Albanien

Goldgräberstimmung

von Jonila Godole und
Ben Andoni

Amos spricht nicht gern darüber. Der 40-Jährige ist vor Kurzem mit seiner Frau und den Kindern aus Israel zurückgekehrt. Nun leben sie wieder in Tirana. Sie sind eine von rund zehn jüdischen Familien in Albanien. »Ungefähr 32 Personen« gehören zur jüdischen Gemeinschaft des kleinen Landes auf dem Balkan, sagt Petrit Zorba, Geschäftsführer der albanisch-israelischen Gesellschaft. Anfang der 90er-Jahre siedelten 350 albanische Juden nach Israel um, weitere 37, so Zorba, verließen das Land Richtung USA.
Amos wanderte 1991 aus. Zuerst ging er nach Deutschland, von dort gelangte er mit Hilfe jüdischer Organisationen nach Tel Aviv. Dort traf er auf seine Eltern, die Albanien schon Jahre vorher verlassen hatten. Nun war die Familie wieder zusammen. Als einziges jüdisches Familienmitglied blieb Amos Großmutter, Hermina Steinova, zurück in Albanien – auf dem Friedhof. Sie war 1988 gestorben. Als junge Frau hatte sie ihre mährische Heimat verlassen und war ihrer Liebe nach Albanien gefolgt. Das rettete ihr das Leben.
Anders als Hermina Steinova kamen in den 30er-Jahren die meisten Juden aus Not in den kleinen Staat im Süden des Balkans. Bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs flüchteten über 1.000 Juden aus Jugoslawien, Kroatien, Bulgarien, Polen, Ungarn, Rumänien und der Türkei nach Albanien. Die Juden fühlten sich dort sicher, bekamen Unterstützung von Wohlfahrtsorganisationen, es gab keine Diskriminierung, keine Vorurteile und reli- giöse Hetze. Lebten vor der Schoa nur rund 200 Juden in Albanien, sollen es 1945 über 2.000 gewesen sein. Nicht ein Jude fiel in Albanien während des Zweiten Weltkriegs den Nazi-Mördern in die Hände. Alle wurden von nichtjüdischen Mitmenschen in ihren Häusern versteckt. Ein einmaliges Phänomen in Europa.
Herman Bernstein, ab 1930 US-Botschafter in Tirana – und selbst jüdischer Herkunft – nannte die Albaner »das am wenigsten antisemitische Volk der Welt«. Und bis heute erzählt man sich, der albanische König Achmet Zogu solle darüber nachgedacht haben, den jüdischen Flüchtlingen die Staatsresidenz zu geben.
Die meisten Retter waren Muslime und verlangten niemals eine Belohnung. Der alte albanische Kanun, ein Sitten- und Ehrenkodex, wurde mündlich von Generation zu Generation übertragen. Besa, das Ehrenwort, sowie die uralte albanische Tradition der Gastfreundschaft gelten für die meisten Wissenschaftler und Schoa-Überlebenden als Erklärung dafür, dass in dem kleinen Balkanland alle Juden während der Schoa gerettet wurden. Vielleicht, sagen manche, habe auch geholfen, dass die Albaner mit der antisemitischen Literatur nicht vertraut waren – denn es gab viele Analphabeten.
Die Rolle albanischer Muslime bei der Rettung europäischer Juden während der Schoa ist heute wenig bekannt. Vor einigen Wochen wurde in der Jerusalemer Holocaustgedenkstätte Yad Vashem eine Ausstellung über muslimische »Gerechte der Nationen« eröffnet. Darunter sind auch Bilder des amerikanischen Fotografen Norman Gershman zu sehen, der vier Jahre in Albanien nach Rettern suchte. 63 Albaner wurden inzwischen als »Gerechte unter den Völkern« geehrt.
Die Beziehungen zwischen Israel und Albanien sind in den vergangenen Jahren enger geworden. »Israels Interesse an Albanien wächst«, sagt Bardhi Cani, israelischer Honorarkonsul in Albanien. Sichtbar werde dies vor allem in der Wirtschaft. Große israelische Firmen haben Niederlassungen in dem kleinen Balkanland gegründet, wie Benny Staitmetr, eine südafrikanisch-israelische Gruppe, Sari Arison und Gilat Satalid. Auch kulturell fühle man Veränderungen, sagt Cani und erzählt, dass das Israel Philharmonic Orchestra bald nach Albanien kommen werde.
