Exilland Türkei

Fluchtpunkt Istanbul

»Und als sie hierher kamen, in das osmanische Land ... erkannten sie den Frieden und die Gelassenheit und den guten Überfluss dieses Gotteslandes, und dass der Weg nach Jerusalem sehr nahe liegt ... Da waren sie sehr froh.« Dies schrieb 1454 Isaak Zarfati, Rabbiner zu Edirne, der sich selbst als in Deutschland geborener französischer Jude bezeichnete. Sein Brief bildet als Wandprojektion den Auftakt der Ausstellung Münih ve Istanbul (München und Istanbul), die das Jüdische Museum München ab dieser Woche zeigt.
Einige Jahrzehnte später strömten aus Spanien vertriebene Juden zu Zehntausenden ans Goldene Horn. Und fast 500 Jahre nach Zarfatis Brief fanden deutsche Juden im osmanischen Land Zuflucht. Wobei das offizielle türkische Geschichtsbild vom singulären Rettungsland für verfolgte Juden inzwischen von Historikern angezweifelt wird, zuletzt in Corry Guttstadts Studie Die Türkei, die Juden und der Holocaust.
Ausstellungskuratorin Jutta Fleckenstein zeichnet anhand einiger jüdischer Münchner Familien, die sich nach Istanbul retten konnten, das schwierige Exil am Bosporus nach. So fanden mehrere Professoren der Ludwig-Maximilians-Universität befristete Anstellungen an der Istanbuler Universität. Dem Bildhauer Rudolf Belling vermittelte Hans Poelzig 1936 eine Professur an der Akademie der Schönen Künste in Istanbul (Belling blieb bis 1966).
Die Ausstellung trägt den Untertitel Orte des Exils 01. Damit wird markiert, dass es sich um den ersten Teil einer Trilogie handelt, mit der das Museum bis August 2009 jüdische Exilorte präsentiert. Auf Istanbul soll Tel Aviv folgen und im Sommer der New Yorker Stadtteil Washington Heights. Mit Istanbul zu eröffnen, einem, wie die Kuratorin Jutta Fleckenstein selbst sagt, »exotischen Exilort«, hat vielleicht mit dem publizistischen Ballyhoo zu tun, das die Türkei dieses Jahr als Gastland auf der Frankfurter Buchmesse auslöste.
Der Berliner Künstler Via Lewandowsky, dem die Ausstellungsgestaltung übertragen wurde, hatte die Idee, von den Schicksalen der Exilanten zu erzählen, indem er persönliche oder religiöse, jüdische wie nichtjüdische, »mitgebrachte« oder übernommene Feiertage inszenierte. Zu jedem dieser ausgewählten zehn Tage entwarf er einen Tisch, dem Dokumente, Objekte, Kunstwerke und Filme zugeordnet sind. Einer ist dem 19. Mai gewidmet, Atatürks Geburtstag, ein anderer dem deutschen Volkstrauertag, ein dritter, bunt dekoriert, steht für das türkische Kinderfest, ein vierter für eine jüdische Hochzeit, ein anderer für Jom Haatzmaut. Doch das Erzählerische, teils Pittoreske, teils rein Anekdotische bleibt in Staffage stecken, weil Erläuterungen und historischer Kontext weitgehend ausgeblendet werden. Das fällt vor allem auf, wenn man die Schau mit der Ausstellung Stadt ohne Juden. Die Nachtseite der Münchner Stadtgeschichte einen Stock tiefer vergleicht. Wo diese von rigidem didaktischem Puritanismus geprägt ist, verzichtet Münih ve Istanbul fast ganz auf Erklärungen. Was doch gerade bei einem so wenig bekannten Thema vonnöten gewesen wäre.

»Münih ve Istanbul. Orte des Exils 01«, Jüdisches Museum München, bis 8. März 2009
www.juedisches-museum-muenchen.de

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