Gegen Mittag wird das Haus voll: Eine Schar Kinder redet aufgeregt durcheinander und erzählt immer noch von ihren Chanukka-Geschenken. Doch schon bald sitzen die meisten am großen Tisch, blicken auf die Schachbretter vor ihnen und lassen sich von Lehrerin Halyna Shmirina die cleversten Züge zeigen. Die Fünf- bis Zwölfjährigen kommen aus den Gemeinden Leipzig und Chemnitz und sind an diesem Sonntag im Dezember in der jüdischen Sonntagsschule Dresden zu Gast. So lebhaft ging es hier allerdings nicht immer zu. Erst Mitte November wurde die Sonntagsschule nach ihrem Umzug vom Gemeindezentrum am Hasenberg in die Bautzner Straße neu eröffnet. Ein halbes Dutzend Dresdner Kinder kommt regelmäßig. Im neuen Jahr sollen es mehr werden. Katia Novominski, die das Projekt Sonntagsschule leitet, setzt darauf, dass sich das Angebot unter den Eltern herumspricht. Russisch, Englisch und Schach stehen auf dem Plan, kreatives Gestalten und Nachhilfe für alle Schulfächer. Während der gesamte Unterricht in der alten Sonntagsschule auf Russisch stattfand, ist jetzt Deutsch Schulsprache, so dass Kinder unterschiedlicher Herkunft die Schule besuchen können.
Elternhaus »Das wesentlich Neue ist aber der Unterrichtsblock Jüdische Tradition. Dieses Thema kam früher zu kurz«, sagt Katia Novominski, die im Vorstand der Jüdischen Gemeinde Dresden die Jugendarbeit verantwortet. Im Unterrichtsteil Jüdische Tradition wird gebetet, gelesen und gebastelt. Durch die vom israeli- schen Erziehungsministerium mitherausgegebenen Mibereshit-Hefte lernen die Kinder in jeder Woche eine neue Tora-Geschichte kennen. »Wir bieten eine jüdische Erziehung an, die die Kinder im Elternhaus oft nicht mehr bekommen, weil die Eltern selbst nicht mit den jüdischen Traditionen aufgewachsen sind«, sagt Katia Novominski. Das gelte besonders für Juden aus der ehemaligen Sowjetunion und der DDR. Ab dem nächsten Frühjahr wird die Dresdner Sonntagsschule voraussichtlich auch interessierten Eltern das Judentum näherbringen. »Der Wunsch ist da, mehr über jüdische Themen zu erfahren«, weiß Sonntagsschul-Leiterin Novominski. Viele Eltern stört es, dass sie die Fragen ihrer Kinder zu jüdischen Traditionen nicht beantworten können.
Nicht alle Familien, die ihre Kinder zur Sonntagsschule schicken, sind Gemeindemitglieder. »Aber wir hoffen natürlich, dass über die Sonntagsschule auch bei den Eltern das Interesse an der Gemeindearbeit wächst«, bekennt Novominski. Diesem Wunsch kann sich der Geschäftsführer der Dresdener Gemeinde, Heinz Joachim Aris, nur anschließen. »Die Sonntagsschule ist für die Zukunft der Gemeinde von großer Wichtigkeit. Die Jugend ist nun einmal Garant für die Entwicklung. Und wir hoffen, dass auch das Engagement der Eltern intensiver wird.«
Den siebenjährigen Joschua interessieren solche Themen allerdings noch nicht. Für ihn ist es das Größte, in der Sonntagsschule andere Kinder zu treffen. »Das Spielen macht am meisten Spaß, und ich habe hier auch schon zwei Freunde gefunden«, berichtet der Kleine. Joshua mag den Unterricht. Besonders Englisch hat es ihm angetan. Und er berichtet stolz, dass er in der Stunde Bärenbilder raussuchen durfte und ihnen Farben zuordnen sollte. »In yellow, red und green. Außerdem haben wir den ABC-Song gesungen«, sagt er. Aber das anschließende Spielen gefiel ihm dann doch noch besser
Offen Die Jüdische Gemeinde zu Dresden unterstützt die Sonntagsschule finanziell und stellt die Räumlichkeiten zur Verfügung. Zur Finanzierung des Projekts trägt auch der Zentralrat der Juden bei. Die Eltern entrichten einen Obolus für den Unterricht bei ausgebildeten Lehrern. Kostenlos und damit für jeden zugänglich ist der Unterricht in Jüdischer Tradition. Auch das Mittagessen ist frei – schließlich verbringen die Kinder fast den ganzen Tag in der Schule. Sie werden gemeinsam unterrichtet – aber jedes Kind bekommt eine Aufgabe, die seinen individuellen Fähigkeiten entspricht.
Die Großen helfen den Kleinen, das spielerische Begreifen ohne Druck und Zwang steht im Mittelpunkt. »Wir lehnen uns an die Reformpädagogik an und fördern, dass alle voneinander lernen«, erklärt die angehende Gymnasiallehrerin Katia Novominski. Die Atmosphäre erinnert eher an einen Jugendtreff als an eine Schule. Weil die Gruppe der Sonntagsschüler noch klein ist, nutzen die Dresdener jede Gelegenheit, die Kinder mit Gleichaltrigen aus den jüdischen Gemeinden Leipzig und Chemnitz zusammenzubringen. Es gibt gemeinsame Wochenendveranstaltungen, Feste und Ferienfreizeiten – nicht nur für die Kinder, sondern auch für Jugendliche. »Die Sonntagsschule ist Teil des Gesamtkonzepts der sächsischen Landesjugendarbeit«, erläutert Novominski und lobt den guten Zusammenhalt innerhalb des Landesverbands. Das gemeinsame Konzept der sächsischen Jugendarbeit nennt sich »DeLeCh«. Dahinter verbergen sich nicht nur die Namen Dresden, Leipzig und Chemnitz, der Begriff bedeutet »Benzin« auf Iwrit – Jugendarbeit als Treibstoff für ein zukunftsweisendes jüdisches Leben in Sachsen.