Michael Sommer

»Es geht nicht darum, den Helden zu spielen«

Herr Sommer, nach der Hetzjagd in Mügeln haben Sie gesagt, die Bemühungen der Bundesregierung gegen Rechtsradikalismus reichten nicht aus. Was tut der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB)?
sommer: Wir haben zahlreiche Projekte mit Jugendlichen gestartet, »Courage« zum Beispiel. Wir haben mit der Bundesregierung darum gekämpft, dass die staatliche Förderung erhalten bleibt. Ich sehe die Gefahr, dass Gruppen, die vor Ort etwa mit Jugendlichen arbeiten, nicht mehr gefördert werden. Ich habe auch etwas gegen Verharmlosungen, wenn etwa der sächsische Ministerpräsident sagt, es habe ja keinen organisierten rechtsradikalen Übergriff gegeben. Wenn aus einer Wirtshausstimmung heraus plötzlich unorganisiert 40 Menschen mit rassistischen Parolen Inder krankenhausreif prügeln, dann ist das noch schlimmer, als wenn dahinter der organisierte Rechtsradikalismus steht. Das ist ein Zeichen, dass es aus der Mitte der Gesellschaft kommt.

Woran liegt das?
sommer: Es gibt in Gegenden, wo die Menschen Angst vor der Zukunft haben, einen stärkeren Hang zu rechtsradikalen Tendenzen. Wobei ich davor warne, einfach zu sagen, das seien Entrechtete und Arbeitslose, denn die NPD-Anhänger sind mitnichten entrechtet. Das Problem sind nicht diejenigen, die sozial entrechtet sind, sondern diejenigen, die Angst vor sozialer Entrechtung haben. Ich glaube, wir unterschätzen die psychologische Wirkung von Hartz IV. Wenn die Menschen wissen, nach anderthalb Jahren landen sie in der Sozialhilfe, auch wenn sie ein Leben lang gearbeitet haben, dann verstärkt das die Angst vor dem Abrutschen. Und leider geht das einher mit der Suche nach Sündenböcken, nach dem Ruf »Ausländer raus« und dem Ruf nach dem »starken Mann«. Das Vokabular findet sich nicht nur bei der NPD.
Gibt es rechtsextreme Einstellungen auch unter Gewerkschaftsmitgliedern?
sommer: Ja. Wir haben 2006 in Zusammenarbeit mit der Freien Universität Berlin eine Studie gemacht, in der wir genau das herausfinden wollten. Der Befund der Studie – wir sind nicht besser und nicht schlechter als andere – ist leider wahr. Wobei wir ein deutliches Auseinanderklaffen zwischen dem Reden und Handeln unserer Funktionäre haben, die sich intensiv gegen Ausländerfeindlichkeit wenden, und einigen Teilen der Mitgliedschaft, wo es rechtsradikale Einstellungen gibt.

Was tut der DGB gegen Antisemitismus und Rassismus an der eigenen Basis?
sommer: Sehr viel. Unsere Mitarbeiter in den Regionen geben Seminare, sind Teil der Initiativen gegen Rechtsradikalismus, gehen an Schulen. Es nützt nichts, mal ein Plakat zu machen oder eine hübsche Theateraufführung, sondern da muss man kontinuierlich vor Ort arbeiten. Das macht der DGB auch. Aber wir brauchen ein Bündnis der Zivilgesellschaft. Und Zivilcourage im Alltag. Da geht es nicht darum, den Helden zu spielen. Entscheidend ist, ob es eine gesellschaftliche Stimmung gibt, die so was zulässt oder eben stigmatisiert. Deswegen bin ich auch für ein NPD- Verbot, um deutlich zu machen, in diesem Land wird Rechtsradikalismus stigmatisiert. Das wäre das politische Zeichen eines NPD-Verbots: den vielen Leuten, die noch schwanken, zu sagen, das ist unrecht.

Wie ist das Verhältnis zwischen deutschen und israelischen Gewerkschaften?
sommer: Wir haben zahlreiche Partnerschaften mit Israel. Da sind über Jahrzehnte enge Freundschaften entstanden. Diese Kontakte sind seit Anfang der 60er-Jahre eine Selbstverständlichkeit für uns. Und das wird kontinuierlich und bruchlos fortgeführt.
Das ist ja nicht in jedem Land so. In einigen britischen Gewerkschaften gibt es Aufrufe zum Israel-Boykott.
sommer: Ich bin sicher, diejenigen, die jetzt zum Boykott aufrufen, repräsentieren nicht die Mehrheit im Internationalen Gewerkschaftsbund (IGB). Sie treffen auch nicht die Wirklichkeit der palästinensisch-israelischen Gewerkschaftsbeziehungen. Beide Seiten sind ja im Dialog, den wir auch fördern. Diejenigen, die zur Solidarität mit den Palästinensern aufrufen, verschweigen immer, mit welchen Palästinensern sie sich eigentlich soli- darisieren wollen. Mit der Hamas oder denjenigen, die einen friedlichen Dialog suchen? Ich habe den Eindruck, dass dies oft bewusst offengelassen wird. Die Boykottaufrufe erinnern in manchen Formulierungen an die Naziparole »Kauft nicht bei Juden«. Wir machen da nicht mit, weil wir das für falsch und schon gar nicht für friedensfördernd halten. Natürlich darf man Israel kritisieren. Es gibt aber eine Grenze: das Existenzrecht und die Zukunftsfähigkeit Israels müssen gesichert werden. Ich rede bewusst auch von der Zukunftsfähigkeit, es geht nicht nur um das Existenzrecht. Ein friedliches Leben von Juden im Nahen Osten muss auf Dauer möglich sein.

Gibt es auch Kontakte zu iranischen und arabischen Gewerkschaften?
sommer: Kaum. Es gibt zaghafte Kontakte zwischen dem IGB und dem arabischen Gewerkschaftsbund. Wir machen das aber mit angezogener Bremse, weil wir nicht wissen, wer wen steuert. Wir haben Kontakte zu iranischen Exilanten, wobei man sich das auch sehr genau angucken muss. Wir hatten eine Delegation des arabischen Gewerkschaftsbundes auf dem Gründungskongress des IGB, die sind aber nicht Mitglied. Die sitzen in Damaskus. Wir wissen auch nicht so genau, was die da treiben. Trotzdem ist es sinnvoll, die Kommunikation aufrechtzuerhalten.

Versucht der DGB, auf deutsche Firmen einzuwirken, keine Geschäfte mehr mit dem Iran zu machen?
sommer: Ich bin dagegen, den Handel einzustellen, allerdings darf man weder direkt noch indirekt die Atomproduktion des Iran befördern. Und es gibt nicht nur die außenpolitische Seite hin zu Israel, sondern auch die innenpolitische hin zur Unterdrückung der Men- schen im Iran. Wir – auch die Wirtschaft – haben da bislang zu wenig gemacht. Ich nehme die Frage zum Anlass, das bei meinem nächsten Gespräch mit dem BDI zu thematisieren.

Das Gespräch führten Ingo Way und Benjamin Weinthal.

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