Antisemitismus

Fehltritt aus Kalkül?

von Martin Schön

Als der weißrussische Präsident Alexander Lukaschenko vor einigen Wochen in Minsk vor etwa 70 russische Lokaljournalisten trat, sah alles nach einer Routineveranstaltung aus. Seine Präsidialverwaltung hatte zum wiederholten Mal handverlesene Pressevertreter eingeladen. Das Ziel: Lukaschenkos ramponiertes Image aufpolieren und Russland für das angespannte Verhältnis zwischen beiden Ländern verantwortlich machen. Fragen und Antworten plätscherten dahin – bis Lukaschenko auf Bobrujsk zu sprechen kam. Die belarussische Stadt 13o Kilometer südöstlich von Minsk war jahrhundertelang eine Hochburg jüdischen Lebens. Deshalb sehe es dort heute aus »wie in einem Schweinestall«, verkündete Lukaschenko den verdutzten Journalisten. »Sie wissen, wie sich Juden um den Ort kümmern, an dem sie leben. Man braucht sich nur Israel anzusehen.« Versöhnlich setzte das Staatsoberhaupt nach, er lade jüdische Emigranten zur Rückkehr ein: »Kommt zurück, Jungs, und zwar mit Geld.«
Das war entweder der falsche Ton – oder zu wenig, um den »Schweinestall« zu entschärfen. Der israelische Botschafter in Belarus, Zeev Ben-Arie, war empört: In den Worten des Präsidenten höre man »den antisemitischen Mythos über dreckige und schlampige Juden heraus«. Sogar Israels Außenministerin Tzipi Livni kommentierte den Vorfall. »Staatschefs sollten Antisemitismus bekämpfen und ihn nicht fördern«, sagte sie.
Die belarussische »Union Jüdischer Gemeinden und Organisationen« berief eine Sondersitzung ein. Und Lukaschenko ru-derte zurück. Er habe nichts gegen die belarussischen Juden, erklärte der Präsident eine Woche später bei einem Treffen mit belarussischen Religionsvertretern. »Glaubt etwa jemand, für mich hätte es Vorteile, Zwietracht und Feindschaft in Belarus zu sähen«, fragte er seine Gesprächspartner. Die jüdischen Vertreter machten gute Miene zum bösen Spiel. Lukaschenko zu kritisieren, ist nicht nur politisch gefährlich, sondern auch strafbar – auf Präsidentenbeleidigung stehen in Weißrussland bis zu vier Jahre Gefängnis.
»Natürlich ist es unangenehm, solche Aussagen aus dem Mund eines Staatschefs zu hören. Aber wir haben ja eine Erklärung des Präsidenten bekommen«, meint Jurij Dorn, Vorsitzender der Judaischen Religiösen Vereinigung. Deshalb gebe es, so Dorn, »keinen Grund, zum Aufstand zu blasen«. Kritischer äußerte sich Jakov Basin, der stellvertretende Vorsitzende des jüdischen Dachverbandes »Union jüdischer Gemeinden und Organisationen«. Die präsidiale Entgleisung verstehe er »als Echo auf die Probleme im Nahen Osten«. Russland und Belarus nähmen gegenüber Iran eine Rolle ein wie Chamberlain gegenüber Hitler in den 30er-Jahren. Ähnliches vermutet Dorn: »Gut möglich, dass der Präsident sich an gewisse Kreise in der arabischen Welt wandte.«
Der für seinen Antisemitismus berüchtigte iranische Staatspräsident Mahmud Ahmadinedschad hat Belarus Öl und lukrative Rüstungsaufträge versprochen; zudem ist Iran einer der wenigen Partner von Belarus auf internationaler Ebene. War also Lukaschenkos Entgleisung eine Offerte an den iranischen Bündnispartner? Auch, vermuten Beobachter. Aber nicht nur.
Jüdische Vertreter beobachten seit Jahren eine Ausbreitung dessen, was Jakov Basin »russischen imperialen Chauvinismus« nennt: eine Idee von national-orthodoxem Heilsbringertum, die konstitutiv mit Antisemtismus verwoben ist. Zwar lebten Belarussen und Juden bisher Jahrhunderte lang friedlich zusammen. Aber es häufen sich Übergriffe auf jüdische Friedhöfe und Grabstätten. Auch in Bobrujsk, das der Präsident als »Schweinestall« bezeichnet hatte. Hier stürzten Unbekannte ein Dutzend Grabplatten auf dem jüdischen Friedhof um. Fünf Tage, nachdem Lukaschenko sich zu Bobrujsk geäußert hatte.

Geburtstag

Holocaust-Überlebende Renate Aris wird 90

Aris war lange stellvertretende Vorstandsvorsitzende der Jüdischen Gemeinde Chemnitz und Präsidiumsmitglied des Landesverbandes Sachsen der Jüdischen Gemeinden. 1999 gründete sie den ersten jüdischen Frauenverein in den ostdeutschen Bundesländern

 25.08.2025

Nahost

Alabali Radovan besucht Palästinensergebiete: Hilfe im Fokus

Die Entwicklungsministerin will in Tel Aviv diese Woche Angehörige von Geiseln treffen und das Westjordanland besuchen

 25.08.2025

Würzburg

AfD-Mann Halemba wegen Volksverhetzung vor Gericht

Die Staatsanwaltschaft wirft dem bayerischen AfD-Landtagsabgeordneten Halemba auch Geldwäsche und Nötigung vor

von Angelika Resenhoeft, Michael Donhauser  21.08.2025

Ehrung

Ravensburger-Stiftung ehrt Bildungsstätte Anne Frank mit Preis

Es werde eine herausragende Bildungsinitiative gewürdigt, teilte die Stiftung mit

 20.08.2025

Athen

Israelische Firma übernimmt griechischen Rüstungsbauer

Griechenlands größter Hersteller von Militärfahrzeugen ist nun komplett in israelischer Hand. Die strategische Zusammenarbeit im Verteidigungssektor wird damit weiter vertieft

 20.08.2025

Jerusalem

Planungsausschuss berät über E1-Siedlung

Es geht um den Bau von rund 3400 Wohneinheiten in dem Gebiet zwischen Ost-Jerusalem und der Siedlung Ma’ale Adumim

 20.08.2025

Jerusalem

Israel entzieht Vertretern Australiens in Palästinensergebieten Visa

Australien ist eines der westlichen Länder, die im kommenden Monat einen palästinensischen Staat anerkennen wollen. Darauf und auf Einreiseverbote für israelische Politiker folgt ein Gegenschritt

 18.08.2025

Halle

Datenbank über Opfer medizinischer Forschung in NS-Zeit veröffentlicht

Tausende Menschen wurden im Nationalsozialismus zu medizinischen Untersuchungen gezwungen. Ihre Schicksale sollen nun sichtbar werden

 18.08.2025

Dresden

Tora-Rolle entsteht in aller Öffentlichkeit

Vor dem Dresdner Stadtmuseum kann demnächst jeder durch ein Schaufenster zusehen, wie eine Thora-Rolle entsteht

 14.08.2025