Auch Amos spürte die Veränderungen, als er 2005 nach Albanien zurückkehrte. Vierzehn Jahre lang war Israel seine neue Heimat gewesen. In Albanien hatte er Kindheit und Jugend verbracht, in Israel war er zum Militärdienst gegangen. »Ich bin bereit, meine jüdische Heimat immer zu beschützen«, betont Amos. Doch warum ist er dann zurückgekehrt? Amos weicht aus. Er schätze die Menschen in Israel, die Kultur, den starken Staat, der an seine Bürger denkt, sagt Amos und fängt an zu erzählen, wie Israel Anfang der 50er-Jahre versuchte, den albanischen Juden – in Moskau ausgestellte – Reisepässe zu geben, mit denen sie nach Israel geholt werden sollten. »Ein Schiff wartete auf uns im Hafen von Vlora, aber wir hatten Pech. Stalin deckte die ›jüdische Ärzteverschwörung‹ auf und annullierte die Abreise.« Auch später, Ende der 50er- und in den 60er-Jahren habe es Versuche gegeben, die albanischen Juden nach Israel zu holen.
Die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg war hart für Amos’ Großmutter, Hermina Steinova, sie war hart für ihre Familie und für alle Albaner, die das polizeiliche Regime hautnah erlebten. Herminas Ehemann, dem sie bis nach Albanien nachgelaufen war, starb 1965, nachdem er viele Jahre im Gefängnis und Internierungslager verbracht hatte. »Meiner Großmutter gelang es, nach Tirana überzusiedeln – dank ihrer Nähmaschine«, erzählt Amos gerührt. Bei Hermina Steinova ließen die mächtigsten kommunistischen Familien nähen. Ihre flinken Hände halfen ihr über diese Zeit.
Die meisten Juden in Albanien hatten sich in die kommunistische Gesellschaft integriert. Religiöses Leben gab es kaum, ab 1967 war Religion in dem kleinen Land verboten. Bis dahin hatte die jüdische Gemeinschaft zu Pessach Mazze-Päckchen von einer jüdischen Organisationen aus den Niederlanden bekommen. Nachdem die Religionsausübung in Albanien strafbar geworden war, konnten Feste nur noch im Verborgenen gefeiert werden. Vor allem in Vlora, wo die meisten albanischen Juden lebten. »Ich erinnere mich sehr gut an Rosch Haschana und wie wir uns gegenseitig Glück wünschten«, denkt Amos zurück an seine Kindheit.
Heute ist die jüdische Gemeinde Albaniens winzig. »Diejenigen, die hier geblieben sind, sind sehr alt und wenig aktiv«, sagt Geschäftsführer Petrit Zorba. Die wenigen Juden des Landes treffen sich nur ein, zwei Mal im Jahr. Und das meistens auch nur dann, wenn der Vertreter des JOINT, des American Jewish Joint Distribution Committee, aus Rom kommt. Manchmal vermehrt sich die Zahl, wenn jüdische Botschaftsangehörige dazukommen und sie mit dem kleinen Häuflein der einheimischen Juden gemeinsam ein Fest feiern. Im vergangenen Jahr lud die damalige amerikanische Botschafterin – sie selbst ist Jüdin – einheimische und ausländische Juden in Tirana zum Seder.
Doch außer dieser Unterstützung erhalten die albanischen Juden keinerlei Hilfe aus den USA oder Israel, nicht einmal Chabad scheint sich für sie zu interessieren. Sie leben von der eigenen Arbeit, verfolgen interessiert die israelische Politik und warten auf baldige Visumserleichterungen, damit sie ihre Verwandten in Israel einfacher besuchen können.
Amos teilt sein Leben gern zwischen den beiden Ländern. Er liebt Israel, und in Albanien macht er Geschäfte. Gute Geschäfte, sonst wäre er nicht zurückgekehrt. Mit seinem Bruder besitzt er in Tirana ein Baugeschäft. Es läuft prima, und sie verdienen nicht schlecht. Überhaupt floriert das Baugeschäft in Albanien seit einigen Jahren. Dank fehlender Infrastrukturpläne und schwacher Gesetze lässt sich schnelles Geld machen.
Ob Amos in Tirana bleiben wird? Er überlegt. »Hier ist manches unerträglich«, sagt er. Sogar die jüdische Gemeinde werde von ehemaligen Kommunistenkindern geführt, die ihm und seiner Familie früher das Leben schwer machten. »Aber Albanien ist mein Land.«

Capri

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