von Carsten Hueck
Ein Lichtkegel auf leerer Bühne. In seinem Zentrum ein undefinierbares Wesen, vierbeinig mit zwei Köpfen: Zwei Frauen, die einen Körper bilden. Sie bewegen sich mit- und gegeneinander, lösen sich langsam voneinander, reagieren immer noch synchron. Schließlich getrennt, gegen die Erdanziehung, versuchen sie in die Senkrechte zu gelangen.
Adom heißt das Duett, das die israelische Tänzerin und Choreografin Zufit Simon mit ihrer Kollegin Brit Rodemund erarbeitet hat und bei den Tanztagen Berlin präsentiert. Simon, 1980 in Tel Aviv geboren, gehört zu den interessantesten jungen Tänzerinnen in Deutschland. Ausgangspunkt ihrer Arbeiten ist zumeist ein innerer Zustand, eine Idee. Über Wochen hinweg lässt die Tänzerin ihre Gedanken brodeln, probiert, sucht den passenden körperlichen Ausdruck. Was später auf der Bühne zu sehen ist, soll aber nicht eindeutig übersetzbar sein. »Ich will nichts vorkauen. Will bestimmte Punkte zeigen, Imagination anregen. Denken sollen die Zuschauer selber. Und wenn sie zwei Tage nach der Aufführung noch nachdenken – umso besser.«
Mit Adom hat die 26-Jährige zum ersten Mal die Gesamtverantwortung für Choreografie, Licht und Musik übernommen. Ihre Tanzpartnerin kennt sie bereits aus anderen Produktionen. Gerade bei Duetten muss man gut miteinander zurecht kommen. »Zwar gibt es manchmal tolle Tänzer, aber der Arbeitsprozess mit ihnen kann schrecklich sein. In einer Gruppe kann man ausweichen. Ist man zu zweit, muss man harmonieren. Besonders am Anfang eines Prozesses brauche ich je-manden, der an mich glaubt, der Verständnis für meine Arbeitsweise hat.«
Das Stück der beiden Frauen ist eine tänzerische Reflexion zur Wurzel des hebräischen Wortes Adom. Je nach Verschiebung der Buchstaben zu »Dam«, »Adam« oder »Adama« eröffnet sich die Bedeutung von Blut, Rot, Erde oder Mensch. Zufit Simon versucht, die Verbindung dieser Elemente der Schöpfung zu finden. »Die Genesis will ich aber nicht nacherzählen«, betont sie. Tanz ist für Zufit Simon Leben, und Leben vor allem Suche. Die Bewegungen der beiden Frauen auf der Bühne erinnern an stark vergrößerte rote Blutkörperchen. Sie bilden eine Zelle, zucken und teilen sich. Unwillkürlich fühlt man sich an Platons Bild vom Urmenschen erinnert: »Die ganze Gestalt eines Menschen war rund, sodass Rücken und Brust im Kreise herumgingen. Und vier Hände hatte jeder und Schenkel ebens oviel als Hände, und zwei Angesichter auf einem kreisrunden Hals genau ähnlich... So konnte er, auf seine acht Gliedmaßen gestützt, sich sehr schnell im Kreise fortbewegen.«
Eine Kreisbewegung ist auch Zufit Simons Familiengeschichte. Alle vier Großeltern stammen aus Deutschland, sind echte Jeckes. In den 50er Jahren ging ein Großelternpaar sogar vorübergehend nach Deutschland zurück, zum Studium an der Technischen Universität in Berlin. Für Zufits in Israel geborene Mutter wurde Deutsch so die zweite Sprache. Eigentlich, erzählt die Tänzerin, sei es auch die Idee ihrer Eltern gewesen, sie nach Deutschland zu schicken, um ein bisschen die Welt zu sehen und neue Impulse für ihren Tanz zu bekommen. Denn getanzt hat sie schon als Vierjährige. »Ich bin in der Wohnung herumgehüpft und habe die Lampen umgeworfen.« In der Schule war Tanz ihr Hauptfach. »Von morgens bis abends habe ich eigentlich nichts anderes gemacht.«
Aus einem Workshop der Hochschule für Musik und darstellende Kunst in Frankfurt wurde ein dreijähriges Studium. »Das war erst nicht so einfach. Eigentlich hätte ich zum Militär gemusst. Ich wollte auch gehen. Aber die Hochschule hat mich überredet zu bleiben. Sie öffnete sich damals gerade für den zeitgenössischen Tanz. Und ich hatte einen sehr guten Professor, der mir eine neue Welt erschloss.«
Mittlerweile lebt Zufit Simon schon seit mehr als acht Jahren in Deutschland. »So hatte mein Familie sich das nicht vorgestellt. Es ist mit gemischten Gefühlen verbunden. Meine Mutter schickt mir immer Zeitungen, aber meine Perspektive auf Israel hat sich verändert. Ich habe das wieder gespürt, als ich im Sommer, während des Krieges im Libanon, in Israel war.« Zufit Simon macht eine Pause. Sie will nichts Falsches sagen. »Wir haben gelernt, dass wir die beste Armee haben, human und stark. Aber ich sehe, wie Macht die Menschen verändert. Wir sind keine Opfer und keine Heiligen.«
Seit drei Jahren wohnt Zufit Simon in Berlin. »In Frankfurt bin ich morgens manchmal wach geworden und wusste nicht mehr, wo ich mich eigentlich befand. Hier habe ich zum ersten Mal wieder ein richtiges Zuhause. Die Stadt ist offen. Ich genieße die Freiheit, kann auch samstags tun, was ich will. Es kommen viele Israelis nach Berlin, und die Arbeitsbedingungen für die freie Tanzszene sind gut hier. Man muss kämpfen, klar. Aber es gibt bessere Möglichkeiten als in Israel. Obwohl ich auch dort gerne wieder tanzen würde.«
»Adom« ist am 11. Januar um 20.30 Uhr in den Sophiensälen Berlin zu sehen
www.tanztage.de