Ehud Goldwasser und Eldad Regev

Eine Welt ohne sie

von Sabine Brandes

Bis zur letzten Sekunde haben sie gehofft, ihre Liebsten wieder zu Hause zu haben. »Noch am Morgen habe ich daran gedacht, meinen Sohn bald zu umarmen«, sagt Ehud Goldwassers Mutter Miki. Auch die Familie von Eldad Regev wünschte sich nichts sehnlicher. Am Ende jedoch bekamen sie nur Särge. Mit dem Austausch der beiden von der Hisbollah entführten und getöteten Soldaten hat der zweite Libanonkrieg vom Sommer 2006 jetzt einen Abschluss gefunden, der trauriger nicht sein könnte. Und die ganze Nation weint mit den Familien.
Mit hängenden Schultern und eingerissenen Hemdkragen als Zeichen ihrer Trauer saßen Miki und Schlomo Goldwasser bei der Beerdigung ihres Sohnes neben Schwiegertochter Karnit. Immer wieder legten sie ihr einen Arm um die Schultern, reichten ihr Wasser, Sorge und Schmerz in ihren Gesichtern. Die 30-Jährige hatte in den vergangenen zwei Jahren alles versucht, um ihren Ehemann und seinen Kameraden freizubekommen, wurde zum Symbol der Bemühungen. Unermüdlich war sie um die Welt gereist, um die Entführten nicht in Vergessenheit gleiten zu lassen. Vergebens. »Hier und jetzt ist unsere gemeinsame Reise zu Ende«, sagte sie mit tränenerstickter Stimme bei der Beisetzung ihres Mannes Ehud, den sie zärtlich »Tusch« nannte. Von einem Papier, auf das Ehuds lächelndes Gesicht gedruckt war, las Karnit: »Am 12. Juli 2006 um 9.08 Uhr blieb die Zeit stehen, wie ein Messer schnitt dieser Tag in unser Leben. Du gingst an jenem normalen Morgen, um dein Land zu verteidigen. Es folgten zwei schwere Jahre. Jetzt wird es eine Welt ohne dich sein, doch du wirst immer meine innere Stimme sein, immer ein vollwertiger Partner in meinem Leben. Du, meine Liebe.«
Der Gefangenenaustausch – er war für Israel schmerzlicher Handel. In der Bevölkerung ist der Deal immer noch Stoff für endlose Diskussionen. »Man darf niemanden mit Blut an den Händen für Tote austauschen«, sagen nicht wenige. Gemeint ist Sami Kuntar. Der Libanese tötete 1979 vier Israelis, darunter den Vater und die vierjährige Tochter der Familie Haran. Für die überlebende Mutter ein niemals endender Albtraum. Dennoch befürwortete sie den Handel mit der Begründung, dass Kuntar nicht ihr persönliches Racheeigentum sei und sie die Familien verstehe, die alles taten, um ihre Jungs zurückzu- holen. Die Angehörigen des getöteten Polizisten hatten sich vehement gegen den Austausch gestellt. Kuntar gilt als notorischer Terrorist, als Personifizierung des Bösen. »Wer ein vierjähriges Kind mit seinen eigenen Händen umbringt, der ist kein Mensch«, lautet die gängige Meinung. Er wurde zu fünf Mal lebenslänglich verurteilt. Es kam anders. Statt eines Lebens hinter Gittern wartete ein roter Teppich auf ihn. Für viele Libanesen ist der Mörder ein Held, einer, der es mit dem Feind aufgenommen und Israel gezeigt hat, wie verwundbar es ist. Für diese Glorifizierung hat Schlomo Goldwasser keinerlei Verständ-
nis. Kurz nachdem er die Gewissheit hatte, dass sein Sohn nicht mehr am Leben ist, sagte er: »Ist es das, was die Menschen dort wollen? Einen Terroristen, der ein vierjähriges Mädchen und einen Familienvater getötet hat, zum Helden machen? Dann verdienen sie nur noch Mitleid.«
Auch jenseits der Grenze, in Israel, hatte das Warten endlich ein Ende. Doch von Feierlaune keine Spur. Die zynischen Plakattexte auf libanesischer Seite »Israel vergießt Tränen der Trauer – während im Libanon Freudentränen fließen« waren wahr geworden. Bei der Ankunft der schlichten schwarzen Holzsärge brachen viele Angehörige der beiden Soldaten zusammen. Die Identifikation der Toten dauerte statt Minuten mehrere Stunden, da sich die Körper nach Auskunft der israelischen Armee in einem schrecklichen Zustand befanden. Einige Tage vor dem Austausch antwortete Karnit Goldwasser auf die Frage, was sie von jenem Tag erwarte: »Ich will nur endlich nach Hause gehen, um mit meinem Schmerz allein zu sein.« Es schien, als wisse sie bereits, was auf sie zukommen werde. Die israelische Öffentlichkeit wusste es nicht, Regierungschef Ehud Olmert und die Minister jedoch schon, wie jetzt bekannt wurde. Zwi Regev, Eldads Vater, wollte sich bis zur letzten Sekunde nicht mit dem Höchstwahrscheinlichen abfinden. Als die ersten Fernsehbilder der Särge ausgestrahlt wurden, bat er seine anderen Söhne, den Apparat abzuschalten.
Nachbarn wie Freunde beschreiben Eldad Regev als »wundervollen Menschen der immer half, ohne groß Aufhebens darum zu machen«. Unter einem Foto von ihm zündeten die Familie, Freunde und viele Menschen, die Eldad nicht gekannt hatten, jedoch ihre Anteilnahme zeigen wollten, spontan Kerzen an. Die offizielle Nachricht, dass sein Sohn nicht mehr am Leben ist, wurde Zwi Regev am Todestag von Eldads Mutter Tova überbracht. Sie war vor zehn Jahren an Krebs gestorben.
Ehud und Karnit Goldwasser hatten erst einige Monate vor der Verschleppung geheiratet. Das Hochzeitsbild steht noch auf dem Fensterbrett. Zwei lachende junge Menschen am Beginn ihres Lebens. Karnit hatte immer betont, zwei Hochzeitstage feiern zu wollen, wenn ihr Mann freikommt. »Aber jetzt bin ich allein«, sagte sie am Grab, »und mein Herz schmerzt so sehr.«

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