen Harry sich stellen muss, einschließlich Nixen, Riesen, Zentauren und Drachen, wurden schon in den Heiligen Büchern des Judentums beschrieben, lange bevor J. K. Rowling überhaupt ihren Stift in die Hand nahm.«
Hier nur drei Beispiele: Professor Dumbledore, Harrys Mentor, besitzt einen unsterblichen Vogel, der im Feuer immer wieder neu geboren wird. Das Phänomen Phönix taucht bereits im Talmud auf. Zur Hogwarts-Welt gehört ein Wald, der von Zentauren bewohnt wird. Der Midrasch erläutert, dass sich Nachfahren von Enosch in Zentauren verwandelten. In Harry Potter und der Gefangene von Askaban (Band 3) entzündet Hagrid, der Wildhüter von Hogwarts, ein Lagerfeuer, aus dem Salamander hervorkommen, die in der Glut überleben. Schon in der Gemara ist zu lesen, dass Salamander aus dem Feuer stammen.
Auch Elemente der jüdischen Mystik glauben einige Leser in Rowlings Büchern zu finden. Cia Sautter, Dozentin für Weltreligionen aus Minnesota, meint, dass Harry Potter den »kabbalistischen Pfaden der spirituellen Entwicklung« folgt. Der Zauberlehrling stehe für Chessed und Gewurah, also für Güte und Strenge.
Den Zusammenhang zwischen Hogwarts (Potters Zauberinternat) und der Halacha erläutert der israelische Computerspezialist Bruce Krulwich, der als Dov Krulwich das Buch Harry Potter and the Torah veröffentlicht hat. Er, der wie Millionen anderer Eltern durch seine Kinder auf die Fantasy-Geschichten gestoßen ist, stellt dabei Vergleiche zwischen den Ideen des Romans mit denen der Tora an. Dabei mahnt er, nicht zu vergessen, dass das eine Fiktion und das andere religiöser Glaube ist. »Aber beides miteinander zu vergleichen, kann uns helfen, beides zu verstehen.«
Aber es gibt nicht nur derart wohlwollende Betrachtungen aus jüdischer Sicht. In Kreisen der Orthodoxie sind die Bücher verpönt. Schließlich steht im Mittelpunkt der Romane die Magie, die samt Wahrsagerei und Beschwörung von der Tora verboten ist: »Denn ein Gräuel des Ewigen ist jeglicher, der dies tut« (5. Buch Moses 18,12).
Trotzdem nehmen viele Vertreter der modernen Orthodoxie die Bücher als das wahr, was sie sind: Fiktion und Fantasie. Darüber hinaus bezeichnet Rabbi Jacki Abramowitz die Potter-Geschichten als »perfekte Metapher« dessen, was viele jüdische Jugendliche in ihrer religiösen Entwicklung erleben. Er vergleicht Hogwarts mit einer Jeschiwa: »Auch wenn wir einiges von Harry, Ron und Hermine lernen können, können wir doch so viel mehr von Abraham, Itzchak und Jaakow lernen«, schreibt der Direktor beim NCSY, National Conference of Synagogue Youth, New York. Abramowitz ist übrigens fest davon überzeugt, dass der Held in Rowlings Bestsellern kein Jude ist. »Aber ich denke, das Thema der Harry-Potter-Reihe ist ziemlich jüdisch.«
Gibt es also keine Juden in Hogwarts? Vielleicht doch. Im fünften Band, Harry Potter und der Orden des Phoenix, lernen die Leser einen Anthony Goldstein kennen. Er ist Ravenclaw-Schüler, also einer der brillantesten Köpfe in Hogwarts. Ein Elternteil von ihm soll laut Autorin Rowling »muggelstämmig« sein (Muggel: »nichtmagische« Menschen). Sein Nachname, so mutmaßen Potter-Experten im Internet, dürfte kaum Zweifel an seiner wahren Herkunft lassen.
Und allen, die nach dem »jüdischen Harry Potter« suchen, sei die Kinoverfilmung empfohlen. Die Hauptrolle spielt dort Daniel Jacob Radcliffe. Der 18-jährige Schauspieler ist Sohn eines nordirischen Protestanten – und einer in Essex aufgewachsenen jüdischen Mutter. Halachisch einwandfrei. Radcliffe ist nicht sehr religiös, gleichwohl »sehr stolz, Jude zu sein«. Und seine Großmutter, Patricia Jacobson, verriet dem Londoner Jewish Chronicle unlängst, wie stolz sie auf ihren Daniel sei. Dieses Gefühl werden viele jüdische Harry-Potter-Fans mit ihr teilen.

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