Kunstaktion

Gas in der Synagoge

von Ulla Jürgensonn
und Maria machnik

Dem spanischen Künstler Santiago Sierra eilt der Ruf voraus, mit seinen Arbeiten zu provozieren. Diesmal aber ist er zu weit gegangen, meinen Kritiker: Sierra ließ Abgase von sechs Autos in die ehemalige Synagoge von Pulheim-Stommeln leiten. Die Besucher der Aktion wurden mit Atemschutzmasken ausgerüstet. So konnten sie das Gebäude betreten, in dem das Kohlenmonoxid der Abgase eine tödliche Konzentration hatte. 245 Kubikmeter nennt Sierra die Arbeit – die Synagoge in dem kleinen Ort bei Köln hat 245 Kubikmeter Rauminhalt.
Seit 1991 findet in dem alten jüdischen Bethaus einmal im Jahr ein Kunstprojekt statt. Künstler von internationalem Ruf haben sich, jeder auf seine ganz spezielle Art und Weise, mit dem Raum und seiner Geschichte auseinandergesetzt. Daß es diesmal etwas Außergewöhnliches werden würde, war spürbar: Strenge Geheimhaltung wurde gewahrt. Erst am Samstag vor der Eröffnung bekamen Pressevertreter die Gelegenheit, am eigenen Leib zu erleben, um was es ging.
Schon die Szenerie rund um das Gebäude aus dem Jahr 1881 war gespenstisch. Am Straßenrand parkten sechs Autos mit laufendem Motor, aus den Auspuffen führten bis zu 80 Meter lange Schläuche durch ein Fenster in die Synagoge, die in einem Hinterhof liegt. Drinnen wurde die Gaskonzentration mit mehreren Sensoren überwacht, durch ein dickes Rohr wurde das Gas abgesaugt, wenn die Konzentration zu hoch wurde. Dann wird es nämlich explosiv.
Die Stommelner Bevölkerung reagierte irritiert. »Vergasen die sich jetzt selbst?«, fragte ein Passant. Andere vermuteten ein technisches Experiment. Am Sonntag wurden die Kommentare heftiger: »Daß die Synagoge vergast wird, ist abscheulich«, fand ein Bürger. Anders die Reaktionen derer, die den Gang in die hochgiftige Atmosphäre gewagt hatten. Viele waren tief berührt, einige konnten die Tränen nicht zurückhalten. »Ich danke dem Künstler, daß er uns das zumutet«, sagte eine ältere Dame. Sie habe sich spontan in der Synagoge tief verneigen müssen, trotz Atemmaske und Feuerwehrmann im Hintergrund.
So hatte Santiago Sierra sein Projekt auch intendiert. In seinem Vorwort zur Aktion schreibt er: »245 Kubikmeter ist eine Arbeit gegen die Banalisierung der Erinnerung an den Holocaust. (...) All dies in der Überzeugung, daß dieses Projekt keine Empathie erzeugen kann, sondern nur die Gewißheit des individuellen Todes. Es ist allen Opfern und jedem einzelnen Opfer von Staatsmacht und Kapital gewidmet.«
Am Montag aber brach ein Sturm der Entrüstung mit Wucht über Pulheim-Stommeln herein. Stephan J. Kramer, Generalsekrektär des Zentralrat der Juden in Deutschland, sprach von einem »geschmacklosen Kunstspektakel«, das nicht nur »die Würde der Opfer des Holocaust, sondern auch der jüdischen Gemeinschaft« verletzte. Der Schriftsteller Ralph Giordano nannte das Projekt eine »Niedertracht sondergleichen« und forderte, »dem Spuk ein rasches Ende zu bereiten«. So geschah es auch. Noch am Morgen hatte Bürgermeister Karl August Morisse die Aktion gerechtfertigt: »Es gibt Situationen, da muß man Dinge deutlicher machen als sonst üblich. Das gesamte Synagogenprojekt hat einzig das Ziel, die Lehren der Vergangenheit nicht zu vergessen. Die herkömmlichen Gedenkveranstaltungen zeigen keine ausreichende Wirkung.«
Am Nachmittag fiel dann die Entscheidung: »Wir setzen das Projekt aus wegen des hohen Grades an an Verletztheit, die es ausgelöst hat.« Angelika Schallenberg, als Leiterin der Pulheimer Kulturabteilung Motor des Synagogenprojektes, hatte mit Sierra gesprochen. Er sei einverstanden gewesen. Der Künstler wolle sich mit denen, die sich von seiner Arbeit beleidigt fühlten, unterhalten.

Hannover

Angriff auf Gedenkstätte: Staatsanwaltschaft erhebt Anklage

Ein 26-jähriger Rechtsextremist war im Mai in Budapest festgenommen worden

 02.09.2025

Nahost

Deutscher Beauftragter für Menschenrechte reist nach Israel

Lars Castellucci macht sich ein persönliches Bild von der Lage in Israel und den palästinensischen Gebieten. Ein Augenmerk liegt darauf, wo deutsche Hilfe möglich ist - und wo sie behindert wird

 01.09.2025

Rotes Meer

Huthi greifen Öltanker an

Das Schiff gehört einem israelischen Milliardär

 01.09.2025

Ankara

Türkei bricht Handelsbeziehungen zu Israel ab

Der Handel der Türkei mit Israel belief sich im Jahr 2023 noch auf mehrere Milliarden US-Dollar. Nun bricht die Türkei alle Handelsbeziehungen zu Israel ab. Doch es ist nicht die einzige Maßnahme

 29.08.2025

Geburtstag

Popstar der Klassik: Geiger Itzhak Perlman wird 80

»Sesamstraße«, »Schindlers Liste« und alle großen Konzertsäle der Welt natürlich sowieso: Der Geiger gehört zu den ganz großen Stars der Klassik. Jetzt wird er 80 - und macht weiter

von Christina Horsten  29.08.2025

Bonn

Experte: Opfer mit Bewältigung von Rechtsterror nicht alleinlassen

Der erste NSU-Mord liegt beinahe 25 Jahre zurück. Angehörige der Opfer fordern mehr Aufmerksamkeit - und angemessenes Gedenken, wenn es um rechtsextreme Gewalt geht. Fachleute sehen unterschiedliche Entwicklungen

 29.08.2025

Frankfurt am Main

Michel Friedman will nicht für TikTok tanzen

Es handle sich um eine Plattform, die primär Propaganda und Lügen verbreite, sagt der Publizist

 28.08.2025

Geburtstag

Holocaust-Überlebende Renate Aris wird 90

Aris war lange stellvertretende Vorstandsvorsitzende der Jüdischen Gemeinde Chemnitz und Präsidiumsmitglied des Landesverbandes Sachsen der Jüdischen Gemeinden. 1999 gründete sie den ersten jüdischen Frauenverein in den ostdeutschen Bundesländern

 25.08.2025

Nahost

Alabali Radovan besucht Palästinensergebiete: Hilfe im Fokus

Die Entwicklungsministerin will in Tel Aviv diese Woche Angehörige von Geiseln treffen und das Westjordanland besuchen

 25.08.2025